Von Sebastian Beutler
In neun Tagen hat es Bernd Kühling geschafft. Dann endet seine halbjährige Probezeit im Weinhübler Autohaus Lust, und er hat eine feste Stelle. Die erste nach vielen Jahren. Mehr als sieben Jahre bezog der 53-jährige Görlitzer Hartz IV. Der gelernte Dreher und Lokschlosser aus dem Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) musste sich nach der Schließung des Betriebes neu orientieren. Eine Umschulung zum Zimmermann und Dachdecker half, neue Jobs für fünf Jahre zu bekommen. Doch die Montagetätigkeit in Österreich und in den westlichen Bundesländern lag ihm einfach nicht. Kühling fühlt sich mit Görlitz verwurzelt, hier wollte er bleiben. Jetzt bekam er diese Chance eingeräumt.

Bernd Kühling war im vergangenen Jahr kein Einzelfall im Landkreis. Knapp 5 000 Langzeitarbeitslose konnte das kreisliche Jobcenter in einen sozialversicherungspflichtigen Job vermitteln, darunter auch mehr als 700 junge Menschen unter 25 Jahre. Weil auch immer wieder Menschen in die Hartz-IV-Statistik zurückfallen, haben unterm Strich rund 1 300 Langzeitarbeitslose einen Job gefunden. Für Jobcenter-Chef Eberhard Nagel ist das eine stolze Bilanz, die seiner Ansicht nach eben nicht nur mit dem Rückgang der Bevölkerung zu erklären ist. Denn sie ging nur um 1,2 Prozent zurück, während die Zahl der arbeitsfähigen Hartz-IV-Bezieher um 8,2 Prozent sank. Diesen Trend gibt es schon länger. Deswegen verringert sich seit drei Jahren der Anteil von erwerbsfähigen Hartz-IV-Empfängern an der Bevölkerung von 15 bis 65 Jahre im Landkreis. Lag der Anteil 2009 noch bei mehr als 18 Prozent, so beträgt die Quote zwei Jahre später nur etwas mehr als 16 Prozent. Die Tendenz scheint auch Kühlings Chef, Rolf Scheffel, zu bestätigen. Der sagt: „Wer arbeiten will, der findet auch was.“ Mit Bernd Kühling ist er jedenfalls sehr zufrieden. Wochenlang hatte er für diese Aufgaben jemanden gesucht. Immer vergebens. Bis er das Jobcenter einschaltete und die Behörde ihm wenig später Bernd Kühlings Bewerbung zuschickte. Oft geht es aber nicht ohne Hilfe. Auch bei seinem Autoaufbereiter Bernd Kühling nicht. Ehe er Autos putzen, aussaugen und waschen durfte, war Kühling jahrelang von einem Ein-Euro-Job zum anderen gezogen. Erst als sich im Sommer vergangenen Jahres über das Bundesprogramm „50plus“ Mitarbeiter des Lausitzer Matrix-Vereins bei ihm meldeten und mit ihm auf Jobsuche gingen, klappte es bei dem Weinhübler Betrieb. Nun braucht Kühling kein Geld mehr vom Jobcenter.
Solche Fälle sind für die Mitarbeiter von Eberhard Nagel die schönsten. Doch es gibt auch genügend andere, die nicht von dem Geld leben können, das sie für ihre Arbeit erhalten. Meist handelt es sich zwar um Mini-Jobs, aber Nagel hat auch immer darauf hingewiesen, dass das niedrige Lohnniveau im Landkreis zu der hohen Zahl von Menschen führt, die neben ihrem Gehalt noch Geld vom Jobcenter erhalten. Im Oktober vergangenen Jahres waren es knapp 8 000 Menschen. Bei weiteren 438 lag das Arbeitslosengeld unterhalb der Hartz-IV-Sätze, sodass auch hier ein Zuschuss fällig wurde. Wegen der gestiegenen Hartz-IV-Sätze rechnet Nagel mit rund 81 Millionen Euro an Arbeitslosengeld II, das im Landkreis dieses Jahr ausgezahlt wird.
Denn bei allen Erfolgen: Immer noch gibt es im Landkreis 25 000 Menschen, die arbeiten gehen könnten, aber aus verschiedenen Gründen nur von der Stütze vom Staat leben. Viele von ihnen sind nicht gleich in einen neuen Job zu vermitteln. Mancher hat verlernt, früh aufzustehen, andere kennen keinen geordneten Tagesablauf mehr. Wieder andere trinken zu viel oder nehmen Drogen. Nicht wenige haben es auch einfach aufgegeben. Da aber immer weniger Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt sind, braucht die Wirtschaft auch Arbeitnehmer, die sie vor wenigen Jahren links liegen gelassen hat. Daher sagt Heiko Kammler vom Allgemeinen Unternehmerverband Görlitz und Umgebung: „Es ist wichtig, dass Langzeitarbeitslose durch intensives Coaching und Schulungen wieder an Arbeit herangeführt und auf die auszuübende Tätigkeit vorbereitet werden.“ Schulabgänger ohne Abschluss, Ausbildungs- und Studienabbrecher könne man sich nicht mehr leisten. Dass der Bund ausgerechnet auf diesem Gebiet die Hilfen reduziert, hält Nagel für ein „Drama“.
Bernd Kühling aber hofft, in diesen Kreislauf nicht mehr zu kommen. Schon nach den ersten sechs Monaten in dem kleinen Team stellt er positive Veränderungen an sich fest: „Selbstvertrauen kannte ich gar nicht mehr. Jetzt aber habe ich das Gefühl, wieder gebraucht zu werden.“
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