Von Thomas Morgenroth
Was ist nur mit mir los? Meine Knie werden weich, ich bekomme kalte schwitzige Hände, in meinem Kopf pulsiert schmerzhaft das Blut, er droht zu platzen. Ich fühle mich plötzlich am ganzen Körper unwohl, es kribbelt und krabbelt. Dabei hat Anja Schönfelder nichts weiter getan, als langsam seitlich an mir vorbeizugehen, tastend, immer wieder innehaltend, bis sie aus meinem Gesichtsfeld verschwunden ist und hinter meinem Rücken steht. „Wie fühlt sich das an?“, fragt die Therapeutin dabei und: „Ändert sich etwas?“
Ja, es ändert sich sehr viel. Mit jedem Schritt, den Anja Schönfelder tut, steigt meine innere Unruhe. Aber warum? Stört mich das sonst auch, wenn einer hinter mich tritt? Keine Ahnung, ich habe noch nie darüber nachgedacht. Es ist ja auch meine erste „Grenzübung“, wie Anja Schönfelder diese Methode zur Ergründung möglicher verborgener, verschütteter und verdrängter Traumata nennt.
Der Körper ist die Festplatte
Es ist schon erstaunlich, was da bereits nach einer halben Stunde passiert. Ich stehe inmitten eines in warmen Tönen gestrichenen Zimmers in einem alten Fachwerkhaus in Hirschbach, ein Ort zum Wohlfühlen eigentlich, und kann es nicht ertragen, dass jemand hinter mir steht. Was keinesfalls an der Person liegt, Anja Schönfelder hat eine eher beruhigende Ausstrahlung. Und ich könnte mich auch sicher fühlen, es ist ja noch eine zweite Person im Raum. Dietmar Schönfelder, Anjas Mann, steht an der Tür und beobachtet uns aufmerksam.
„Das vegetative Nervensystem reagiert auf psychische Probleme, auch wenn uns diese nicht bewusst sind“, sagt Anja Schönfelder. Das kann ziemlich heftig sein, wissen beide aus eigener, leidvoller Erfahrung. Weil die Ärzte körperliche Ursachen ausschließen konnten, und beide sich nicht mit ihrem Zustand abfinden wollten, suchten sie Rat und Hilfe beim Dresdner Traumatherapeuten und psychotherapeutischen Heilpraktiker Wolfgang Brandt.
„Er half mir ins Leben“, sagt Anja Schönfelder. Auch Dietmar Schönfelder, der bei bestimmten Situationen unter heftigen Reaktionen seines Verdauungssystems litt, hat mit Brandts Hilfe seine Traumata und deren Ursachen erkannt und kann nun daran arbeiten. Die von Wolfgang Brandt praktizierte körperorientierte Psychotherapie ist für Schönfelders der richtige Ansatz, psychischen und psychosomatischen Erkrankungen auf die Spur zu kommen. „Nur mit dem Kopf allein kann man nichts ändern“, sagt Dietmar Schönfelder und vergleicht unseren Körper mit einer Festplatte, die alles speichert. „Um etwas zu bewirken, versuchen wir die Verbindung zwischen Körper und Kopf herzustellen und zu harmonisieren.“
Anja Schönfelder, Ergotherapeutin und Feldenkrais-Lehrerin, seit 2007 in Freital-Hainsberg mit eigener Praxis selbstständig, absolvierte berufsbegleitend bei Wolfgang Brandt eine dreijährige Ausbildung in körperorientierter Psychotherapie an der Paracelsus-Schule in Dresden. Jetzt stehen nur noch die Prüfungen aus.
In diesem Herbst beginnt Dietmar Schönfelder dort seine Ausbildung. Ein weiterer Schritt hin zu neuen beruflichen Ufern: Der 45-Jährige war sechsundzwanzig Jahre lang Landwirt, interessierte sich aber schon als junger Mann für alternative Heilmethoden, vornehmlich fernöstliche. Vor vier Jahren schließlich stellte er den Traktor ab, ließ sich in Shiatsu ausbilden und gründete mit seiner Frau im Haselbachhof in Hirschbach, einem Ortsteil von Glashütte, eine Praxis für ganzheitliche Körperarbeit. Derzeit gibt es erst einen Therapieraum, dafür einen mit besonderer Familiengeschichte: Dietmar Schönfelder wurde darin 1968 geboren wie schon sein Vater achtundzwanzig Jahre zuvor.
In dem ehemaligen Schlafzimmer und in der Praxis an der Dresdner Straße in Freital therapieren Schönfelders mit ganzheitlichen Ansätzen. Mit Shiatsu, Feldenkrais, Meditation, Craniosacraler Prozessarbeit und körperorientierter Psychotherapie. Die einzige Leistung allerdings, die von den gesetzlichen Krankenkassen anerkannt und bezahlt wird, ist die Ergotherapie.
„Zu uns kommen Leute, die schon alles durchhaben“, sagt Anja Schönfelder. Mit Rückenschmerzen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Ängsten, Depressionen, sexuellen Schwierigkeiten, Lebenskrisen. Zu Schönfelders Klienten gehört zum Beispiel ein Student, der das falsche Fach studiert, sich aber nicht traut, dieses zu ändern, um seine Eltern nicht zu enttäuschen und nun mit Verkrampfungen darauf reagiert. Oder eine Frau, die es nicht schafft, „Nein“ zu sagen und stattdessen krank wird, um so die Ablehnung begründen zu können. Und das schon ihr Leben lang. Aber warum?
Die Gründe könnten in traumatischen Erlebnissen liegen, die bis in die früheste Kindheit zurückreichen. „Aber es kann lange dauern, den Panzer zu knacken“, sagt Anja Schönfelder. Geduld und Einfühlungsvermögen sind daher ihre Grundtugenden. Behutsam muss die 37-Jährige vorgehen, sonst könnten die Klienten an den Traumata zerbrechen, wenn alles auf einmal hochkommt. Einen guten Therapeuten zeichne daher auch Achtsamkeit aus, sagt sie.
Anja Schönfelder ist wach und achtsam, sie bricht deshalb die Grenzübung mit mir ab. „Das wird jetzt zu viel“, sagt sie. Tatsächlich bin ich zunächst erleichtert. Die körperlichen Symptome aber verschwinden nicht so schnell. Und das stimmt mich nachdenklich. Irgendetwas ist in mir verborgen, was ich nicht erkenne. Noch nicht. Es wird wohl nicht meine letzte Therapiestunde gewesen sein.
Lesen Sie nächste Woche, ob und wie die Krankenkassen alternative Heilmethoden unterstützen.