Kleinere Chance aufs Abi?

Drei neu fünfte Klassen wird es an der Park-Oberschule in Zittau kommendes Schuljahr wahrscheinlich geben. Schulleiter Werner Dietzschkau hat mit 109 Anmeldungen genug, um vier neue Klassen aufzumachen. Aber der Platz gibt das beim besten Willen nicht her. Zwar zieht die Parkschule im Sommer zurück von ihrem Übergangsquartier in ihr bald frisch saniertes Stammgebäude. Aber dort fehlt noch der Anbau, der immerhin sechs Klassenzimmer mehr bieten würde.
Nicht nur die Park-Oberschule hat wieder viele Anmeldungen zu verzeichnen. Kreisweit haben sich etwa zwei Drittel der jetzigen Viertklässler entschieden, kommendes Schuljahr eine Oberschule zu besuchen. Die meisten von ihnen hatten auch eine entsprechende Bildungsempfehlung für eine Oberschule, knapp 59 Prozent. Knapp 41 Prozent der Viertklässler haben eine Bildungsempfehlung fürs Gymnasium erhalten. Ein Verhältnis, das sachsenweit anders aussieht: 48,4 Prozent der Viertklässler erhielten in Sachsen eine Bildungsempfehlung fürs Gymnasium und 51,5 Prozent eine für die Oberschule.
Dabei gibt es, nimmt man den Freistaat-Schnitt nach Regionen auseinander, große Unterschiede. In Dresden haben laut Antwort auf eine Landtagsanfrage sogar 58,9 Prozent der Viertklässler eine Gymnasial-Empfehlung erhalten. Aber auch, wenn man die ländlich geprägten Regionen vergleicht, hat der Kreis Görlitz bei den Gymnasiumsempfehlungen eine verhältnismäßig niedrige Prozentzahl stehen. Neu sei diese Entwicklung nicht, sagt Werner Dietzschkau. Zum Vergleich: Im Kreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge haben 47 Prozent der Kinder eine Empfehlung fürs Gymnasium erhalten, im Kreis Bautzen 44,5 Prozent.
Petra Zais, bildungspolitische Sprecherin der Grünen in Sachsen, vermutet, dass bei den regionalen Unterschieden das stärkere Bildungsnetz in den Städten eine große Rolle spielt, das Schulangebot vor Ort. Der Kreis Görlitz kommt auf acht Gymnasien, davon ein freies, und 22 staatliche und mehrere freie Oberschulen. Dass sich dieser Unterschied im Schulartenangebot über die Jahre unbewusst auf die Bildungsempfehlungen ausgewirkt hat, schließt Jens Drummer vom Bautzener Standort des Landesamtes für Schule und Bildung (Lasub) aber aus.
Das Lasub sitzt gerade über den Planungen für die neuen fünften Klassen. Gerade bei den Oberschulen im Kreis Görlitz sei das keine einfache Aufgabe. Die Anmeldungen übersteigen zunehmend die Kapazitäten. Wenn es also einen Zusammenhang gäbe zwischen Bildungsempfehlung und Kapazitäten, dann müssten zur Entspannung an den Oberschulen eher mehr Kinder aufs Gymnasium empfohlen werden.
Ob die Grundschullehrer im Kreis besonders streng sind in ihren Bewertungen? Davon geht Steffen Kleint, Leiter der Grundschule Schöpstal, nicht aus. „Die Bewertungsmaßstäbe sind sachsenweit gleich“, erklärt er. „Ich glaube aber, das Verhältnis ist bei uns realistischer“, sagt er mit Blick auf spätere Berufswege. Sehr positiv sieht er, dass sich das Verhältnis der Eltern zu der Frage „Oberschule oder Gymnasium?“ entspannt habe in den vergangenen Jahren. „Der Drang aufs Gymnasium war früher ein anderer.“ Er vermutet, das Bewusstsein ist stärker geworden, dass es auch noch andere Wege zum Abi gibt. Auch, dass die Bildungsempfehlung nicht mehr bindend ist, habe die Sache entspannter gemacht.
Raj Kollmorgen, Professor für Soziologie an der Hochschule Zittau/Görlitz sieht vor allem zwei Gründe für die verhältnismäßig wenigen Gymnasialempfehlungen im Kreis Görlitz. Punkt eins ist die Demografie. Mit der starken Abwanderung in den 90er und 2000er Jahren sind auch viele akademisch geprägte Familien weggezogen, um andernorts Arbeit zu finden. Punkt zwei ist die Wirtschafts- und Sozialstruktur.
Östlich von Dresden haben sich einst nicht die großen Bildungsträger wie Universitäten angesiedelt. Entwicklungen, die lange zurückreichen. Wirtschaftlich ist der Landkreis geprägt durch Braunkohle, Maschinenbau, viel Handwerk. Auch dafür brauche es natürlich Akademiker, aber ihre Schicht ist weniger stark ausgeprägt wie in Regionen mit mehr wirtschaftlicher Forschung und Entwicklung als in der Oberlausitz. Und das schlage sich auch auf nachkommende Generationen durch, erklärt Raj Kollmorgen. „Wir tendieren dazu, unsere Kinder auf eine ähnliche Schullaufbahn zu schicken, wie wir sie selbst genommen haben.“
Das sei keine Frage der Intelligenz, sondern habe eher damit zu tun, dass man tendenziell versucht, seinen Kindern ähnliche Erfahrungswerte mitzugeben. Es gab und gibt auch Bemühungen, Entwicklungen aufzubrechen, Forschung und Wissenschaft anzusiedeln, nicht zuletzt durch die Hochschule, Senckenberg, Forschungsabteilungen und Wissenschaftsinstitute in der Oberlausitz.
„Dabei muss man aber ganz nüchtern festhalten, dass sich eine solche Ansiedlungspolitik nicht eins zu eins in die gewünschte Wirkung übersetzt“, erklärt Kollmorgen. Denn viele, die durch solche Institutionen beruflich nach Görlitz kommen, verlegen nicht unbedingt auch ihren Lebensmittelpunkt in die Oberlausitz, sondern pendeln. Heißt, ihre Kinder gehen nicht hier zur Schule, sondern in Dresden, Leipzig, Berlin.
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