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Kinder-Psychiatrie vor dem Aus?

Die Oppacher Neurologin Martina Dewey betreut junge Patienten aus ganz Ostsachsen. Nun ist ihre Arbeit in Gefahr.

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Von Carina Brestrich

Manchmal ist die Natur die beste Medizin. Deshalb ist der große Garten neben ihrem Praxisgebäude einer der wichtigsten Behandlungsorte für Dr. Martina Dewey. Die Neurologin und Fachärztin für Psychiatrie hat ihre Räume im idyllisch gelegenen Oppacher Ortsteil Picka. In dem Haus betreut die Ärztin gemeinsam mit derzeit fünf Mitarbeitern neben Erwachsenen vor allem psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche. Viel lieber aber ist Martina Dewey mit ihren Patienten im Garten. Zwischen den üppigen Rhododendronbüschen, dem plätschernden Teich und dem kleinen Schotterweg erlebt sie ganz andere Therapieerfolge, sagt sie. „Die Kinder sind hier draußen anders, sie öffnen sich einem auf andere Weise.“ Umso besorgter aber blickt die Psychotherapeutin nun in die Zukunft: Denn momentan ist ungewiss, wie lange sie die Kinder und Jugendlichen in der bisherigen Form betreuen kann.

Dabei ist Martina Dewey Anlaufpunkt für Familien aus ganz Ostsachsen. Rund 240 Kinder und Jugendliche kommen mit ihren Familien regelmäßig nach Oppach. Der Großteil ihrer jungen Patienten leidet an Entwicklungsstörungen, Ängsten, Depressionen, Autismus oder ADHS, dem sogenannten Zappelphilipp-Syndrom. Behandelt werden sie bei Dr. Martina Dewey nach dem sozialpsychiatrischen Ansatz. Die Medizinerin ist eine von wenigen in Sachsen, die diese Therapie für Kinder und Jugendliche anbietet. Der Unterschied zu herkömmlichen Psychotherapien: Das gesamte Umfeld wird in die Behandlung einbezogen. „Ich bin dafür in Kontakt mit Lehrern, Ämtern, Schulpsychologen, Ergotherapeuten oder anderen Personen, die mit den Kindern zu tun haben“, erklärt Dr. Dewey.

Ab 1. Oktober aber könnte damit Schluss sein. Denn Martina Dewey muss laut Gesetz für ihre sozialpsychiatrische Tätigkeit einen Sozialpädagogen und einen Heilpädagogen vorhalten. Und genau dort liegt die Krux: Denn bald geht ihre angestellte Sozialpädagogin in Elternzeit, einen Ersatz konnte Martina Dewey bisher nicht finden. „Bei dem Fachkräftemangel in unserer Region ist es schwer Bewerber zu bekommen, die sich den Aufgaben hier gewachsen fühlen“, sagt Martina Dewey. Die Medizinerin hat inzwischen Erfahrung bei der Personalsuche: „Durch Schwangerschaft, Wegzug oder Weiterbildung hab ich schon mehrmals Mitarbeiter gehenlassen müssen.“ Seit Jahren macht sie deshalb die Krankenkassen und die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen (KVS) auf die Probleme aufmerksam. „Bisher habe ich zum Glück doch immer Ersatz gefunden.“

Diesmal ist das allerdings anders. So hatte Martina Dewey zwar ausgebildete Psychologen zum Bewerbungsgespräch da, diese hatten allerdings nicht die gesetzlich geforderten Qualifikationen. Deshalb bat sie zu Jahresbeginn die Kassen und die KVS erneut um Hilfe. Martina Dewey schlug ihnen vor, zeitweise die sozialpsychiatrische Betreuung nur mit ihrer Heilpädagogin fortzuführen und die Kinderzahl solange zu reduzieren. „Auf die Qualität unserer Arbeit hätte das ja dann keinen Einfluss. Die Abläufe bleiben wie bisher, nur eben, dass in der Zeit weniger Kinder behandelt werden“, erklärt die Fachärztin.

Die Kassen und die KVS sehen das jedoch nicht so. Sie wollen dem Vorschlag von Martina Dewey nicht zustimmen. Und, dass obwohl es über sogenannte Selektivvereinbarungen die gesetzliche Möglichkeit gebe, Ausnahmen wie von Frau Dewey vorgeschlagen, zuzulassen. „Diese Möglichkeiten wurden selbstverständlich geprüft“, erklärt Dirk Bunzel, Sprecher des Verbandes der Ersatzkassen. Allerdings setze der Gesetzgeber den Krankenkassen strenge Vorgaben. So müsse die Ausnahmelösung mindestens die sonst üblichen Qualitätsvorgaben erfüllen. Aber: „Eine Selektivvereinbarung mit fehlendem qualifiziertem Personal liegt sogar unter diesen Mindestvoraussetzungen“, erklärt Bunzel. Dies verbiete sich daher nicht nur aus gesetzlicher Hinsicht, sondern auch in Verantwortung gegenüber den Versicherten. Genauso sieht das auch die KVS. „Kriterium für eine Genehmigung ist nicht nur die Quantität der Versorgung, sondern auch die Qualität“, erklärt Ingo Mohn, Sprecher der KVS.

Dr. Martina Dewey schüttelt darüber nur den Kopf. Denn sie sieht in ihrem Vorschlag keine Verschlechterung der Qualität. „Ich habe das Gefühl, bei den Behörden weiß keiner, wie wir hier tatsächlich arbeiten.“ Stattdessen fühlt sie sich von der KVS und den Kassen alleingelassen. „Es geht hier nicht um mich, sondern um die vielen Kinder und Jugendlichen, die nicht mehr sozialpsychiatrisch betreut werden können“. Schließlich gebe es den nächsten Therapeuten ihrer Art erst in Pirna.

Um aber weiterhin in Oppach für die jungen Patienten da sein zu können, hat sie sich vor zwei Monaten mit einem Brief an die Sozialministerin gewandt. Bis heute allerdings hat sie keine Antwort bekommen. Die KVS und die Kassen betonen, dass sie eine Lösung anstreben. „Durch die Krankenkassen wurde inzwischen eine Sonderlösung für Frau Dr. Dewey angestoßen“, sagt Dirk Bunzel vom Verband der Ersatzkassen. Ihre Zustimmung dazu habe die KVS bereits signalisiert. Fraglich ist nur, wie die Lösung aussieht. Bis heute schweigen sich die Stellen darüber aus. Auch gegenüber Dr. Dewey. „Viele Eltern fragen mich, wie es nun für ihre Kinder weitergeht. Ich kann ihnen aber keine Antwort geben,“ sagt sie.