Von Michael Rothe
Der erste große Bau-Streik seit dem Krieg hat den Freistaat erreicht. Nachdem auf zwei Baustellen bereits überraschend die Arbeit niedergelegt wurde, läuft der Arbeitskampf heute planmäßig an.
Auf der Baustelle des Kreiskrankenhauses in Freiberg ging gestern gar nichts. „Wir hatten versprochen loszuschlagen, wenn es die Arbeitgeber nicht vermuten, und das haben wir wahr gemacht“, sagt Streikleiter Bodo Remus der SZ. Ursprünglich sollte erst heute der am Montag im deutschen Norden begonnene Ausstand auf Sachsen ausgedehnt werden.
„Unsere Leute waren nicht mehr zu halten“, so Remus, Chef des IG-Bau-Bezirksverbandes Südwestsachsen. Alle 70 Leute aus dem Bauhauptgewerbe hätten mitgemacht. Das mache „Mut für die heute beginnende Südwelle“. Rohrleitungsbauer und andere Nebengewerke sollen aber heute wieder arbeiten dürfen. „Wir wollen keine Fremdfirmen verärgern, die mit dem Tarifstreit nichts zu tun haben“, sagt Gewerkschafter Remus.
Am Morgen habe es eine Streikdemo von der Baustelle hin zum Streikbüro gegeben. Dort hätten sich allein 29 der 35 Beschäftigten von Walter-Bau/Dywidag in die Streiklisten eingetragen und so den finanziellen Zuschuss der Gewerkschaft gesichert. Die IG Bau hat in den Wochen des Tarifkonflikts fleißig die Werbetrommel gerührt und nach eigenen Angaben allein im Freistaat Hunderte neue Mitglieder gewonnen. Auch für die gab‘s gestern Würstchen, Bier und Fußball-WM live im Fernsehen.
Der Ruhm, den ersten Nachkriegs-Baustreik in Sachsen begonnen zu haben, gebührt aber den 30 Beschäftigten der Niederlassung Weißwasser der ISTC Ingenieur-, Straßen- und Tiefbau GmbH Cottbus. „Die hatten sich bereits am Montag dem Arbeitskampf ihrer ISTC-Kollegen in Brandenburg und Berlin angeschlossen“, sagt Dieter Ludwig, Geschäftsführer des IG-Bau-Bezirksverbandes Ostsachsen. „Wir wollten den Streik zeitgleich im gesamten Unternehmen beginnen“, begründet er den Frühstart. Auf Straßenbaustellen in Weißwasser, Bad Muskau und Schleife habe sich kein Rad gedreht.
Dresden: Sechs Baustellen sollen bestreikt werden
Arbeitsverweigerung betrieben gestern auch die Niederlassungsleiter der bestreikten Unternehmen: Weder der für Freiberg zuständige Chemnitzer Ableger von Walter-Bau/Dywidag noch die für Weißwasser verantwortliche ISTC-Filiale in Senftenberg waren zu Stellungnahmen bereit. „Wir akzeptieren diesen Streik absolut nicht“, verlautet lediglich aus der Walter-Zentrale in Augsburg.
Nur wenig mehr war von den Arbeitgeberverbänden zu erfahren. Sowohl Baugewerbe als auch Bauindustrie erklärten aber, auf die Streikwelle im Freistaat vorbereitet zu sein. „Wir hoffen dennoch auf ein baldiges Signal der Gewerkschaft, an den Verhandlungstisch zurückzukehren“, sagt Irina Poldrack, Sprecherin der Verbandes der sächsischen Bauindustrie.
Hinter den Kulissen gab es gestern Abend am Rande einer Routinesitzung der Bau-Sozialkassen in Wiesbaden wieder erste Kontakte der Verhandlungsführer. „Aber das übliche gemeinsame Abendessen wurde abgeblasen nach den Vorkommnissen bei Nitzsche & Weiß in Chemnitz/Grüna“, sagt Klaus Bertram, Chef des sächsischen Baugewerbeverbandes (SBV). Während der Warnstreiks war es am Verwaltungsgebäude der Firma von SBV-Präsident Knut Nitzsche zu Handgreiflichkeiten und Sachbeschädigung gekommen. Die Gewerkschaft weist jede Schuld von sich.
Heute läuft der Streikmotor in Sachsen heiß. Nach SZ-Informationen soll die Arbeit auf rund 20 Baustellen ruhen, ein halbes Dutzend davon in Dresden. Gestern hatte die Gewerkschaft den Streik im Norden, in Berlin, Magdeburg und im Ruhrgebiet fortgeführt. Laut IG Bau haben sich 9 000 Beschäftigte auf 550 Baustellen beteiligt.