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"Das Virus überschattet vieles"

Der grüne Stadtrat Joachim Schulze zählt sich selbst zur Risikogruppe. Und erklärt, welches seiner Herzensthemen derzeit auf der Strecke bleibt.

Von Maximilian Helm
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Wahlforum der Sächsischen Zeitung Görlitz am 20.09.2017 (Joachim Schulze, Bündnis 90 / Die Grünen). Foto: Nikolai Schmidt
Wahlforum der Sächsischen Zeitung Görlitz am 20.09.2017 (Joachim Schulze, Bündnis 90 / Die Grünen). Foto: Nikolai Schmidt © SZ-Archiv / Nikolai Schmidt

Joachim Schulze ist das bekannteste Gesicht der Bündnisgrünen in Görlitz. Ursprünglich stammt er aus Nordrhein-Westfalen und war von 1995 an über zwanzig Jahre lang Professor für Sozialarbeitswissenschaft an der Hochschule Zittau-Görlitz. Nun ist er im Ruhestand, das Thema Corona aber beschäftigt ihn sehr - auf Facebook und im realen Leben. Die SZ traf ihn am Telefon an.

Herr Schulze, auf Facebook schrieben Sie: "Die eigene Freiheit endet vor der Atemnot der anderen." Bekommen Sie noch Luft? 

Ich gehöre mit meinem Jahrgang 1952 ja offiziell zur Risikogruppe. Aber sonst bin ich gesundheitlich zum Glück ganz fit. Und beobachte auch, dass sich der absolute Großteil der Leute an die Empfehlungen der Politik hält. Ich mache mir wenig Sorgen. Ich muss auch sagen, dass unser Oberbürgermeister Ursu da eine gute Figur abgibt, mit seinen Ansprachen über Videobotschaften. Das wirkt sehr ruhig und besonnen, wenig aufgeregt und mit klaren Ansagen. Da sind wir glaube ich in ganz guten Händen, das finde ich angenehm.

Wie kommen Sie persönlich mit der Situation zurecht?

Unsere Umstellung ist gar nicht so groß. Natürlich, wir treffen uns weniger mit Freunden und gehen nur so selten wie möglich einkaufen. Also verbringen wir mehr Zeit im Garten, was für uns natürlich ein Glücksfall ist. Wir haben zehnjährige Zwillinge, die müssen wir zu Hause unterrichten. Etwa drei Stunden täglich, das ist etwas mühsam, wenn ich ehrlich bin.

Dabei kommen Sie ja eigentlich aus der Lehre.

(Lacht) Ja, aber das ist etwas anderes. Man merkt, dass Ihnen der Austausch mit den anderen fehlt. Die Lehrerinnen kümmern sich zum Glück sehr rührend, mit Videokonferenzen und immer genügend Arbeitsmaterialien. Beide gehen auf die Dietrich-Heise-Grundschule. Was mich aber verwundert: Sie haben wenig Drang nach draußen zu gehen. Sonst toben sie sich in der Schule aus, gehen auf den Spiel- oder Bolzplatz. Jetzt sind sie viel am Computer. Für Fortnite (ein bei Jugendlichen sehr beliebtes Online-Spiel, in dem es darum geht, von 100 Spielern als letzter zu überleben Anm. d. Red.) sind sie aber zum Glück noch zu jung. 

Und wer kocht bei Ihnen?

Ich gehöre noch zur Generation,  die es gelernt hat, selbst zu kochen. Meine Frau arbeitet tagsüber mit psychisch Kranken in Zittau. Was es gibt, da richte ich mich zur Zeit schon nach den Kindern. Was man da eben kocht, Hühnernudelsuppe sorgt für Begeisterung, Pfannkuchen mit Apfelmus oder Fischstäbchen. Einer der beiden entdeckt sogar selbst seine Begeisterung für das Kochen, Spaghetti mit Roter Sauce bekommt er schon hin. Für sowas ist ja gerade Zeit.

Und wie läuft es in der Politik?

Es ist schwierig. Ich bin überrascht, wie gut die Technik funktioniert, sogar Präsentationen sind kein Problem. Manches werden wir wohl auch beibehalten. Aber dann gibt es wieder andere Themen, wo es nicht ohne ein persönliches Gespräch geht. Und unser Stammtisch in der "Bierblume", der fällt natürlich aus. Und Sie kennen ja die Bilder von der luftigen Stadtratssitzung. Da muss man sich erst dran gewöhnen.

Abstand halten: Stadtratssitzungen finden derzeit in der Sporthalle Emil von Schenckendorff statt.
Abstand halten: Stadtratssitzungen finden derzeit in der Sporthalle Emil von Schenckendorff statt. © Nikolai Schmidt

Bleiben Themen liegen?

Natürlich überschattet das Virus vieles andere. Aber es geht auch weiter, wie jetzt erst mit der Entscheidung zur Stadthalle. Und ich glaube, das ist richtig so. Wir erleben jetzt gerade, dass die technischen Möglichkeiten, seien es Chats oder Videokonferenzen, ihre Grenzen haben. Und wir merken, wie schmerzlich der Verlust von direkter Kommunikation ist. Das ist eine gute Zeit, um sich wieder neu Gedanken über den Wert von direkten Begegnungsmöglichkeiten zu machen, auch einer größerer Menge von Menschen. Und da ist die Stadthalle genau richtig, ein Ort für die Bürger, wo sich nicht nur eine Szene oder eine Interessengruppe trifft. Sondern eine "Halle für alle" im Allgemeinbesitz.

Und der Umweltschutz?

Das ist natürlich seit Jahren ein unterschätztes Thema, und es ist schon in Ordnung, dass das jetzt von Corona überdeckt wird, das ist schließlich auch eine akute Bedrohung. Aber natürlich müssen wir uns darum kümmern. Wir müssen zum Beispiel dafür sorgen, dass Görlitz sich mit der Klimaanpassung beschäftigt. Ich glaube nicht, dass wir den Wandel aufhalten können, also müssen wir Vorkehrungen treffen. Mit Grün- und Schattenflächen in der Stadt, geeigneten Straßenbelägen und  ausreichend Wasserverdunstung. Das wird unsere große Aufgabe für die nächsten Jahre.


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