Von Ulrike Keller
Carola Töpper macht ernst. Die Radebeuler Fahrlehrerin zu meiner Rechten lüftet einen Deckel über dem Schaltknauf. Im Geheimfach legt sie einen der beiden Schalter um. Von diesem Moment an verrät ein Piepen, sobald sie über die Kontrollpedalen auf ihrer Seite eingreifen muss. Eingreifen in meine Prüfungsfahrt. Die bewertende Instanz sitzt mit Klemmbrett und Kuli schräg hinter mir: Frank Weißflog, höchster Prüfer der Dekra Dresden. Er leitet die Abteilung Fahrerlaubniswesen. Der Landkreis Meißen fällt mit in seine Zuständigkeit. Für mich geht es durchs Prüfgebiet Radebeul. Im Führerschein-Besitz bin ich seit 14 Jahren. Doch will ich wissen: Ersetzt diese Routine das Theoriegepauke und die etwa dreißig Fahrstunden eines Anfängers?
Auch mein Schalter ist umgelegt, der im Kopf. Schon den ganzen Morgen schwöre ich mich ein: Die Geschwindigkeitsvorgaben einhalten! Beide Hände in Dreiviertel-drei-Stellung ans Lenkrad setzen! Und: Den Blinker pingelig oft setzen, auch schon beim Überholen eines Radfahrers und gleichgültig, ob jemand hinter mir ist! Doch der Prüfer will gar nicht gleich losfahren. An welchen drei Dingen man den Zustand der Reifen erkennen kann, fragt er. Profil und äußere Verschleißerscheinungen fallen mir ein. Aber als drittes? Frank Weißflog hilft auf die Sprünge: Na am Reifendruck. Klar! Bin ich damit schon durchgefallen? Er beruhigt: Die Frage diene ihm nur dazu, sich einen Eindruck vom Prüfling zu machen. Na prima.
Ab in den Verkehr. Wie oft werde ich das wildfremde Auto abwürgen? Die Angst erweist sich als unbegründet. Der Schleifpunkt ist mir freundlich gesinnt. Auch gelingt es ganz gut, meine guten Fahr-Vorsätze zu befolgen. Zumindest sieben Minuten lang. In dieser Zeit bin ich von der Esso-Tankstelle an der Meißner Straße in Radebeul gestartet und umsichtig die August-Bebel-Straße hinauf gekurvt. 30er-Zone. Laaaangsam! Ein Zebrastreifen. Aber der hebt doch die Geschwindigkeitsregelung wieder auf, grübele ich für mich. Oder nicht? Vorsichtshalber bleibe ich zwischen 40 und 50 Kilometern pro Stunde. Das Ortsausgangsschild kommt näher. Und ich ertappe meine Hand auf dem Schaltknauf. Schnell zurück in die Mäuschenhaltung.
An der Kreuzung rechts, lautet die Ansage von hinten. Grüner Pfeil. Ah ja, vorbildlich stoppen! Und rum mit der kompakten Sportmaschine von Audi A3. Auf der Moritzburger Landstraße winkt schon eine 70. Die Einladung zum sachten Beschleunigen. Gern nehme ich sie an. Und auf die Autobahn Richtung Chemnitz bitte, sagt die ruhige Stimme Frank Weißflogs. Ich lenke den schwarzen Tief-Lieger zügig in die linke Spur und warte auf Grün. Gefühlte zehn Minuten später treibe ich ihn auf die Autobahn. Es ist frei, kein Einfädeln nötig. Sehr schön. Ich gebe Gas, halte aber artig Abstand zu den Lkw vor mir. Der navigierende Prüfer wünscht, die nächste Ausfahrt schon wieder zur Ausfahrt zu nutzen. Zu überholen macht keinen Sinn mehr.
Und hinein ins Getümmel rund um den Elbepark. Am Möbelriesen links und dann wieder rechts. Das ist das Areal der tausend Sträßchen nahe der Flutrinne. Für mich schon immer das Gegenteil von überschaubar. Meine Konzentration sinkt. Frank Weißflog sagt: Links. Ich missdeute: Wenden. Von links radelt eine Frau heran, die freiwillig stoppt. Ich bin ihr Rechter. Um sie erst einmal loszuwerden und Zeit zu gewinnen, winke ich sie vorbei. Dank Fahrlehrerin Carola Töpper begreife ich, dass Linksabbiegen gefragt war. Das ist noch mal gut gegangen!
Eine Möglichkeit zum Wenden suchen, weist mich der Prüfer an. Gesagt, getan. Dann Einparken in Reihe. Ohne im Seitenspiegel auf exakte Abstände zum Fahrzeug und Bordstein zu achten, improvisiere ich mich in die Lücke. Bingo! Pflichtübung, die dritte: Gefahrenbremsung bei 30 Kilometer pro Stunde. Ich steige ordentlich in die Eisen. Dem Experten reicht das nicht. Noch einmal. Der Audi stottert. Genau darauf hat es Frank Weißflog angelegt – das ABS soll ratternd greifen. Er ist zufrieden.
Über die Sternstraße und einen Kreisverkehr lotst er zur Overbeckstraße. Ein ausparkendes Auto umfahre ich großräumig. Vorn am Supermarkt wieder rechts. Auf die Washingtonstraße. Dann Richtung Radebeul. Liebe Esso, Stätte der Erlösung, wir kommen.
In einer Unterführung die vorgeschriebenen zehn Kilometer pro Stunde einzuhalten, quält mich. Der Transporter hinter mir klebt fast am Audi-Hinterteil. Die Meckersprüche dazu muss ich nicht hören, um sie lebendig im Ohr zu haben. Der Prüfer schickt mich die Hauptstraße hinauf. Gepflegte 30 halte ich ein. Dann rechts und zurück zum Ausgangspunkt. Dieses Stück Meißner Straße kenne ich in- und auswendig. Noch mal schön auf die Geschwindigkeit achten, souffliere ich mir. Aber mit dem Verkehr mitfahren. Der Verkehrsfluss muss gegeben sein, riet mir meine Mutti auf der ersten Ausfahrt mit druckfrischen Fleppen. Ich biege auf das Esso-Gelände ein, soll gar nicht erst eine Parklücke nehmen, sondern das Fahrzeug parkfertig abstellen. Ein gutes Zeichen?
Der Prüfer lächelt milde und setzt an: „Sie sind schon ein umsichtiger Verkehrsteilnehmer. Wir haben uns auch nicht unwohl gefühlt mit Ihnen im Auto …“ Die Stimme bleibt in kritischer Mittellage, die die inhaltliche Wendung vorbereitet: „Aber für die Prüfung hat es nicht gereicht!“ Punkt für Punkt geht er sein Prüfprotokoll durch: Gleich zwei Geschwindigkeitsübertretungen am Anfang, in der 30er-Zone, die auch vom Zebrastreifen nicht aufgehoben wurde, und auf der 50er-Strecke vor dem 70-Schild. Allein das hätte zum Durchfallen gereicht. Weitere Kritik: Öfter lag meine rechte Hand auf dem Schalthebel oder Bein. Vor der Autobahnauffahrt die Sperrfläche überfahren. Auf der Overbeckstraße über die Sperrlinie ausgewichen. Auf der Hauptstraße wieder der großen Raserei verfallen: Schrittgeschwindigkeit wäre geboten gewesen. Und kurz vor der Esso halb auf dem Radweg unterwegs gewesen. Oje, oje! Trotz guter Vorsätze eine reiche Sammlung von Fehlerpunkten. „Aber das ist normal für den Zeitraum, den Sie fahren“, tröstet mich der Experte. „Das ist nicht vernichtend für Sie!“ Und trotzdem: Geknickt bin ich und heilfroh, dass der Test außerhalb der Wertung läuft.
Eines erschreckt mich richtig: Der Hinweis, wie gefährlich es ist, eine Vorfahrtsregelung aufzuheben – meine nette Geste gegenüber der Radlerin nahe der Flutrinne ist gemeint. „Höflichkeit, die zum Tode führt“, sagt Frank Weißflog dazu. „Das Motorrad hinter Ihnen zieht vorbei und fährt die Frau um. Es gelingt nie, den restlichen Verkehr genügend abzusichern.“ So deprimierend es ist: Ich nehme allerhand mit.