Von Ulf Mallek
Der Schatz füllt einen alten Panzerschrank aus Radebeul. Er steht im Privathaus des Bamberger Verlegers Lothar Schmid. Der Schatz ist der literarische Nachlass des großen Abenteuerschriftstellers Karl May (1842-1912). Er besteht aus rund 10 000 handgeschriebenen Seiten.
Manchmal blättert sein Besitzer in den Manuskripten, Briefen, Gedichten, Notizen und Noten. Die wichtigsten Werke wie „Winnetou“ sind nicht dabei. Dafür ist das beachtliche Spätwerk fast komplett erhalten, Bestseller wie „Old Surehand“ zumindest zum größten Teil. Schmid hat in den letzten zehn Jahren die Schriften nach modernen Erkenntnissen des Archivwesens ordnen lassen. Experten attestieren dem Nachlass einen hohen bibliothekarischen und finanziellen Wert. Wie hoch genau, darüber schwelt seit Jahren ein Streit.
Schmid will seine Archivalien verkaufen. „Ich werde bald 77 Jahre alt“, sagt er, „möchte geordnete Verhältnisse hinterlassen. Der Nachlass sollte in einer Hand bleiben.“ In erster Linie denkt Schmid dabei an die öffentliche Hand in Karl Mays Vaterland: Sachsen.
Millionen für Kafka
Zweieinhalb Jahre lang verhandelte Schmid. Ergebnislos. Die Preisvorstellungen klaffen weit auseinander. Schmid möchte etwa 8,7 Millionen Euro für den Nachlass, Sachsen war anfänglich nur zu einer reichlichen Million bereit. „Ich habe für dieses Erbe viel Geld bezahlen müssen und hohe Kredite aufgenommen“, sagt Schmid. Tatsächlich erbte er von seinem Vater, dem Karl-May-Verleger Euchar Albrecht Schmid (1884-1951) einen Teil der Schriften. Der hatte sie von der Ende 1944 verstorbenen Witwe Mays, Klara May, geerbt. Den Rest kaufte Lothar Schmid seinen Brüdern Joachim und Roland bzw. deren Erben ab. Schmid zieht als Vergleich den Schriftsteller Franz Kafka (in 12 Sprachen übersetzt, Weltauflage 40 Millionen) heran. Dessen Manuskript „Der Prozess“ brachte vor 17 Jahren einen Erlös von 3,1 Millionen US-Dollar. Ein Werk von James Joyce schaffte es auf drei Millionen Pfund. „Ich habe nicht nur ein Manuskript zu bieten, sondern den kompletten Nachlass eines Mannes, dessen Werke in 40 Sprachen übersetzt wurden.“ Mays Weltauflage erreichte 200 Millionen, davon die Hälfte in Deutschland.
Inzwischen liegen dem sächsischen Kunstministerium und der Landesbibliothek verschiedene Gutachten vor. Nach Auskunft vom Generaldirektor der Bibliothek Thomas Bürger schwanken die Schätzungen zwischen einer Million und 15 Millionen Euro. Ein drittes Gutachten aus München kam auf 8,7 Millionen. Bürger, der sich die Schmidschen Manuskripte alle angesehen hat, hält einen Preis von etwa drei Millionen Euro für fair.
Immerhin habe die Landesbibliothek noch hohe Folgekosten. Die Blätter müssen gesichtet, aufbereitet und archiviert werden. Zudem fehlt das Hauptwerk des Schriftstellers. „Winnetou 1“ allein wäre gut zwei Millionen Euro wert. Es war damals üblich, dass die Druckereien den Autoren die Manuskripte nicht zurückgaben, und May legte wohl auch keinen besonderen Wert darauf. Zudem spricht der aktuelle Trend gerade mal gegen Karl May. Der Brite Harry Potter hat den Radebeuler Winnetou überholt. Dennoch, sagt Generaldirektor Bürger, ist der Inhalt des feuerfesten Schranks von Bamberg ein Schatz. „Unser wissenschaftliches Interesse an den Manuskripten ist sehr hoch“, sagt Bürger. „Falls sie nicht nach Sachsen kommen, wäre das eine Tragödie, die nur Schmid abwenden kann, indem er uns entgegenkommt. Wir haben einfach nicht so viel Geld.“ Die Radebeuler Karl-May-Stiftung hält sich aus diesen Verhandlungen ganz heraus. Rene Wagner, Chef des Karl-May-Museums: „Die Stiftung hat nicht so viel Geld und wir haben auch nicht die Möglichkeiten, den Nachlass sachkundig aufzubewahren.“
Verkauf auf dem freien Markt
Falls die Verhandlungen zwischen Schmid und dem Freistaat endgültig scheitern, wird das Werk auf dem freien Markt verkauft. Die gebotenen drei Millionen Euro hält Schmid keinesfalls für fair. „Ich habe mehrere Millionen Mark für den Nachlass aufbringen müssen.“ Mehr Geld, als Dresden jetzt zu zahlen bereit ist.
Schmid, der in Dresden geboren und aufgewachsen ist, möchte seine Schätze gern in den Händen der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek wissen. Aber nicht um jeden Preis. Ein schwaches Signal sendete gestern Kunstministerin Barbara Ludwig (SPD). 8,7 Millionen Euro könne Sachsen nicht bezahlen. Ein neues Angebot von Schmid liege ihr aber nicht vor.