Von Frank Andert
Der 150. Todestag von Moritz Retzsch (1779-1857) am 11. Juni 2007 fand in Radebeul kaum Beachtung. Schade eigentlich, denn mit seinem berühmten Entwurf für den Winzerumzug von 1840 hat sich der Maler und Illustrator, der einen Großteil seines Lebens auf dem eigenen Gut an der heutigen Weinbergstraße verbrachte, einen festen Platz im Bildgedächtnis der Lößnitz reserviert. Da war er schon ein gestandener Künstler und hatte sich mit seinen Umrissradierungen zu den Werken großer und weniger großer Dichter – Goethe, Schiller, Shakespeare oder A. von Tromlitz – internationales Renommee erworben.
Aquarellierte Zeichnungen
Intime Einblicke in die künstlerischen Anfänge von Moritz Retzsch und die seines zwei Jahre älteren Bruders August (1777-1835), später ebenfalls ein Landschaftsmaler von Rang, gibt ein gerade noch pünktlich zum Jubiläumsjahr im Verlag der Kunst Dresden erschienener Band unter dem Titel „Bilder einer Kindheit. Das malerische Tagebuch der Brüder Retzsch 1795-1809.“ In bestechender Qualität (Fotos: Ernst Hirsch) ist darin eine Serie von 90 farbenfroh aquarellierten Federzeichnungen reproduziert, in denen die talentierten Brüder gemeinsam persönlich bedeutsame Szenen ihrer auf dem Retzschgut in der Oberlößnitz verbrachten Jugend im Bild eingefangen haben.
Gesellschaftsspiele mit den Nachbarskindern, ausgelassene Streiche, Vergnügungen in den Weinbergen und im Lößnitzgrund, Ausflüge in die nähere Umgebung, an die Elbe, nach Kötzschenbroda, Kaditz, Scharfenberg oder in den Friedewald, musikalische Unterhaltungen, private Momente, Unwetter oder Hochwasser – was man heute als Schnappschuss per Kamera oder Handy festhalten würde, die Brüder Retzsch haben’s anderthalb Jahrzehnte lang mit zunehmender Meisterschaft und Detailgenauigkeit in ihren Skizzenbüchern verewigt.
Das so entstandene Album, das seit 1892 zusammen mit dem Retzsch-Nachlass im Dresdner Kupferstichkabinett verwahrt wird, ist ein einzigartiges Zeugnis bürgerlicher Alltags- und Jugendkultur der Zeit der Romantik und bringt, kaum beeinflusst von akademischen Manieren, pure, im besten Sinn naive Malfreude zum Ausdruck.
Für Freunde der Radebeuler Geschichte interessant ist zudem, dass es die Lößnitzlandschaft vor dem Bauboom des 19. Jahrhunderts dokumentiert, ländlich-sittlich, von ursprünglichem Reiz.
Originalzitate
Die abgebildeten Zeichnungen sind zumeist mit kurzen Originalzitaten der Brüder kommentiert. Das kenntnisreiche Vorwort des Herausgebers Herrmann Zschoche, bekannt vor allem als Film- und Fernsehregisseur („Sieben Sommersprossen“, 1978), hätte etwas umfangreicher ausfallen dürfen. Und bedenkt man, dass die Retzsch-Brüder zu Beginn ihres Albums 16 und 18 Jahre alt waren, wäre der Titel „Bilder einer Jugend“ wohl angemessener gewesen. Doch auch so ist der in jeder Beziehung ansprechende Bildband ein heißer Tipp für Radebeuler und Freunde der Lößnitzstadt.
Herrmann Zschoche (Hg.): Bilder einer Kindheit, Verlag der Kunst Dresden, 132 Seiten, broschiert, 17,95 Euro