Tillich fordert mehr Tempo für den Strukturwandel

Volldampf? Fehlanzeige! Wer glaube, dass die Bundesregierung im Eiltempo daran gehe, die Vorschläge der sogenannten Kohlekommission in ein Gesetz zu gießen, der irre. Das sagte ein kritischer Stanislaw Tillich am Donnerstagabend in Weißwasser. Die Landtagsfraktion von Bündnis 90 /Die Grünen hatte eingeladen, um über den Strukturwandel und den Abschlussbericht der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ zu diskutieren. Neben dem Kommissions-Kovorsitzenden Tillich war Kommissionsmitglied Gunda Röstel, Managerin und frühere Grünen-Sprecherin, zu Gast. Hinzu kamen später Vertreter aus der Region.

Tillich und Röstel machten deutlich, dass es ihnen an konkreten Schritten vonseiten des Bundes fehle. „Am 30. April soll ein Maßnahmengesetz durch den Bundestag für den Strukturwandel beschlossen werden. Aber es ist noch nichts da“, so Stanislaw Tillich. Er sei zweimal zu Gesprächen im Bundeskanzleramt gewesen – doch erkennbar sei dort nichts.
Unbehagen gegenüber der Regierung wurde hörbar in Weißwasser, aber auch deutlich gutes Miteinander der beiden ehemaligen Kommissionsvertreter. Das Gremium gebe es tatsächlich nicht mehr, sagte die Beiden mit spürbarer Erleichterung. Weil die Arbeit viel mehr Zeit gekostet habe, als die „so etwa fünf Sitzungen“, die beispielsweise Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer gegenüber Gunda Röstel angekündigt hatte.
Die Kommissionsmitglieder stünden aber nach wie vor teilweise in Kontakt. Nicht nur, weil sie in der letzten entscheidenden Nacht vom 25. auf den 26. Januar zusammen Pizza gegessen haben. Es sei gelungen, einen Dialog in Gang zu bringen und einen Kompromiss zwischen völlig unterschiedliche Interessengruppen zu erzielen. Wirtschaft und Umweltverbände, Arbeitnehmervertreter und Regionalpolitiker – alle eingebunden in die Kommission – hatten sich geeinigt auf einen Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2038. Und auf Milliardenhilfen für die betroffenen Regionen. „Es hat keine Gewinner gegeben“, sagte Gunda Röstel. Trotzdem halten sich alle Seiten mit Kritik zurück. Noch. „Wenn nicht endlich etwas passiert, wird es schwierig, dass sie weiter stillebleiben“, betonte Stanislaw Tillich.

Er ging auch auf die Kritik ein, dass die Kommission später als gedacht, und nicht Mitte Dezember 2018, ihren Abschlussbericht vorgelegt hatte. „Der Text war fertig, wir mussten nur noch ein paar offene Stellen füllen.“ Doch dann habe Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) überraschend gesagt: „Ich habe nichts, ich gebe nichts.“ Gemeint war Geld für den Ausstieg aus der Kohle und für den Strukturwandel. Mit diesem Nein hätten sich die Ministerpräsidenten der betroffenen Kohlereviere aber nicht zufriedengeben können. Deswegen sei weiter verhandelt worden. Auch jetzt sei Manches strittig. So sei der Bund von dem angeregten Staatsvertrag in Sachen Strukturwandel nicht begeistert.
Kritik kam aus dem Publikum in Weißwasser unter anderem daran, dass die Kommission sich nicht konkret gegen die Abbaggerung weiterer Dörfer ausgesprochen habe. „Da gab es keinen Kompromiss“, gab Gunda Röstel zu. Dazu müsse es Verhandlungen mit den betroffenen Tagebaukonzernen wie der Leag in der Lausitz und der Mibrag im Raum Halle-Leipzig geben. „Wir greifen mit dem Ausstiegsdatum ja schon ein in unternehmerisches Eigentumsrecht und in bestehende Verträge“, so Röstel. Da müsse man sich einigen – auch über eine Entschädigung an die Kohleförderer.
Sie regte an, ganz neuen Themen in der Lausitz eine Chance zu geben, zum Beispiel der Bioökonomie. Hier könnten Medizinprodukte auf Basis von Tabak- und Hanfpflanzen entwickelt werden. „Dahin geht der Trend und sie haben die Fläche für den Anbau“, rief Röstel den rund 60 Zuhörern zu. Es gebe in Dresden einen Pharmakologen, der bereits mit der Bürgermeisterin der südbrandenburgischen Stadt Welzow genau darüber spreche.

Eingeladen zur Diskussionsrunde war auch Heike Zettwitz, Wirtschaftsdezernentin des Landkreises Görlitz. Der ist vom Kohle-Aus betroffen, weil dort zwei Tagebaue und ein Kraftwerk viele Jobs bieten. Zettwitz stellte konkrete Forderungen für die Lausitz in den Raum. Die Elektrifizierung von Bahnstrecken müsse kommen. „Es muss zum Beispiel möglich werden, in 80 Minuten von Weißwasser nach Berlin zu fahren, und das stündlich“, so Zettwitz. Die Digitalisierung dürfe nicht verschlafen werden. Die Lausitz solle wirklich Modellregion für den künftigen Internet-Standard 5 G werden. Außerdem müssen Bildung und die Ankurbelung von Unternehmensgründungen zum Schwerpunkt werden.
Diese Punkte griff Weißwassers Oberbürgermeister Torsten Pötzsch auf. „Wichtig ist für uns, dass Vorhandenes gestärkt wird. Wir wollen nicht wieder einen großen Spieler haben, von dem wir abhängig sind.“ Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) habe gefühlt 30 Regionen eine Batteriefabrik versprochen, auch der Lausitz. Gebaut werde sie nun woanders. „Aber darüber bin ich eher froh. Wir haben ja in Dresden gesehen, wie es mit der Solarindustrie gewesen ist. Auf die hat man gesetzt und sie war schnell wieder weg“, so Pötzsch.

Wichtiger sei, die mittelständischen Unternehmen zu unterstützen, die es gibt. Der Oberbürgermeister machte auch deutlich, dass die Region momentan gar nicht so viele Arbeitskräfte habe, wie gebraucht werden. Und er führte an einem kleinen Beispiel an, wie viele Hürden der Strukturwandel zu nehmen hat. Wenn man die Eisenbahnstrecke von Weißwasser nach Berlin elektrifizieren wolle, müsse dafür in Weißwasser eine Brücke um einen bis anderthalb Meter angehoben werden, damit die entsprechenden Leitungen darunter passen. Aber niemand weiß, wie man das bewerkstelligen soll.
Franziska Schubert, finanzpolitische Sprecherin der Grünen im Sächsischen Landtag wünschte sich für den Landtag „etwas vom Geist der Kohlekommission, um besser und konstruktiver zusammenzuarbeiten“. Und sie sagte, auch bei der Landesregierung sei noch viel zu leisten. So gebe es jetzt bei der Staatskanzlei zwar eine neue Abteilung 5 für den Strukturwandel. Dort seinen aber drei von vier Referaten bislang nicht besetzt.
Mehr Zusammenarbeit zwischen Sachsen und Brandenburg – wünschte sich die Podiumsrunde. Vielleicht auch auf Basis eines Staatsvertrages zwischen den Ländern. „Wir müssen eine Identität für die Region finden“, so Tillich. Um dem Thema näher zu kommen, gibt es ab April in der Lausitz eine Bürgerbefragung – online, per Post und mit Ständen vor Supermärkten und an anderen Orten, kündigte Heike Zettwitz vom Kreis Görlitz an.