Von Thomas Schade
Die Zielperson machte keine Probleme. Immerhin schon 68-jährig, ließ sich Karl Wilhelm D. am Dienstag vor acht Tagen von der Kripo festnehmen, als er am Vormittag gerade ein Bürohaus in Chemnitz betreten wollte.
Vor 17 Jahren in Aachen war das alles noch ganz anders. Da galt Karl Wilhelm D. als einer der wichtigsten Konkursverwalter in der tausendjährigen Kaiserstadt, in der er das Karls-Gymnasium absolviert hatte und als Präsident des Tennisclubs zur guten Gesellschaft zählte. Quasi bei Nacht und Nebel verließ der damals 52-jährige stadtbekannte Rechtsanwalt seine Familie und seine Kanzlei. Mit zwanzig Millionen Mark von Gläubigern, so die Aachener Zeitung, setzte sich D. im März 1986 ins Ausland ab. Vergeblich suchte ihn die Justiz. Erst nach der Verjährung seiner Taten kehrte Karl Wilhelm D. in aller Stille aus Lateinamerika in die Bundesrepublik zurück und ließ sich Ende der 90er Jahre in Leipzig nieder.
Über 400 Fälle illegaler Firmenvernichtung
Ins Visier der Ermittlungsgruppe „Konkurs“ geriet der Rentner mit einschlägiger Insolvenzerfahrung eher zufällig, als einer seiner neuen sächsischen Mitarbeiter im vergangenen Jahr bei einer deutschen Bank ein Konto eröffnen wollte. Dabei war dem Schalterpersonal der griechische Pass des Sachsen nicht geheuer. Es war eine Fälschung. Die folgenden Überprüfungen führten die Ermittler in das Milieu undurchsichtiger Firmensanierungen und schließlich zu Karl Wilhelm D., der inzwischen als Kopf einer Bande so genannter Firmenbestatter agierte, so glaubt das Landeskriminalamt (LKA), wo seit 1998 die spezialisierte Ermittlungsgruppe „Konkurs“ tätig ist.
In mehr als 400 Ermittlungsverfahren kamen die Beamten bisher gezielten Firmenvernichtungen auf die Spur. „Kaufen, plündern liquidieren“, so beschreibt Wolfgang Neuper das immer wiederkehrende System, das jedoch mit sehr verschiedenen Facetten betrieben werde und insbesondere in konjukturell schlechten Zeiten boome. Die Spezialistentruppe wurde ins Leben gerufen, weil gezielte Firmenvernichtungen Ende der 90er Jahre immer häufiger erkennbar wurden.
Als eines von wenigen Bundesländern begann Sachsen, gezielt nach solchen Firmenbestattern zu suchen. Finanzanzeigen in Zeitungen wurden durchforstet und diverse Internet- oder Telefaxangebote ausgewertet. Texte wie „Ich rette Ihre Firma, saniere, beschaffe Kapital“ in Verbindung mit einer Funktelefonnummer – „da klingeln schon Alarmglocken“, sagt Wolfgang Neuper. Insbesondere im Bauhaupt- und Baunebengewerbe, aber auch im Immobilien- sowie im Im- und Export-Geschäft wurden die Ermittler fündig, als sich das Unwesen der Firmenbestatter von Berlin aus auf Sachsen ausweitete. Fachleute befürchteten vor allem, dass dubiose Firmenbestatter im kapitalschwachen Mittelstand des Ostens nicht nur hohen finanziellen, sondern auch erheblichen sozialen Schaden anrichten können. So gingen die Ermittler hunderten Pleiten nach. Das sprach sich offenbar rum und vertrieb dubiose Sanierer, so dass bereits im Gespräch war, die Sondertruppe wieder aufzulösen. Da tauchten die griechischen Pässe auf, deren Überprüfung im Land der Helenen stets ins Leere führte.
Geschäftsführer, ohne viel Ahnung von Geschäften
Auch das Treiben des Karl Wilhelm D. sei nach dem klassischen Muster abgelaufen, „nur etwas raffinierter“, sagt Neupert. Es gab einen kleinen Kern von Leuten um den Ex-Konkursverwalter aus Aachen, die die Fäden zogen und mehrere Strohmänner, die bei Bedarf als Geschäftsführer auftraten, aber von seriösen Geschäften nicht viel verstanden. Nach bisherigen Erkenntnissen des LKA köderten Karl Wilhelm D.s Leute als Unternehmensberatung in Not geratene Betriebe, boten rechtswidrige Inkassotätigkeit an oder versprachen, die Firmen wieder „flottzumachen“. Um die 10 000 Euro mussten die Inhaber angeblich zahlen, um ihre Geschäftssorgen loszuwerden.
Dabei fielen der Truppe von Karl Wilhelm D. offenbar auch Immobilien zu, für die Investitionskredite in Höhe von 4,5 Millionen Euro bei Banken „erschwindelt“ wurden, so das LKA. Mit der Zeit breitete sich vor den „Konkurs“-Ermittlern das bisher umfangreichste Firmenbegräbnis ihrer Tätigkeit aus. Mindestens zwei Dutzend Firmen seien bisher involviert. Die Schäden werden im zweistelligen Millionen-Bereich ankommen, vermutet Wolfgang Neuper.
Am Dienstag vor acht Tagen holte er als Einsatzleiter mit 250 Beamten, Buchprüfern und Computerspezialisten in zehn Bundesländern zum bisher größten Schlag gegen eine Gruppe sächsischer Firmenbestatter aus (SZ berichtete). Neben Karl Wilhelm D. wurden auch drei Sachsen festgenommen. Seit Freitag sitzt ein fünfter Komplize in Untersuchungshaft. Sechs Autos, eine Viertelmillion Euro in bar und weitere Vermögenswerte für zehn Millionen Euro wurden unter beschlagnahmt, so das LKA. Das dürfte auch Gläubiger aus alter Zeit in Aachen freuen, denn deren Ansprüche verjährten nicht.