SZ + Zittau
Merken

Normalbetrieb in der Kita? Von wegen!

Kinder können keinen Abstand halten und Erzieherinnen keine Maske tragen. In Kitas herrscht Ausnahmezustand unter Corona-Bedingungen. Ein SZ-Report.

Von Jana Ulbrich
 4 Min.
Teilen
Folgen
Alle wieder da: Auch in den Kitas herrscht wieder "Normalbetrieb". Normal ist dort allerdings gar nichts.
Alle wieder da: Auch in den Kitas herrscht wieder "Normalbetrieb". Normal ist dort allerdings gar nichts. © dpa/Monika Skolimowska (Symbolfoto)

Der kleine Ole, fast vier, weint bitterliche Tränen. Silke Hiller nimmt den Jungen in den Arm. Trösten kann man ein Kind nicht aus anderthalb Metern Abstand. Silke Hiller ist eine erfahrene und sehr engagierte Erzieherin. Aber das, was sie hier gerade mitmacht, das bringt auch sie an ihre Grenzen. "Es bringt uns alle an die Grenzen", sagt sie. An einen "Normalbetrieb" unter Corona-Bedingungen, wie er seit heute in Sachsens Kitas wieder stattfinden soll, ist nicht zu denken.

Und trotzdem lacht Silke Hiller mit den Kleinen in ihrer Gruppe hier in der Awo-Kita "Jäckelknirpse" im Löbauer Ortsteil Ebersdorf. Die Kinder können das sehen. Silke Hiller trägt ja keinen Mundschutz. Obwohl die 58-Jährige theoretisch zur Risiko-Gruppe gehört. Und obwohl auch den Kita-Erzieherinnen das Tragen einer Maske "dringlich empfohlen" ist. Aber erziehen mit Maske? "Das geht nicht", sagt Silke Hiller.

Im Schoß seiner Erzieherin hat sich der kleine Ole schnell wieder beruhigt. Wenn Frau Hiller lacht, ist ja alles in Ordnung. "Ich will aber keinen Mittagsschlaf machen", sagt der Fast-Vierjährige jetzt bestimmt und setzt sich wieder auf seinen Platz am Mittagstisch. Silke Hiller schmunzelt: "Na, das werden wir ja sehen." 

Sie hat die Tische im Zimmer so weit es geht auseinandergerückt, damit die kleine Gruppe mit möglichst viel Abstand essen kann. Obwohl das wahrscheinlich völlig unnötig ist. Kita-Kinder kann man nicht den ganzen Tag auf Abstand halten. "Wir merken schon sehr deutlich, dass die Kinder auch alle überfordert sind mit der Situation", sagt die Erzieherin.

Rot-weiße Absperrbänder teilen den Garten der Kita in "Sektoren". Auch wenn die Kinder draußen spielen, bleiben die Gruppen strikt getrennt.
Rot-weiße Absperrbänder teilen den Garten der Kita in "Sektoren". Auch wenn die Kinder draußen spielen, bleiben die Gruppen strikt getrennt. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Silke Hiller hat keine Angst, sich mit dem Corona-Virus anzustecken. "Dann könnte ich meine Arbeit hier nicht machen", sagt sie. Die Awo Oberlausitz, die 20 Kitas im ganzen Landkreis Görlitz betreibt, hat es den Erzieherinnen und Erziehern überlassen, einen Mundschutz zu tragen oder nicht. 

Wie Silke Hiller verzichten aber viele darauf: "Wenn Kinder nur die Augen sehen und keine Mimik, dann wirkt das völlig verstörend", sagt sie. "Kinder müssen sehen und erkennen, was und wie ich etwas sage. Das ist ganz wichtig. Sie können nicht an den Augen ablesen."

An diesem ersten Tag  sind bereits mehr als die Hälfte aller angemeldeten "Jäckelknirpse" wieder da. Einrichtungsleiterin Andrea Tadewaldt ist froh, dass ein Teil der Eltern ihre Kinder noch zu Hause behält. Denn vor allem personell ist das von der Landesregierung ausgetüftelte Corona-Konzept in den Kitas nur schwer machbar.

Gruppenzwang bringt Personalprobleme

Um die Ansteckungsgefahr so weit wie möglich zu begrenzen, sollen die einzelnen Kita-Gruppen strickt voneinander getrennt bleiben und auch nur von ein und derselben Person betreut werden. Erzieherinnen und Erzieher dürfen nicht als Springer arbeiten. Das macht es äußerst schwierig, den Betrieb einer Einrichtung personell abzusichern - vor allem auch, weil die Öffnungszeit der Kitas länger sind als die Arbeitstage der Mitarbeiter. Viele Kitas haben deshalb ihre Öffnungszeiten reduziert. Nicht bei allen Eltern stößt das auf Verständnis.

Kreuz und quer durch den schönen Garten der "Jäckelknirpse" hat der Hausmeister rot-weißes Absperrband gezogen und das Gelände in möglichst sinnvolle "Sektoren" eingeteilt. Die Kinder haben am Vormittag schnell gelernt, dass sie ihren "Sektor" beim Spielen nicht verlassen dürfen. Auch das, sagt Silke Hiller, sei den Kleinen am Morgen nur schwer zu vermitteln gewesen. "Aber zum Glück ist der Garten schön groß. So können wenigstens alle gleichzeitig draußen sein." Die Kinder werden sich schnell auch daran gewöhnen. So, wie sie jetzt auch alle ganz fleißig ihre Hände waschen.

Träger sehen Entwicklung mit Sorge

Die Träger der Kitas sehen die Entwicklung mit Sorge. Zittaus Oberbürgermeister Thomas Zenker (Zkm) hatte für die Stadt sogar erwogen, gegen eine Wiedereröffnung  zu klagen. Auch Awo-Geschäftsführer Albrecht Wagner sieht die Lage kritisch. Zwar hätten sich alle Einrichtungen so gut wie möglich auf die Wiederaufnahme aller Kinder vorbereitet, zwar wäre der erste Tag ruhig und geordnet verlaufen und die Eltern hätten viel Verständnis gezeigt, aber jetzt müsse sich erst einmal zeigen, ob das Konzept durchzuhalten ist.

Vor allem personell: "Es kommt die Ferien- und Urlaubszeit, Mitarbeiter können krank werden", sagt Wagner. "Wir haben da überhaupt keine Spielräume." Uwe Lammel, Geschäftsführer des DRK in Zittau, das drei Kitas in Oderwitz, Olbersdorf und Seifhennersdorf betreibt, sieht neben dem personellen auch inhaltliche und soziale Probleme:

"Wir müssen uns auch fragen: Was macht das mit den Kindern?", sagt er. "Wie begreifen und verstehen sie diese Maßnahmen?" Unklar sei auch, wie lange die Phase jetzt dauern soll und was aus den Bindungs- und Bildungskonzepten wird, die unter den Corona-Bedingungen nicht machbar sind.

Mehr Nachrichten aus Löbau lesen Sie hier.

Mehr Nachrichten aus Zittau lesen Sie hier.