Kaffeekränzchen im "Echten"

Kamenz. Lange war er verschlossen – der „Echte“ an der Bautzner Straße 51 in Kamenz. Die Spinnweben an den Fenstern und Türen sprechen eine deutliche Sprache. Irgendwie ist es trotzdem, als hätte der letzte Wirt, Ottmar Weiße, gerade erst die Stühle hochgestellt und abgeschlossen. Dabei hat das der Schwepnitzer bereits 2005 getan. Und die Stühle sind auch nicht mehr da. Mit ihm endete eine lange Gaststätten-Tradition in der Lessingstadt. Die urige Kneipe gleich neben dem alten Kino verwaiste.
Das ist nun 14 Jahre her. Und Hannelore Meißner, die Besitzerin des Hauses, hätte sich über die Jahre sicherlich oft einen Neustart im Erdgeschoss gewünscht. Doch kein Wirt packte das Unternehmen letztendlich an. „Vor Herrn Weiße bewirtschaftete die HO die Gaststätte. Ich bin hier aufgewachsen, kenne das Haus in- und auswendig“, sagt sie. Noch immer lebt sie über der Gaststube. „Meine Urgroßmutter Ida Hauffe führte die Gaststätte Zum Echten als Wirtin. Sie war familienorientiert, aber auch eine tüchtige Geschäftsfrau. Bis ins hohe Alter hat sie mitgearbeitet. Das Welt-Kino nebenan gehörte später zu ihrem Aufgabenbereich. Und auch die Kammerlichtspiele. Ihr Sohn Richard, mein Opa, war damals so von den fahrenden Kinovorführern begeistert, dass er nicht eher Ruhe gab, ehe man auch ein Kino in der Stadt hatte“, erzählt Hannelore Meißner stolz.
Stadtwerkstatt mobil
Übrig geblieben vom ehemaligen Glanz von Kino und Gaststätte ist leider nicht viel. Dennoch sind die Bemühungen darum nie versiegt. 2017 schafften es Hannelore Meißner und ihr Lebenspartner Siegfried Bruse mithilfe des Kamenzer Geschichtsvereins, eine kleine Ausstellung im ehemaligen Kino-Schaufenster vorn an der Straße zu etablieren. Und bereits am Forstfestmontag vor einem Jahr hatte hier im Innenhof das erste Kaffeekränzel der Stadtwerkstatt seine Premiere. „In diesem Jahr setzen wir noch einen drauf“, erzählt Mitmacherin Sieglinde Tschentscher. Will heißen, man bittet die Gäste vor und nach dem Festumzug direkt in die Gasträume der ehemaligen Gaststätte hinein.
Das dürfte für viele Fans der Kamenzer Historie ein wundervoller Anlass sein, auf ein Käffchen, selbst gebackenen Kuchen und Torten vorbeizuschauen. Denn viele interessiert, wie es heute hinter den Mauern aussieht. „Getreu unserem Motto ‚Stadtwerkstatt mobil‘ öffnen wir eben auch gern mal Räume. Gemeinsam mit aufgeschlossenen Hauseigentümern“, so Sieglinde Tschentscher. „Ein bisschen darf man also gern in Erinnerungen schwelgen, aber auch immer nach vorn schauen, zum Beispiel in die Zukunft eines so schönen Hauses. Vielleicht gelingt das am Montag ja“, lautet der Wunsch.
Damit die einmalige Öffnung zum Forstfest erst einmal möglich wird, werkeln an diesem Dienstagabend zwei Handvoll Stadtwerkstattler fleißig mit Schaufel und Besen, Wischlappen und Eimer durch die Gasträume. Zwischendrin die Hausbesitzer. Hier wird ein Schlüssel gebraucht, da muss der provisorische Wasseranschluss getestet werden. Frischer Wind weht durch die geöffnete Eingangspforte. Wind, der gut tut. Und Lebensgeister weckt. Ein Nachbar schaut neugierig zur Tür hinein, plaudert aus früheren Zeiten. Peter Sondermann hat inzwischen den ersten Raum trocken gewischt. Bei der Stadtwerkstatt muss jeder alles können.
Die Frauen putzen derweil den Tresen, die Fenster, falten rot-weiße Servietten und sortieren die Ware für Montag. Letzte Absprachen laufen. Der Merkzettel von Sieglinde Tschentscher ist lang und wird akribisch abgehakt. Carola Büttner hat die Tischdeko bei Gärtner Scheffler bestellt und sponsert sie auch gleich. Kaffeemaschinen und Zubehör kommen noch. Auch der Beamer fürs Nebenzimmer fehlt. Dort sollen historische Ansichten von Kamenz über die Leinwand flimmern. Hobby-Historiker Norbert Portmann stellt sie zur Verfügung. Ansonsten wird gelacht, vom letzten Urlaub erzählt. Eine schöne Atmosphäre. Die alten Räume haben Charme. Vor allem das Parkett. Da hinten war früher das Billardzimmer, im anderen Nebenraum konnte man separat feiern. Vieles müsste bei einer Neuaufnahme der Gaststätten-Konzession nicht geändert werden, ist man sich einig. Der „Echte“ hat noch das Zeug für eine wunderbar urige Bierkneipe mit rustikaler Speisekarte und einem Flair, das seinesgleichen sucht. Allein die Wandvertäfelung und die grünen Motivfliesen bestechen im Raum.
Kurze Renaissance mit Potenzial
„Das Haus wurde 1864 erbaut. Und die Gaststätte später eröffnet“, so Hannelore Meißner. Damals hieß sie allerdings noch „Zur guten Quelle“ und das Haus war zweistöckig . Erst später kamen noch zwei weitere Etagen dazu. An diesem Dienstagabend wird viel gefachsimpelt – über die Kamenzer Gastronomie, die etwas Zuwachs vertragen könnte. Über die Kamenzer selbst, die dann auch hingehen müssten, wenn jemand etwas Neues wagt. Als die Männer den alten Stammtisch reintragen, wird allen richtig rührselig ums Herz. Am Montag erlebt der „Echte“ eine kurze Renaissance. Das muss fürs erste genügen. Aber vielleicht ist unter den Gästen ja auch jemand dabei, der vom Fach ist? Der schon lange nach einer Lokalität sucht. In den Köpfen der Stadtwerkstattler gedeihen derweil schon neue Pläne …