Von Jens Ostrowski
Im Elblandklinikum Riesa sollen seit 2011 falsche Mammografie-Befunde erhoben worden sein. Laut Klinikum könnten mehrere Hundert Patientinnen als gesund eingestuft worden seien, obwohl sie Brustkrebs haben. Unabhängige Stellen können die Vorwürfe bislang nicht bestätigen. Noch dauern die Untersuchungen an.
Einer der zuständigen Mediziner spricht von einer gezielten Kampagne. Alle drei arbeiten seit Jahresende nicht mehr im Krankenhaus Riesa. Eine Radiologin, in deren persönlicher Ermächtigungssprechstunde die Unregelmäßigkeiten aufgefallen sein sollen, ist in den Ruhestand gegangen. Ihre beiden Vertreter haben gekündigt. „Wir haben uns (...) beruflich verändert, (...) weil uns die Geschäftsführung (...) wiederholt schwerste Sorgfaltspflichtverletzungen und Unterschreitung des Facharztstandards bei der Befundung von Computertomografieuntersuchungen vorgeworfen hat.“ Zu Unrecht, sagen sie. Unter diesen Umständen sei es dennoch nicht mehr möglich gewesen, in der Klinik zu arbeiten. Kliniksprecherin Daniela Bollmann wollte auf SZ-Nachfrage lediglich bestätigen, dass es in der Radiologie „fachliche Meinungsverschiedenheiten über die Aussagekraft von Befunden“ gegeben habe. „Daher hat die Geschäftsleitung die Kassenärztliche Vereinigung (KV) zuständigkeitshalber sowie die Landesärztekammer als unabhängige Instanz in die Klärung des Sachverhaltes eingebunden.“ In einem Schreiben an die KV, das der SZ vorliegt, wird Klinik-Geschäftsführer Markus Funk deutlicher: Demnach seien bereits Anfang 2011 im Rahmen von Behandlungen in anderen Fachbereichen der Klinik innerhalb von sechs Monaten elf Befunde gesammelt worden, „die einen mangelhaften Qualitäts- und Dokumentationsstandard in der bis dahin praktizierten Mammadiagnostik dokumentieren.“ Im weiteren Verlauf des Jahres 2012 seien laut Funk mindestens drei Karzinome übersehen worden – also Krebszellen im Deckgewebe.
Was können Betroffene tun?
Markus Funk spricht anhand einer eigenen Hochrechnung der aufgefallenen Fehlerquote davon, dass es in Riesa und Umgebung „möglicherweise 290 oder mehr Patientinnen gebe, welche in dem Bewusstsein leben, gesund zu sein, jedoch in Wahrheit eventuell ein mammografisch übersehenes Karzinom in sich tragen.“ Ein Radiologe weist die Vorwürfe als Kampagne zurück. Sie seien bislang von keinem medizinischen Fachgutachter bestätigt worden, zudem stünden sie im krassen Widerspruch zu den Erfahrungen der meisten Chefärzte des Elblandklinikums Riesa und den in der Region niedergelassenen Ärzten, die dies auch schriftlich der Klinik-Geschäftsführung mitgeteilt hätten.
Demnach seien von den Radiologen am Klinikum in den letzten zwei Jahren 123 sichere und 90 höchst verdächtigte Mammatumore diagnostiziert worden. „Addiert man die scheinbar übersehenen Mammatumore dazu, würden im Einzugsgebiet von Riesa mehr als 510 Tumorerkrankungen in zwei Jahren neu aufgetreten sein. Bei einer Bevölkerungsdichte von etwa 120 000 Menschen würde damit eine in unserer Region eine Inzidenz von 280 Erkrankungen auf 100 000 Frauen bestehen, ein Wert der fast um das dreifache höher ist als der sächsische Mittelwert von 106 auf 100 000 Frauen“, sagt ein betroffener Radiologe. Für ihn sei deutlich, dass sich die behaupteten Zahlen von etwa 300 unerkannten Mammakarzinomen, gut- und bösartige Tumoren in der Brustdrüse, als entstellend falsch und statistisch durch nichts gedeckt erweisen würden. Dass Fehldiagnosen und das Nichterkennen von Tumoren vorkommen könnten, sagt der Radiologe, sei eine traurige Tatsache, deren Ausmaß schon seit Jahrzehnten in der Fachwelt diskutiert werde. Die Einzelfälle müssten jedoch von Gutachtern betrachtet werden.
Die Kassenärztliche Vereinigung teilte gegenüber dem Klinikum am 20. Februar unterdessen mit, dass sie ebenfalls dringenden Handlungsbedarf für Zweitbefundungen sehe. Fünf Tage zuvor sei die verantwortliche Radiologin deshalb aufgefordert worden, sämtliche Patientenunterlagen aus dem Jahr 2012 zur Verfügung zu stellen. Die Vereinigung wird die Betroffenen kontaktieren. „Natürlich steht es jeder Frau frei, sich unabhängig davon um eine Zweitbefundung zu bemühen. Dafür braucht es eine Überweisung vom Hausarzt“, sagte Daniela Bollmann.
Das Elblandklinikum hat eine E-Mail-Adresse eingeführt, an die sich betroffene Frauen wenden können: [email protected]