Kassen laden Zehntausende zur Darmspiegelung ein

Mit jährlich rund 3.300 Neuerkrankungen ist Darmkrebs die dritthäufigste Tumorerkrankung bei Männern und Frauen in Sachsen. Laut Robert-Koch-Institut sinken die Erkrankungszahlen seit ein paar Jahren zwar geringfügig. Doch der Rückgang könnte größer sein, wenn alle Versicherten die empfohlenen Früherkennungsuntersuchungen nutzen würden. Laut AOK Plus nehmen nur etwa 7,5 Prozent der anspruchsberechtigten Männer und 14,4 Prozent der Frauen das Angebot wahr. Seit Kurzem laden die Krankenkassen deshalb Versicherte zur Darmkrebsfrüherkennung ein. Welche Methode am sichersten ist, wollte Sächsische.de von Professor Jürgen Weitz wissen. Er ist Direktor der Klinik für Viszeral-, Thorax und Gefäßchirurgie am Uniklinikum Dresden.
Herr Professor Weitz, welche Untersuchungen stehen gesetzlich Versicherten jetzt zu?
Männer zwischen 50 und 54 Jahren bekommen entweder jährlich einen immunologischen Stuhltest, der verborgenes Blut im Stuhl aufspürt, oder eine Darmspiegelung bezahlt. Für Frauen dieser Altersgruppe zahlt die Kasse nur den Stuhltest. Ab 55 können beide Geschlechter alle zwei Jahre den Stuhltest oder alle zehn Jahre eine Darmspiegelung nutzen.
Warum bekommen Männer die Darmspiegelung fünf Jahre früher bezahlt als Frauen?
Männer erkranken häufiger und jünger an Darmkrebs als Frauen. Deshalb wird Männern der genauere Test auch eher angeboten.
Die Darmspiegelung ist also besser als der Stuhltest?
Auf jeden Fall. Denn ein Blick in den Darm ist durch einen Stuhltest nicht zu ersetzen. Der Stuhltest ist deshalb nur die zweitbeste Form der Darmkrebsfrüherkennung. Er sucht nur nach verborgenem Blut im Stuhl. Das kann aber mehrere Ursachen haben – Entzündungen, Hämorrhoiden oder Krebs. Da ein auffälliger Stuhltest ohnehin durch eine Darmspiegelung abgeklärt werden muss, empfehle ich gleich die sicherere Methode.
Ein weiterer Vorteil der Spiegelung ist, dass sie einer Krebsentstehung vorbeugen kann, indem Vorstufen – sogenannte Polypen – gleich entfernt werden. Polypen sind kleine Knospen an der Darmschleimhaut, die viele Jahre gutartig sind, dann aber entarten können. Die meisten Darmkrebserkrankungen haben in Polypen ihren Ursprung. Ist die Spiegelung aber ohne Befund, müssen die Stuhltests nicht sein und muss man erst nach zehn Jahren wieder zu dieser Untersuchung gehen – es sei denn, man ist familiär vorbelastet.

Was heißt familiär vorbelastet? Reicht da ein Darmkrebspatient pro Familie?
Das kommt darauf an, welcher Verwandtschaftsgrad zum Erkrankten besteht und wie alt derjenige zum Ausbruch der Erkrankung war. Das familiäre Risiko zu ermitteln, ist relativ kompliziert. Am besten wendet man sich dazu an den Hausarzt, einen Gastroenterologen oder Chirurgen. Bei begründetem Verdacht auf eine familiäre Erkrankung folgt dann eine Beratung bei einem Humangenetiker. Eine Faustregel besagt, dass man etwa zehn Jahre vor Ausbruch der Krankheit beim Familienangehörigen eine Früherkennung beginnen sollte.
Bei der Mammografie zur Früherkennung von Brustkrebs wird oft von Übertherapie gesprochen. Es wird also bereits behandelt, obwohl man noch nicht weiß, ob der Krebs überhaupt ausbricht. Ist das bei der Darmspiegelung auch so?
In gewisser Weise ja, aber es ist eine sinnvolle Übertherapie. Anders als beim Brustkrebs wird bei Vorstufen ja nicht gleich geschnitten, sondern die Polypen werden während der Untersuchung einfach abgeknipst. Das birgt nur ein geringes Risiko. Allerdings steigt das Risiko mit der Größe der Polypen. Fest steht, dass viele Polypen nie zu Darmkrebs werden. Doch wir wissen nicht, von welchen wirklich Gefahr ausgeht. Deshalb ist die Entfernung eine wirkliche Krebsvorsorge.
Kann man auch auf andere Art Darmkrebs vorbeugen?
Natürlich. Es sind die bekannten und leider oft unterschätzten Möglichkeiten einer gesunden Lebensweise. Dazu gehören die Vermeidung von Übergewicht, der Verzicht aufs Rauchen, eine gesunde Ernährung mit reichlich Ballaststoffen und wenig rotem Fleisch oder Wurst.
Und wie ist es mit Alkohol?
Wer all die genannten Vorbeugungsmaßnahmen praktiziert, kann auch hin und wieder einmal etwas Alkoholisches trinken, solange es in Maßen bleibt.
Wer Angst vor einer Darmspiegelung hat, woher kann er einen immunologischen Stuhltest bekommen?
Den Stuhltest bekommt man bei Gastroenterologen, das sind Spezialisten für Erkrankungen des Verdauungssystems, aber auch bei Hausärzten, Chirurgen, Gynäkologen und Urologen. Doch Angst vor Schmerzen im Zusammenhang mit einer Darmspiegelung muss niemand haben, denn die Untersuchung ist auch unter Narkose möglich. Unangenehmer ist meist die vorherige Darmreinigung. Doch wenn man weiß, wie viel späteres Leid einem dadurch erspart werden kann, lässt sich die Prozedur vielleicht besser ertragen.
Welche Komplikationen kann es bei einer Darmspiegelung geben?
Dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen zufolge treten bei drei von 1.000 Darmspiegelung behandlungsbedürftige Komplikationen auf. Meist sind das Blutungen im Zusammenhang mit der Entfernung von Polypen. Die Blutungen könnten in der Regel ambulant behandelt werden. Bei weniger als einer von 1.000 Untersuchungen treten Herz-Kreislauf-Probleme oder Darmdurchbrüche auf. Der Darmdurchbruch ist die schwerwiegendste Komplikation. Sie passiert, wenn mit der Spitze des Koloskops zu viel Druck auf die Darmwand ausgeübt oder die Wand bei der Polypen-Entfernung verletzt wird. Ein Darmdurchbruch wird sofort operiert.
Wenn bei der Untersuchung ein Polyp gefunden und entfernt wird, muss ich dann öfter zur Darmspiegelung?
Werden nur ein bis zwei kleine Polypen gefunden, sollte fünf bis zehn Jahre nach der Entfernung eine erneute Spiegelung durchgeführt werden. Ein auffälliger größerer Polyp oder mehrere kleine deuten darauf hin, dass in den nächsten Jahren weitere Polypen wachsen könnten. Die nächste Spiegelung sollte daher nach drei Jahren erfolgen.
Und wenn Darmkrebs gefunden wird, wie wird dann weiterbehandelt?
Darmkrebs, der noch nicht in andere Organe gestreut hat, lässt sich durch eine Operation komplett entfernen und damit möglicherweise heilen. Solche frühen Formen machen meist noch keine Symptome, sodass sie nur im Rahmen der Früherkennung entdeckt werden können. Wichtig ist es, sich dann an ein Darmkrebszentrum zu wenden, das viel Erfahrung mit der OP hat. Das erkennt man an hohen Fallzahlen. Erfahrung ist zum Beispiel wichtig, um den Schließmuskel und die Nervenfunktion zu schonen. OP-Roboter erzielen hier sehr gute Ergebnisse.
Es ist aber noch nicht bewiesen, dass die Robotertechnik der minimalinvasiven Operation per Laparoskop überlegen ist. Gibt es bereits Metastasen in der Leber oder Lunge, können auch diese an speziellen Kliniken operativ oder radiologisch entfernt werden. Damit werden sogar fortgeschrittene Tumoren in einem begrenzten Umfang heilbar. Neben der Operation gibt es noch die Chemotherapie. Sie kann Tumoren verkleinern und damit operabel machen oder aber ein weiteres Fortschreiten der Erkrankung verhindern.
Immun- und Antikörpertherapien greifen in den Stoffwechsel des Tumors ein und unterdrücken sein Wachstum. Damit haben Patienten eine längere Überlebenszeit mit meist guter Lebensqualität. Die Chemotherapien sind jetzt viel verträglicher. Auch die Bestrahlung ist präziser geworden und beeinträchtigt das umliegende Gewebe weniger stark als früher.
Das Gespräch führte Stephanie Wesely.