SZ +
Merken

Kein Datenschutz für ein Verlöbnis

Warum die verwaiste Jungfrau Johanna Christiana Schichtin 1766 ihre Verlobung für nichtig erklären ließ, ist in den Rathausakten detailliert festgehalten.

Teilen
Folgen

Von Ratsarchivar Siegfried Hoche

Der Frauentag ist diesmal Anlass, über die juristischen und realen Verhältnisse, unter denen die Frauen in der Frühneuzeit lebten, nachzusinnen. Die frühneuzeitliche Görlitzerin war durchaus nicht völlig rechtlos und oft dem Ehemann eine sehr selbstbewusste Partnerin. Frauen waren erbberechtigt und konnten selbst Testamente errichten. Die Ehe besaß anders als heute, eine viel größere, ja vitale Bedeutung. Im Schutz der Ehegemeinschaft konnten die Partner viel besser den Widrigkeiten unsicherer Zeiten und einer durch vielerlei Gefahren immer bedrohten Existenz trotzen.

Die Ehefrau vertrat den Gatten zudem auch geschäftlich, wenn er auf Reisen war. Die beruflichen Möglichkeiten, die es Frauen ermöglichten, ein ehrbares und gutes Leben zu führen, waren begrenzt. Besonders in der Ständegesellschaft des 18. Jahrhunderts achtete man auf den sozialen Status des potenziellen Ehepartners. Die Vernunftehe war kein Phänomen der Oberschichten. Die Hochzeit setzte ein öffentliches Verlöbnis voraus. Die Vormünder und das potenzielle Ehepaar mussten ihren Willen vor dem Rat erklären. Dann wurde das Eheversprechen freitags nach der Frühpredigt in der Kirche von zwei ehrbaren Männern von den Eltern und Vormündern abgefordert. Dieses Ehegelöbnis sollte dreimal wiederholt werden und dann die Trauung erfolgen. Mit der Verlobung ging man ein Rechtsverhältnis ein. Ein Eheversprechen zu revidieren, war unüblich und sorgte für einen Skandal.

Am 22. Juli 1766 löste letzteren die selbstbewusste, verwaiste Jungfrau Johanna Christiana Schichtin aus. Sie bat um die Auflösung des Verlöbnisses mit dem Magister Christian Paul Biemann. Als Grund gab sie an, dass er gegen jeden Schritt, den sie gehe, Bedenken hege. Jede Miene und Gebärde erregten seine Eifersucht und wecke die Angst, man könne ins Gerede kommen.

Auch Biemann bat darauf um Auflösung des Verlöbnisses, versuchte aber, der Verlobten die Schuld daran zu geben. Sie würde wohl die Wichtigkeit des Ehestandes nicht einsehen, im besten Falle harmonierten die Gedanken und Gefühle beider wohl nicht. Am Folgetag examinierte Bürgermeister Modrach die verlobten Kontrahenten. Zuerst erhielt die Verlobte das Wort. Biemann habe sie wegen ihrer von ihm zu spät erkannten „Backengruben“ verspottet, aber gemeint, sie wären ein sicheres Mittel gegen die Verführung. In der Stadt habe er überall öffentlich geklagt, dass sie ihm nur 200 Taler, immerhin der Wert eines Bürgerhauses, einbringen würde. Er hätte sich einige hundert Taler mehr versprochen. Zudem habe er sofort nach dem Verlöbnis das Geld an sich gebracht und 50 Taler ohne ihr Wissen verausgabt.

Biemann beschuldigte darauf die Verlobte, trotz seines Verbotes Umgang mit einer übel beleumundeten Magd zu hegen. Die 50 Taler zahle er nur zurück, wenn sie ihm die Verlobungsgeschenke (Ketten, Ringe, Kleider), den sogenannten „Mahlschatz“ zurückgebe. Am 9. August beschied der Rat die Auflösung des Verlöbnisses. Beide mussten eine Geldstrafe von zehn Talern und je zwei Taler Gebühren an den Rat entrichten. Diese Summe entsprach nahezu dem Jahresverdienst des Ratstürmers. Immerhin, beide bekamen die Chance, ihr Eheglück zu finden. Und das war einzig das Verdienst einer selbstbewussten Frau.

Mehr zur Thematik Ehe und Frauenleben erfahren Sie am kommenden Dienstag, 17 Uhr, im Ratsarchiv.