Internet abschalten: So kam es zum Beschluss in Dresden

Dresden. Diese Entscheidung hat bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Der Stadtbezirksbeirat Neustadt hat in seiner Sitzung am Montag einen Antrag beschlossen, in dem Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) aufgefordert wird, angesichts abgesagter verkaufsoffener Sonntage Alternativen zu ermöglichen. Die Mehrheit der Beiräte stimmte schließlich für den Vorschlag, "aufgrund des abgesagten Neustädter Frühlings sowie der Bunten Republik" nach zwei Terminen zu suchen, an denen das Internet in der Zeit von 12 bis 18 Uhr abgeschaltet werden solle.
Ursprünglich hatte die FDP einen Antrag eingereicht, in dem es darum ging, anlässlich der abgesagten zwei Feste zwei zusätzliche Termine zu ermöglichen, an denen Läden in der Zeit von 12 bis 18 Uhr öffnen dürfen.
"Die Partei" brachte Änderungsantrag ein
"Die Partei" brachte dann einen Änderungsantrag ein, in dem "Verkaufsstellen" durch das "Internet" und "öffnen dürfen" durch "abzuschalten" ersetzt werden sollte. Dem geänderten Vorschlag stimmten schließlich zehn Ortsbeiräte zu, er hatte damit eine Mehrheit. Ihm zufolge sollte nun an zwei Tagen zwischen 12 und 18 Uhr das Internet abgeschaltet werden.
Darüber berichtete noch am Montagabend das Neustadt-Geflüster. Inzwischen haben verschiedene Medien das Thema aufgegriffen. Von einem "irren Beschluss" schreibt etwa die Mitteldeutsche Zeitung.
Auch in den sozialen Medien wird die Entscheidung aus der Neustadt kommentiert. "Die Abschaltung des Internets ist übergriffig!", findet eine Nutzerin des Kurznachrichtendienstes Twitter. Das sei "die beste Unterhaltung seit langem", schreibt eine andere Nutzerin.
Manche nehmen die Entscheidung auch richtig ernst. Dass dem Stadtbezirksrat auffällt, dass die Aussetzung der Maskenpflicht oder längere Öffnungszeiten den Händlern nicht helfen, sei schön, meint eine Frau aus Norddeutschland. Doch sie habe auch ohne Internet nicht mehr Geld als zuvor. Das heißt, ob nun längere Öffnungszeiten oder geschlossenes Internet: Wer nicht das nötige Geld dafür hat, wird auch nicht dann einkaufen, wenn er dafür zusätzliche Möglichkeiten bekommt.
"Ein neuer Tiefpunkt"
Weder lustig noch ansatzweise sinnvoll findet der CDU-Ortsverband aus der Neustadt die Abstimmung. Damit sei "ein neuer Tiefpunkt" erreicht, kommentieren die Mitglieder das Ergebnis aus dem Stadtbezirksbeirat. Gunter Thiele sitzt selbst in dem Gremium. "Bei politischen Entscheidungen ist Seriosität und Ernsthaftigkeit gefragt und nicht alberner Klamauk! Auf dem Rücken der Neustädter wird vermeintlicher Witz betrieben, der einem demokratischen Gremium unwürdig ist und nur dazu dient, es zu verspotten", findet der CDU-Stadtbezirksbeirat. Das Gremium habe "durch diesen mehrheitlichen Beschluss wieder einmal seine weltfremde, bürger- und wirtschaftsfeindliche Einstellung manifestiert."
Unterdessen rechtfertigte Ulla Wacker (Grüne), dass sie für den geänderten Antrag gestimmt hat. "Ich wollte deutlich machen, dass das Internet natürlich die größte Konkurrenz ist und es nicht mit einzelnen verkaufsoffenen Sonntagen getan ist", ließ sie sich zitieren. "Und ich fand die Idee der Partei witzig."
Auch die Vertreter der Linken haben für den geänderten Antrag gestimmt. Die Partei betreibt jetzt Schadensbegrenzung. "Selbstverständlich sind Netzsperren kein Spaß", schreibt sie bei Twitter. "Und ernsthaft, wir wollen das Internet nicht abschalten." Es sei nur darum gegangen die FDP vorzuführen." Und der Stadtbezirksrat habe sowieso nur beratende Wirkung.
Die FDP, die den Antrag eingebracht hatte, fehlte bei der Sitzung. Sie wird dort eigentlich von Holger Zastrow vertreten. Eine "dämliche Reaktion" nannte er danach das Abstimmungsverhalten der Linken, der Grünen, der AfD und der Partei "Die Partei". Sie gemeinsam haben den geänderten Antrag auf den Weg gebracht.
Händler: "Das Internet war meine große Rettung"
Auch die Händler aus der Neustadt können nichts mit dem Abstimmungsergebnis anfangen. Hendrik M. Dietrich, Chef des Geschenkeladens Catapult an der Ecke Rothenburger Straße/Böhmische Straße nennt es "die lächerliche und einzige Existenzberechtigung der Partei 'Die Partei', solche Schenkelklopferanträge beim Bier zu verzapfen". Die zustimmenden anderen Stadtbezirksbeiräte hätten bewiesen, dass ihnen die Läden der Neustadt und deren Fortbestehen, "schlicht am Arsch vorbei gehen, wenn es für einen Flachwitz reicht".
"Ich könnte mir schon vorstellen, dass hier zwei verkaufsoffene Sonntage gemacht werden, weil die ja sonst immer nur in der Innenstadt stattfinden", sagt Martina Schöpe vom Schmucksteinhandel Amethyst auf der Rothenburger Straße. Ein verkaufsoffener Sonntag finde ja immer auf freiwilliger Basis statt. "Die Geschäfte können schließlich selbst entscheiden, ob sie mitmachen wollen."
Jörg Stübing, Inhaber der Buchhandlung Büchers Best in der Louisenstraße, glaubte zunächst an einen verspäteten Aprilscherz. "Das passt ja wieder voll zum Image von Dresden", sagt er. Abgesehen davon, dass die Idee wohl technisch gar nicht umsetzbar sei, führe sie ihm zufolge auch vollkommen am Ziel vorbei. "Ohne das Internet hätte ich in den vergangenen Wochen längst das Geschäft aufgeben müssen", sagt er. "Gerade in der Corona-Zeit war der Internethandel meine große Rettung." Die Leute würden immer noch verkennen, dass auch hinter dem lokalen Handel heute mehr steckt, als Ware über den Tisch zu reichen.
Den ursprünglichen Antrag, zwei zusätzliche Öffnungstage einzuführen, hätte Stübing grundsätzlich unterstützt, weil ihm die Liberalisierung des Marktes am Herzen liegt. Sein Geschäft würde er an diesen Tagen aber wohl dennoch nicht öffnen, da sich ähnliche Versuche in der Vergangenheit wirtschaftlich nicht gelohnt hätten. Gerade jetzt wolle er an zusätzliche Arbeitstage gar nicht denken. Der Eindruck täusche, dass die Händler in der Corona-Zeit weniger zu tun gehabt hätten. "Ganz im Gegenteil", sagt Stübing. "Wir krauchen jetzt alle auf dem Zahnfleisch und haben uns ein paar freie Tage verdient."
Uneigennützig und verantwortungsbewusst?
Der Antrag aus dem Stadtbezirksbeirat muss nun im Rathaus weiterbearbeitet werden. Diese Aufgabe hat der Geschäftsbereich Ordnung und Sicherheit von Bürgermeister Detlef Sittel (CDU). Zu seinen Aufgaben gehört auch die Annahme und Weiterleitung von Angelegenheiten aus den Stadtbezirken.
André Barth, der Leiter des Neustädter Bezirks, der die Sitzung am Montag geleitet hat, rechnet damit, dass der Auftrag aus der Neustadt als "nicht vollziehbar" zu den Akten gelegt wird. "Mir hat das nicht gefallen", sagt er zum Verhalten der Partei-Vertreter, die für den Beschluss verantwortlich sind. Das vom Volk gewählte Gremium sei damit lächerlich gemacht worden, weil die Beteiligten genau wussten, dass eine Abschaltung des Internets nicht machbar sei.
Barth verweist auf die Sächsische Gemeindeordnung. Dort steht: "Wer eine ehrenamtliche Tätigkeit ausübt, muss die ihm übertragenen Aufgaben uneigennützig und verantwortungsbewusst erfüllen." An diesen Paragraphen haben die Vertreter der vier Parteien am Montag nicht gedacht, als sie für die zweitägige Internet-Abschaltung gestimmt haben, meint der Leiter des Stadtbezirksbeirats.