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Kliniken suchen ihr Zukunftsmodell

Eine Studie schlägt die Schließung jedes zweiten Krankenhauses vor. Im Landkreis will man davon nichts wissen.

Von Sebastian Beutler
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Andreas Kinscher heißt der neue Chef der Notfallaufnahme im Malteser-Krankenhaus St. Carolus in Görlitz.
Andreas Kinscher heißt der neue Chef der Notfallaufnahme im Malteser-Krankenhaus St. Carolus in Görlitz. © Malteser

Andreas Kinscher ist der neue Leiter der Notfallaufnahme am Görlitzer Krankenhaus St. Carolus. Der erfahrene Notarzt-Mediziner soll nach dem Wechsel von Frank Hübschmann ans Emmaus in Niesky die Notfallbehandlung am zweitgrößten Görlitzer Krankenhaus neu strukturieren. „Das Wichtigste bei der Versorgung von Notfallpatienten ist, für jeden Patienten, in Abhängigkeit vom Krankheitsbild, in kurzer Zeit die optimale Diagnostik und Therapie durchzuführen“, erklärt Kinscher.

Das Carolus hält damit an seiner Notaufnahme fest, obwohl auch das Städtische Klinikum eine solche besitzt. Doch Notfallaufnahmen gehören einfach zu einer Klinik mit Zukunft. So sieht es auch die jüngste Studie über die Krankenhauslandschaft in Deutschland, die von der Bertelsmann-Stiftung jetzt vorgelegt wurde. In deren Auftrag hat sich ein Berliner Forschungsinstitut beispielhaft die Versorgung im Großraum Köln-Leverkusen angeschaut, sie mit internationalen Standards verglichen und für das Jahr 2030 fortgeschrieben. Das Ergebnis auf Deutschland hochgerechnet: mehr als 800 der heute 1 400 Krankenhäuser könnten schließen – und die Behandlung würde trotzdem besser werden. Ihrer Untersuchung legten sie verschiedene Prämissen zugrunde. Zum einen soll es künftig Kliniken zweierlei Typs geben. Regelkrankenhäuser müssen innerhalb von 30 Minuten erreichbar sein, Herzinfarkte und Schlaganfälle gut behandeln können und neben den üblichen Fachabteilungen wie Innere Medizin, Chirurgie, Intensivmedizin sowie Urologie auch beispielsweise eine Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Orthopädie und Unfallchirurgie, Geriatrie, HNO und Psychiatrie besitzen. All das können die kleinen Häuser wie Carolus und Emmaus oder Weißwasser nur bedingt vorweisen. Die Anforderungen an ein Krankenhaus der künftigen Maximalversorgung kann allein das Görlitzer Klinikum im Moment erfüllen. Diese Kliniken sollen so verteilt sein, dass sie innerhalb von 60 Minuten erreichbar sind und fast die ganze medizinische Bandbreite vorhalten.

Doch das ist die Theorie. Den Autoren der Studie ist durchaus bewusst, dass die Praxis mitunter auch anders aussieht. So räumen sie ein, dass es auch Gründe gibt, die dafür sprechen, „die Versorgung optimal zu dezentralisieren und deren Kapazitäten auf mehrere Standorte in räumlicher Nähe aufzuteilen“. Und in Grenzregionen werden die Beispielrechnungen nicht so aufgehen, weil sie von einem kreisförmigen Einzugsgebiet ausgehen. Matthias Schröter, Verwaltungsdirektor des Krankenhauses Emmaus in Niesky, kann daher der Studie für den Landkreis Görlitz nichts abgewinnen. Sie sei anachronistisch und unterschätze die Bedeutung von Krankenhäusern für ländliche, strukturschwache Regionen. Doch auch inhaltlich sei es fragwürdig, die Qualität und Leistungsfähigkeit von Kliniken ausschließlich an ihrer Größe zu orientieren. Das Krankenhaus in Niesky könne dank seiner Einbindung in das telemedizinische Schlaganfall-Netzwerk Ostsachsen/Südbrandenburg Schlaganfall-Patienten fachgerecht behandeln. Zudem sei das Emmaus aus Niesky auch wegen seiner ambulanten Sprechstunden nicht mehr wegzudenken. So rechnet Schröter in diesem Jahr mit 24 000 ambulanten Patienten in diesem Jahr, im vergangenen Jahr waren es erst 12 000.

Der Chef des Kreis-Krankenhauses, Andreas Grahlemann, mit den Häusern in Zittau, Ebersbach und Weißwasser hingegen nannte schon im Winter vor dem Kreistag ganz viele Herausforderungen, die nun auch in der Studie stehen. So zeichnen sich Überkapazitäten ab, für einzelne Krankheitsbilder würden Mindestfallzahlen die Lage verschärfen - nur wer sie erreicht, darf auch bei den Krankenkassen abrechnen. So sah Grahlemann schon damals wirtschaftliche Problem auf Krankenhäuser mit rund 200 Betten zukommen. Und er sah auch eine Zentralisierung gleichgelagerter Fachgebiete im Umkreis von 50 Kilometern. Nicht jeder wird künftig mehr alles machen. Schon damals forderte Grahlemann, der selbst mit Weißwasser einen stark gefährdeten Klinik-Standort hat, eine trägerübergreifende Zusammenarbeit der Krankenhäuser im Landkreis. Die Görlitzer Klinikum-Geschäftsführerin Ulrike Holtzsch stimmte dieser Diagnose zu. Und der scheidende Görlitzer Oberbürgermeister Siegfried Deinege nannte dieser Tage bei seiner Verabschiedung die Geriatrie als ein mögliches Feld der Zusammenarbeit.

Ganz ähnlich reagiert auch Hans-Ulrich Schmidt, der als Generalbevollmächtigte der Malteser Krankenhäuser in Ostsachsen seit Anfang des Jahres das Görlitzer Carolus-Krankenhaus vor der Schließung bewahrt und an dessen Neuausrichtung arbeitet. Das Thema der Stunde heißt auch für ihn Zusammenarbeit. Dabei bringt er einen neuen Partner ins Spiel: das Cottbuser Carl-Thiem-Klinikum. Demnächst startet das Carolus mit den Cottbusern ein Telemedizin-Vorhaben zur Behandlung von Lungenkrankheiten, später soll auch die Gefäßchirurgie dazu kommen. Die Folge: Experten aus Cottbus, Radiologen, Onkologen, Strahlentherapeuten und Neurochirurgen, beraten mit den Görlitzer Ärzten, wie den Patienten im Carolus am besten geholfen werden kann. Ein entsprechender Kooperationsvertrag ist in Vorbereitung.

Das Carolus würde damit auch von der deutlichen Aufwertung des Cottbuser Krankenhauses profitieren, wo künftig auch die Arztausbildung angesiedelt werden soll.

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