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Kein Geld mehr für die Zivilcourage?

Freie Wähler und AfD in Pirna wollen den städtischen Zuschuss für den Verein streichen, zwei Projekte sind betroffen. Doch das letzte Wort hat der Stadtrat.

Von Thomas Möckel
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Teilnehmer des Projekts "Die gläserne Stadt" im Polizeirevier Pirna: Wie funktioniert eigentlich Polizeiarbeit?
Teilnehmer des Projekts "Die gläserne Stadt" im Polizeirevier Pirna: Wie funktioniert eigentlich Polizeiarbeit? © Norbert Millauer

Die Last ist gewaltig. Francy, Schülerin einer siebten Klasse des Pirnaer Schiller-Gymnasiums, zieht sich eine Schutzmontur der Polizei an, ein Beamter hilft. Als alles sitzt, Helm, Arm- und Beinschutz, schusssichere Weste, hat Francy Mühe, aufrecht stehenzubleiben. "Mann, ist das schwer", sagt sie. 

Unterdessen erklärt Jitka Kraemer, Polizeikommissarin im Pirnaer Revier, den Gymnasiasten, wie die Ermittler so arbeiten: aufpassen, dass keiner gegen das Gesetz verstößt, Straftäter verfolgen, bei Bränden und  Unfällen ausrücken.

Doch bei den Siebtklässlern gibt es auch offene Fragen: Was darf ein Polizist? Was macht einen guten Polizisten aus? Auch all das beantwortet Jitka Kraemer locker und charmant. "Ich wusste gar nicht, dass Polizist ein so anspruchsvoller Beruf ist", sagt Francy.

Einblicke ins öffentliche Leben

Der Besuch der Schüler im Polizeirevier ist Teil des Projektes "Die gläserne Stadt", das der Verein "Aktion Zivilcourage" (AZ) seit 2015 anbietet. Dabei erfahren die Teilnehmer, wie das öffentliche Leben funktioniert, beispielsweise Energieversorgung, Banken, Stadtverwaltung, Polizei. "Die Erfahrungen zeigen, dass es viele Vorurteile und fehlendes Wissen gegenüber solchen Institutionen gibt", sagt AZ-Projektleiter Franz Werner. Aber durch Besuche vor Ort und anschließende Projekte erhielten Kinder und Jugendliche einen direkten Einblick in ihre Stadt. Bisher nahmen über 700 junge Menschen aus Pirna und Heidenau an dem Projekt teil. Doch es gibt ein gravierendes Problem.

Das Projekt steht finanziell auf der Kippe, ebenso das AZ-Projekt "Starke Kinder und Jugendliche vor Ort". Pirna wollte diese Arbeit mit insgesamt 9.000 Euro bezuschussen. Doch schon in der Januar-Sitzung des Ausschusses für Ordnungs-, Kultur- und Bürgerangelegenheiten (OKB) fand der städtische Plan keine Mehrheit. Vor allem auf Betreiben der Freien Wähler und der AfD im OKB wurde der Zuschuss für die AZ gestrichen.

Zuschuss lieber fürs Weinfest

Die Freien Wähler, so Fraktionschef Ralf Böhmer, seien generell daran interessiert, die Vereine der Stadt so maximal wie möglich zu unterstützen. "Vereinsarbeit ist eine nicht hoch genug zu schätzende gesellschaftliche Plattform", sagt er. Gerade deshalb müsse es die Aufgabe der Stadträte sein, Mittelkürzungen nicht zuzulassen.

Bei der AZ kann Böhmer jedoch nicht erkennen, dass der Verein auf städtische Finanzspritzen angewiesen ist. Mit einem Jahresbudget von 1,4 Millionen Euro, so der Fraktionschef, sei die AZ besser aufgestellt als alle Pirnaer Sportvereine zusammen. Er gehe auch davon aus, dass die AZ diese Finanzlücke leicht kompensieren könne. 

Stattdessen schlägt Böhmer vor, das Geld lieber dem Verein "Pirnaer Weinfreunde" fürs Weinfest zugute kommen zu lassen oder im Stadthaus ein Corona-Hilfszentrum für die Einwohner einzurichten. 

Ist das noch Ehrenamt?

Die AfD-Fraktion legt indes großen Wert darauf, dass dieses Zuschuss-Aus fraktionsübergreifend beschlossen worden sei. Dies spreche laut Fraktionschef Bodo Herath für die Eindeutigkeit und Einigkeit bezüglich der getroffenen Entscheidung. 

Die AZ, so Herath, bestehe nach langen Jahren ja nunmehr aus „Berufs-Couragierten“ und „Gratis-Mutigen“. Das bedeute, dass sie mittlerweile einen strukturellen, personellen und finanziellen Status erreicht habe, der schwerlich an ein Ehrenamt erinnere. Für die beiden betroffenen Projekte erhalte die AZ zudem vom Freistaat Sachsen und vom Landkreis einen sechsstelligen Förderbetrag. 

Neben der AZ gebe es andere Vereine und Institutionen in Pirna, die mit einem Bruchteil davon auskommen müssen und ebenfalls einen wichtigen Beitrag für das Gemeinwesen leisten. Daher habe man sich entschieden, die  9.000 Euro kleinen und ebenfalls wichtigen lokalen Vereinen, Institutionen und Aktionen zur Verfügung zu stellen.

AfD beklagt einseitige Arbeit

Darüber hinaus verfolge die AZ mit ihrer Arbeit politische und gesellschaftliche Ziele, die mit dem AfD-Verständnis von der Ausgeglichenheit der Argumente und der Ausgeglichenheit der politischen Positionen innerhalb der Gesellschaft nicht vereinbar seien. Sie betreibe, so Herath, politische Vorfeldarbeit für diejenigen, die die Gesellschaft grundlegend umbauen und transformieren wollen. Dazu trete die AZ  erzieherisch und arrogant auf. Umschrieben werde das mit Bildungs- und Beratungsarbeit, meine aber knallharte Indoktrination derjenigen, die sich diesem Angebot öffnen. "Wir meinen, dass hier seitens der AZ zu einseitig und zu politisch agiert wird", sagt Herath.

Projekte werden stark nachgefragt

Für die AZ indes sind beide Projekte von immenser Bedeutung, um Kinder und Jugendliche ans öffentliche Leben heranzuführen. "Dabei liegt uns fern, die Teilnehmer zu indoktrinieren", sagt AZ-Geschäftsführer Sebastian Reißig. 

Mit dem Projekt "Starke Kinder und Jugendliche vor Ort" arbeite die AZ daran, junge Menschen in ihren sozialen Kompetenzen sowie im Wissen über gesellschaftliche Zusammenhänge zu fördern. Schulen würden dabei insbesondere im Umgang mit schwierigen Situationen unterstützt, beispielsweise bei Gewalt in der Klasse oder Gewalt gegen Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund. "Wir helfen Lehrkräften und Schülern, wieder ein gewaltfreies Miteinander herzustellen" sagt Reißig. 

Darüber hinaus nutzen Schulen die Möglichkeit, sich an historischen Orten politisch zu bilden, unter anderem in der Gedenkstätte Sonnenstein oder bei Fahrten in die Konzentrationslager Theresienstadt und Auschwitz. "Das ist eine optimale Möglichkeit für die Schüler, über die Geschehnisse in der Vergangenheit und ihre Relevanz für die Gegenwart ins Gespräch zu kommen", sagt Reißig. Die Nachfrage sei groß. Innerhalb des Projekts habe es 2019 allein in Pirna 31 Veranstaltungen gegeben. Bleibe der städtische Zuschuss aus, müsste jede Schule, die auf diese Weise mit den Schüler arbeitet, 210 Euro je Workshop zahlen, um den Fehlbetrag auszugleichen.

Letzte Hoffnung Stadtrat

Ein wenig Hoffnung auf den Zuschuss gibt es aber noch. Auf Antrag der Fraktionen "Die Linke" sowie Grüne/SPD, die die Gelder auf alle Fälle gewähren wollen, beschäftigt sich nun der Stadtrat mit diesem Thema. Das Kommunalparlament entscheidet in der Sitzung am 21. April über diese Fördermittel. Die Debatte beginnt 18 Uhr in der Aula des Schiller-Gymnasiums. 

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