Als Schüsse auf die Kaserne fielen

Riesa. Am 13. März 1920 putschten der Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp und Teile des Militärs unter Führung von General Walther Freiherr von Lüttwitz gegen die Regierung der jungen Weimarer Republik. Das Riesaer Tageblatt berichtete über die später als Kapp-Putsch bekannt gewordenen Ereignisse in Berlin und Riesa. Siegfried Wallat vom Riesaer Museumsverein hat die Berichte zusammengetragen.
Berlin, 13. März: "Ein Erlaß der neuen Regierung. Die bisherige Regierung hat aufgehört zu sein. Die gesamte Staatsgewalt ist auf den mitunterzeichneten Generallandschaftsdirektor Kapp aus Königsberg i. Pr. als Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident übergegangen. Zum militärischen Oberbefehlshaber, gleichzeitig als Reichswehrminister wird vom Reichskanzler der General der Infanterie Freiherr von Lüttwitz berufen. Eine neue Regierung der Ordnung, der Freiheit und der Tat wird gebildet."

Angriff auf die Kaserne
Riesa, 16. März: "Der gestrige Generalstreik ist leider in unserer Stadt nicht ohne ernste Zwischenfälle und sogar Blutvergießen verlaufen. Die vormittags im Stadtpark abgehaltene Protestversammlung hatte gewaltige Massen auf die Beine gebracht. Zwei Ansprachen wurden an die Versammelten gehalten. Es fand sodann ein Demonstrationszug durch die Straßen statt, wobei die Ordner die Schließung sämtlicher Geschäfte veranlaßten- Wer der Hoffnung war, daß die Demonstration einen ebenso ruhigen Verlauf nehmen werde wie die gleichen Kundgebungen Ende 1918 und Anfang 1919, sah sich bald getäuscht.
In der Nähe der Pionierkaserne kam es zu einem Zusammenstoße zwischen den Demonstranten und der von einem Leutnant geführten Bagage vom 2. Bataillon 37 aus Zeithain. Die Begleitmannschaften wurden überwältigt und die Wagen vor das Volkshaus gebracht, wo die Waffen abgeladen wurden. Ebenso gelang es Streikenden, 160 Mann von der Gruppe 3 der Hilfspolizei aus Zeithain, die zur Bewachung der Speicheranlagen bestimmt waren, zu entwaffnen.
Diese Vorgänge führten zu starken Menschenaufläufen in der Goethestraße. In der dritten und vierten Stunde nahmen die Dinge hier ein ernstes Gesicht an. Aus der Kaserne 32 war Reichswehr angerückt, die von den Arbeitern die Auslieferung der Waffen verlangte.
Während zwischen dem Führer der Reichswehr und einer Abordnung der Arbeiter Verhandlungen stattfanden, hatten sich Streikende, in der Hauptsache junge Leute, im Volkshause Waffen angeeignet. Mit Gewehren und Handgranaten bewaffnet sah man sie herumlaufen und am Kaiser-Wilhelm-Platz brachten sie sogar drei Masch.-Gew. in Stellung. Inzwischen hatten wohl die Verhandlungen dazu geführt, daß die Arbeiter sich zur Herausgabe der Waffen bereit erklärten.
Ein Wagen der Reichswehr fuhr am Volkshause vor und Arbeiter brachten alsbald allerhand Waffen heraus und warfen sie in den Wagen. Die bereits verteilten Waffen, ebenso die am Kaiser-Wilhelm-Platz aufgestellten Maschinengewehre wurden jedoch nicht abgeliefert.
Die Reichswehr rückte hierauf wieder ab und ein Teil der Arbeiterschaft begab sich nach der Elbbrücke, wie gesagt wurde, um dort Waffentransporte aus Zeithain abzufangen. Es soll dies den Streikenden tatsächlich auch geglückt sein. Jedenfalls fühlte man sich nun stark genug, um der Reichswehr selbst seine Bedingungen zu stellen. "

"Gegen 6 Uhr abends verbreitete sich in der Kaserne 32 plötzlich das Gerücht, es würden Vorbereitungen zum Angriff auf die Kaserne getroffen. Sofort wurde die Abteilung alarmiert und alles eilte auf seine Gefechtsstationen. Kaum waren diese Befehle erteilt, als sich bereits auf den zu der Kaserne führenden Straßen bewaffnete Menschenansammlungen bildeten, die sich näherten. Eine Abteilung wurde sofort zur Säuberung der Straßen angesetzt.
Kurz nach 6 Uhr wurden auf die Nordwestecke der Kaserne die ersten Schüße, unmittelbar darauf auch auf die Hinterseite abgegeben. Mit einem Schlage setzte darauf aus den umliegenden Häusern ein heftiges Feuer gegen die ganze Kaserne ein mit Gewehren und auch Maschinengewehren. Das Feuer wurde sofort mit allen zu Gebote stehenden Mitteln erwidert.
Gegen festgestellte Schützen und Maschinengewehre in den umliegenden Gärten wurde zum Angriff vorgegangen, bei dem auch Gefangene eingebracht wurden. Es wurden einwandfrei Maschinengewehre festgestellt, die sofort energisch mit Erfolg bekämpft wurden. In kurzer Zeit gelang es, den Angriff abzuschlagen. Um unnötiges Blutvergießen zu vermeiden, wurde das Feuer sofort eingestellt.
Nach den bis heute vormittag gemachten Feststellungen sind zwei Tote zu beklagen, die Zahl der Schwerverletzten beträgt drei und die der Leichtverletzten 20. Die Reichswehr ist an diesen Verlustziffern mit einem Toten und vier Verwundeten beteiligt.
Der zweite Tote ist Herr Armenhausverwalter Drößler, der beim Ueberschreiten der Schützenwiese durch einen Brustschuß getötet wurde. Unter den Verletzten befinden sich einige, die an der Schießerei nicht beteiligt, sondern von der Neugierde angelockt worden waren.
Es sollte dies auch für andere eine Mahnung sein, derartigen Vorgängen fern zu bleiben. Die Verluste der Angreifer an Verwundeten sind nicht gering, und es ist obendrein anzunehmen, daß von ihnen Verwundeungen geheim gehalten werden.
Die Häuser in der Nähe der Kaserne 32 tragen natürlich, wie die Kaserne selbst auch, deutliche Spuren des Kampfes. Die Häuser sind durch die Geschoßeinschläge beschädigt und viele Fensterscheiben zerbrochen. Jedenfalls sind Geschosse auch in Wohnungen eingedrungen.
Vor dem Eingang eines der Unteroffizierswohnhäuser ist eine Handgranate von einem der Angreifer zur Explosion gebracht worden, die großen Schaden angerichtet, und, wie die Blutspuren annehmen lassen, auch Menschen verletzt hat. Eine größere Blutlache befand sich auch beim Restaurant Gambrinus. Heute vormittag liefen erneut Gerüchte um, daß neue Angriffe seitens der Arbeiter bevorstünden.
Die Reichswehr soll auch die 32er Kaserne eine Zeit lang in größerem Umfange abgesperrt haben. In der ersten Stunde zog eine Abteilung vor das Volkshaus, um dort eine Anzahl Waffen und Munition abzuholen. Heute vormittag haben bei einigen Verdächtigen auch Hausdurchsuchungen nach Waffen stattgefunden, die aber ergebnislos gewesen sein sollen. Hoffen wir, daß nunmehr wieder Ruhe und Besonnenheit unter der Bevölkerung unserer Stadt einkehren.
"In Oschatz und Großenhain ist der gestige Tag ruhig verlaufen, obwohl auch dort die Arbeiter in sämtlichen Betrieben in den Generalstreik getreten waren und Protestkundgebungen stattgefunden hatten. "

Putschisten geben auf
Dessau, 17. März: "Der braunschweigische und anhaltische Gesandte in Berlin, von Boden, telegraphierte, daß die Regierung Kapp zurückgetreten ist."
Frankfurt, 17. März: "Die 'Frankfurter Zeitung' meldet aus Berlin: Auf Grund der im Reichstagsgebäude geführten Verhandlungen haben Kapp und on Lüttwitz, dieser nach längerem Schwanken, sich zum bedingungslosen Rücktritt bereit erklärt. Die Regierung wird dem Vizekanzler Schiffer übergeben werden. General von Hülsen hat im Namen der Regierung Bauer die Führung der Truppen übernommen.
Vorher waren die unabhängigen Abgeordneten Cohn und Däumig in der Reichskanzlei erschienen und hatten namens der in den Arbeitervierteln ausgerufenen Räterepublik ein Ultimatum überreicht, daß die bewaffneten Arbeiter, wenn bis 9 Uhr abends die Truppen nicht zurückgezogen seien, zum Angriff schreiten würden. Unter dem Eindrucke dieser Nachricht haben Kapp und von Lüttwitz Bedingungen für ihren Rücktritt gestellt, in erster Linie Amnestie. Die Verhandlungen dauern noch an. Die Reichsregierung verlang bedingungslosen Rücktritt Kapps.
Riesa, 17. März: Festnahmen. Mehrere Personen, die im Verdacht stehen, die bedauerlichen Vorkommnisse am Montag verursacht zu haben, sind verhaftet worden und sehen der Untersuchung bez. Bestrafung entgegen.
Noch ein Menschenleben zu beklagen. Leider ist im Zusammenhange mit den Unruhen am 15. März ein weiteres Menschenleben zu beklagen. Der Vorgang hat sich folgendermaßen zugetragen: Gestern gegen 1 Uhr mittags zeigte sich am Kaserneneingang ein Mann, der mit Bestimmtheit als einer der Haupträdelsführer bei den Unruhen am 15. März wiedererkannt wurde.
Er wurde demgemäß verhaftet, versuchte aber zu entfliehen. Der Posten gab hierauf Feuer auf den Fliegenden und bei dieser Gelegenheit wurde der auf der Straße befindliche Kurt Kaube derart schwer verwundet, daß er gestern Abend seinen Verletzungen erlegen ist.

Riesa, 19.März: "Die Unruhen am Montag haben noch ein weiteres Opfer gefordert. Wie aus dem Anzeigenteil unserer gestrigen Nummer zu erleben war, ist von den verletzten Reichswehrsoldaten einer seiner Verwundung erlegen. Aufseiten der Reichswehr haben demnach die Unruhen zwei Tote gefordert.
Auch der Eisenbahnarbeiter Barsch, der am Dienstag vor der 32er Kaserne als Haupträdelsführer wiedererkannt und hierbei durch einen Schuß verletzt worden war, soll der Verwundung erlegen sein. Herrn Armenhausverwalter Drößler, der bei der Schießerei am Montagabend ums Leben gekommen ist und heute nachmittag beerdigt wurde, widmen der Rat der Stadt und die städtischen Beamten im Anzeigenteil vorl. Kummer in herzlichen Worten gehaltene Nachrufe."
Die zeitgenössischen Regeln der Rechtschreibung wurden beibehalten.