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Klimafreundlich mobil – Ein Stadt-Land-Vergleich

Eine Familie aus Dresden lebt ohne Auto, eine andere auf dem Dorf mit E-Fahrzeug. Sie zeigen, wo Chancen, aber auch Grenzen sind. Teil 6 unserer Klima-Serie.

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Fahrrad oder Auto - Nadine Kadic und Sven Saalfrank-Mittenzwei verglichen für Sächsische.de ihre Mobilität.
Fahrrad oder Auto - Nadine Kadic und Sven Saalfrank-Mittenzwei verglichen für Sächsische.de ihre Mobilität. © Matthias Rietschel/Andreas Kretschel

Von Melanie Schröder

Ein typischer Wochentag: Der Wecker klingelt gegen 5.30 Uhr – sowohl in Dresden als auch im 110 Kilometer entfernten Reinsdorf bei Zwickau. An beiden Orten starten zwei Familien in den Tag. Frühstück, Bad, Anziehen und los. So weit so ähnlich. Doch spätestens, wenn die Wohnungstür ins Schloss fällt, unterscheiden sich die Routinen von Nadine Kadic und Sven Saalfrank-Mittenzwei.

Den Weg zu Kita und Arbeitsplatz legen sie verschieden zurück. Komplett autofrei versus E-Antrieb auf vier Rädern. Beiden ist wichtig, umweltschonend mobil zu sein. Doch das funktioniert in der Stadt ganz anders als auf dem Land.

Die Ausgangssituation

Selbst bei Wind oder Regen schwingt sich Nadine Kadic aufs Rad. 15 Minuten fährt sie zur Arbeit in der Dresdner Innenstadt. Ihre Kleidung ist auf jede Wetterlage angepasst. Auf dem Rückweg am Nachmittag holt sie ihre Kinder von Kita und Schule ab. Die Einrichtungen sind von der Wohnung acht Minuten zu Fuß entfernt. Zusammen werden dann noch Kleinigkeiten eingekauft, so wie jeden Tag. In ihrem autofreien Leben verzichtet die Familie auf Wocheneinkäufe, um nicht schleppen zu müssen. Schon bei der Wohnungssuche hat Kadic auf kurze Wege geachtet. „Das bedeutet auch, dass wir nicht zum besten Zahnarzt der Stadt fahren, sondern uns mit Angeboten in der Nachbarschaft zufriedengeben.“

Bequemer mag da das Leben von Sven Saalfrank-Mittenzwei wirken. Mit Sohn und Frau wohnt er in einem Häuschen in Reinsdorf. Er spurtet ein paar Treppen nach unten und steht schon in der Garage vor seinem E-Auto. Alle Wege erledigt er mit dem Renault Zoe, der über eine Wandladestation getankt wird. „Ich habe täglich 30 Kilometer Arbeitsweg hin und zurück. Meinen Sohn bringe oder hole ich auf einer Strecke aus der Kita.“ Ob sich die Pendelei anders organisieren ließe – die Frage lässt den Vater stöhnen. Zwar seien es bis zur Bushaltestelle nur 150 Meter zu Fuß, auch Supermarkt, Bäcker und Fleischer gebe es im Ort.

Aber die junge Familie kauft überwiegend im Zwickauer Biomarkt ein. Diesen Weg erledigt Saalfrank-Mittenzwei mit dem Auto. „Unseren Sohn müsste ich zudem mit dem Rad zur Kita bringen. Der Bus wäre zu teuer und langsam.“ Doch sieben Kilometer über Stock und Stein am Wald entlang und dann noch einmal zehn Kilometer bis zur Arbeit – „das halte ich nicht für schaffbar. Ich müsste täglich eine Stunde eher los. Und im Winter kann ich mir das nicht vorstellen.“

Die Vor- und Nachteile

„Ohne Auto zu leben, schränkt uns auf jeden Fall ein“, erklärt Kadic. Urlaubsreisen können nur ins Umland stattfinden. Wenn ein Kind krank wird und nicht bis zum Arzt um die Ecke laufen kann, wird ein Taxi gerufen. Oder es wird mit dem Bollerwagen gezogen. Auch Ausflüge müssten genauer geplant werden. „Wenn wir als Familie zum Beispiel zu Ikea wollen, können wir nicht wenig später am anderen Ende der Stadt sein.“ Deshalb sucht Kadic dann einen Spielplatz in der Nähe. All das nennt sie eine Frage der Gewöhnung.

Über den größten Vorteil ohne Auto muss sie nicht lange nachdenken: die Kosten. Neben Kraftstoff, Reparaturen, Steuern, Versicherung und der reinen Anschaffung zahle sie jährlich nur rund 720 Euro für die öffentlichen Verkehrsmittel. „200 Euro kommen für eine Deutschlandreise zu viert hinzu, denn Kinder bis zwölf Jahre fahren kostenlos im Zug mit.“ Reparaturen am Rad überschlägt sie mit 130 Euro. Eine überschaubare Summe findet sie: „Der Preis für ein bisschen mehr persönliche Freiheit mit einem Auto wäre mir zu hoch.“

In Dresden fällt ein Verzicht aufs Auto leicht – allerdings nur, wenn die Kinder nicht dabei sind, sagt Mutter Nadine Kadic. Der finanzielle Vorteil ist groß.
In Dresden fällt ein Verzicht aufs Auto leicht – allerdings nur, wenn die Kinder nicht dabei sind, sagt Mutter Nadine Kadic. Der finanzielle Vorteil ist groß. © Matthias Rietschel

Auch bei Saalfrank-Mittenzwei ist das Geld ein entscheidendes Argument. Allerdings fürs Auto. „Ich lade meinen Zoe zu Hause für 29 Cent die Kilowattstunde. Wenn die Batterie also komplett leer ist, zahle ich zwölf Euro für einen vollen Tank.“ Fahren kann er damit 300 Kilometer. Das reicht für eine normale Arbeitswoche. Zum Vergleich: Sprit für einen Benziner, der rund sieben Liter auf 100 Kilometern verbraucht, kostet für die gleiche Strecke rund 30 Euro. „Demnächst wollen wir eine Fotovoltaik-Anlage am Haus installieren. Dann fahre ich quasi emissionsfrei.“ Positiv sei auch, dass E-Autos kostenfrei in der Stadt geladen werden können. Etwa bei Ikea oder Lidl. Da er noch einer von wenigen E-Pionieren sei, funktioniere das Laden problemlos.

In deutschen Großstädten seien 60 Prozent aller Fahrten mit dem Auto kürzer als zehn Kilometer, auf dem Land seien Fahrten in der Regel zwischen zehn und 35 Kilometern lang, sagt er und bezieht sich auf die Studie „Mobilität in Deutschland“ (MiD) des Bundesverkehrsministeriums. Gerade solch überschaubare Strecken ließen sich mit E-Auto gut kalkulieren. „Für mich funktioniert das perfekt. Zwar muss ich das Laden gut planen, um immer einen vollen Akku zu haben, aber das lohnt sich. Es ist günstig und ökologisch.“ Auch er argumentiert wie Nadine Kadic: Letztlich sei der Umstieg eine Sache der Gewöhnung.

Die Mobilitätswende

„Ein erster Schritt zu nachhaltiger Mobilität ist das Bezwingen des inneren Schweinehundes“, erklärt Autorin und Nachhaltigkeitscoach Anja Haider-Wallner. Das scheitere aber häufig an der Realität. So seien öffentliche Verkehrsmittel nur dann eine Alternative, „wenn Haltestellen in fünf Minuten zu erreichen sind, der Takt regelmäßig ist und Fahrzeiten und Preis in einem akzeptablen Verhältnis zum Auto stehen.“ 48 Prozent der Sachsen sind jedoch schlecht an den Nahverkehr angebunden. Da stellt sich die Frage nach der Wahlmöglichkeit nicht, zeigt der Bericht der sächsischen ÖPNV-Strategiekommission 2017.

Ziel der Landesregierung ist es, künftig 80 Prozent der Bevölkerung so anzubinden, dass sie wenigstens alle zwei Stunden einen Bus nutzen können. Das wären eine Million Menschen mehr als heute. Das Auto bleibt dabei vermutlich dennoch das Hauptverkehrsmittel. Laut MiD-Studie ist es deutschlandweit mit 70 Prozent gerade auf dem Land das beliebteste, in ganz Sachsen steht es mit 48 Prozent an der Spitze. In den letzten Jahren stieg der Autoanteil auf deutschen Straßen zudem. Gab es im Jahr 2000 noch 532 Pkw pro 1.000 Einwohnern, waren es 2018 bereits 568, so das Umweltbundesamt.

In Großstädten fällt der Umstieg auf alternative Verkehrsmittel weniger schwer. In Dresden, Chemnitz und Leipzig rüsten die Verkehrsbetriebe ihre Fahrzeugflotten auf E-Antrieb um, immer mehr Ladesäulen für E-Autofahrer gehen in Betrieb, E-Bikes und -Roller gehören zum Stadtbild. Zudem durchkreuzen Straßenbahnen und Busse die Städte 24 Stunden am Tag. Bis 2025 hat sich Sachsens Regierung auch vorgenommen, den Radverkehr im Land zu verdoppeln. Um das zu erreichen, soll vor allem in städtische Infrastruktur investiert werden. Nicht zuletzt boomen hier auch Carsharing-Angebote. Die Zahl der Nutzer hat sich in Deutschland laut Branchenverband in den letzten fünf Jahren auf heute rund 2,3 Millionen Fahrer verdoppelt. Allerdings: Im ländlichen Raum trägt sich das Modell wirtschaftlich nicht. Angebote müssen von Kommunen mitfinanziert oder von Vereinen getragen werden.

Die Lösungen

Um Nachteile in der ländlichen Infrastruktur auszugleichen, haben Kommunen längst eigene Wege beschritten, um Versorgungslücken zu begegnen. Drei Beispiele zeigen, wie die Hilfe zur Selbsthilfe aussehen kann. Das Kubi-Mobil in Görlitz zahlt etwa einen Fahrtkostenzuschuss, um die Mobilität vom Schüler bis zum Senior auf dem Land zu erhöhen. Pro Person müssen nur zwei Euro gezahlt werden, um eine Kultureinrichtung in der Nähe zu besuchen. So soll vermieden werden, dass Kulturangebote nicht wahrgenommen werden, weil der Nahverkehr schlecht ausgebaut ist und die Kosten für An- und Abreise zu hoch sind.

Im sächsischen Vogtland gibt es wiederum Bürgerbusse, die Lücken schließen sollen. Die Achtsitzer fahren nach dem Ruf-Prinzip seit 2017 und werden von Ehrenamtlern gesteuert. Inzwischen sind über 30 Linien in Betrieb. Sie verbinden Krankenhäuser, Einkaufsmärkte und Bahnhof. Auf Mitfahrerbänke setzt hingegen der Freitaler Ortsteil Kleinnaundorf. So soll eine gedrosselte Bustaktung ausgeglichen werden. Das Prinzip: Man setzt sich auf die Bank, Autofahrer halten und fragen, wohin es gehen soll. Eine abgewandelte Form des Trampens.

Der Ausblick

Klimaforscher hoffen, dass die Pandemie zu einem Umdenken führt, das neue Formen von Mobilität schneller möglich macht. Für Großstädterin Nadine Kadic zum Beispiel ist das Radfahren mit Kindern in Dresden problematisch. Die Konkurrenz zwischen Autos, ÖPNV, Radlern und Fußgängern macht der Mutter Angst. „Gemeinsam fahren wir daher nur auf dem Elberadweg. Ich würde mir sicherere Radwege wünschen, um sorgen- und unfallfrei mit den Kindern unterwegs zu sein.“

Doch nicht nur das gehört für sie zur Vision einer gut funktionierenden und nachhaltig mobilen Großstadt. Kadic träumt zudem von einer autofreien Innenstadt, die Platz zum Bummeln bietet. „Ein Zentrum ohne Ampeln und Autos wäre so viel schöner. Die Kinder könnten sich freier bewegen.“ Und am besten auch kostenfrei in Bus und Bahn. „So wären sie uneingeschränkt mobil und könnten jeder Zeit zur Schule, Hobbys und ihren Freunden kommen.“ Jetzt fahren Kinder in Dresden nur bis zur Einschulung kostenlos mit, bis zu ihrem 15. Geburtstag gilt der ermäßigte Tarif.

Im kleinen Reinsdorf bei Zwickau kann Sven Saalfrank-Mittenzwei nicht aufs Auto verzichten. Eine volle Ladung seines E-Autos kostet ihn nur zwölf Euro. Damit kommt er 300 Kilometer weit.
Im kleinen Reinsdorf bei Zwickau kann Sven Saalfrank-Mittenzwei nicht aufs Auto verzichten. Eine volle Ladung seines E-Autos kostet ihn nur zwölf Euro. Damit kommt er 300 Kilometer weit. © Andreas Kretschel

Ähnlich formuliert es Sven Saalfrank-Mittenzwei. Ein kostenloser ÖPNV mit mindestens halbstündigen Verbindungen würde für ihn das Nahverkehrsangebot auf dem Land attraktiver machen. „Und insbesondere Rentner und Jugendliche brauchen kostenlose Transportmöglichkeiten in die Stadt und wieder heraus.“ Auch der Radwegeausbau steht oben auf seiner Liste. Kleine Gemeinden sollten mit einer besseren Infrastruktur bis in die Städte angeschlossen werden.

Zudem sollte nicht nur der Kauf von E-Autos, sondern auch E-Bikes staatlich subventioniert werden – „abhängig von Einkommen und Alter. Ältere Menschen sollten eine höhere Förderung erhalten.“ Als E-Autofahrer wünscht er sich zudem pro Gemeinde mindestens eine Ladesäule, bevorzugt bei Supermärkten: „Man geht einkaufen und hat vorher das Elektroauto an die Ladesäule angesteckt. Mit dem Kassenbon wird das Laden gratis oder zu einem vergünstigten Tarif abgerechnet.“

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