SZ +
Merken

Kohl kämpft für Görlitzer „Pumuckl“

Altbundeskanzler Helmut Kohl hat vorgestern hunderte Görlitzer auf den frisch sanierten Marienplatz gelockt. Sie wollten hören, was der Christdemokrat zur aktuellen politischen und wirtschaftlichen Lage...

Teilen
Folgen

Von Peter Chemnitz

Altbundeskanzler Helmut Kohl hat vorgestern hunderte Görlitzer auf den frisch sanierten Marienplatz gelockt. Sie wollten hören, was der Christdemokrat zur aktuellen politischen und wirtschaftlichen Lage in Deutschland zu sagen hat und den Politiker sehen, der eine der Hauptrollen bei der deutschen Wiedervereinigung spielte.

Gisbert Müller hat an alles gedacht. An den Plastestuhl, an das Sitzkissen. Gegen 16 Uhr packt er alles aufs Fahrrad und macht sich auf den Weg in die Innenstadt. Zum „Kohl-Gucken“. Ein paar Hundert sind bereits vor ihm eingetroffen. Während Müller seinen Stuhl an der Rabatte platziert, deckt sich eine Gruppe Punks am CDU-Stand mit Pfefferminz ein. Vielleicht weil die Sächsische Union auf der Verpackung verspricht: „Frischer Atem – frische Ideen“.

Nicht alle sind aus Sympathie für den Wahlkämpfer und seine Partei oder purer Neugier gekommen. An den Spendensumpf und den Göring-Vergleich Kohls erinnert ein einsamer Mann auf seinem Plakat und zeigt seine Forderung: „Herr Kohl, fahren Sie nach Hause“. Einige Zuschauer diskutieren untereinander darüber, ob man eine andere Meinung derart öffentlich plakatieren darf. Die Polizei überwacht den Platz mit mehreren Kameras.

Die Kirche hat längst die sechste Stunde eingeläutet, als der Landtagsabgeordnete Volker Bandmann und der Generalsekretär der Sachsen-Union, Hermann Winkler, nebst Vertretern der Kommune die Straße heruntereilen. Genau zu diesem Zeitpunkt geraten die Menschen auf der entgegengesetzten Seite des Platzes in Bewegung. Beifall. Kohl ist eingetroffen. „Der will doch nicht mitten durch die Leute“, fragt eine Frau entsetzt. Aber der kräftige Mann weiß, was ankommt. Die Sicherheitsleute bahnen die Gasse. Kohl folgt langsam, schüttelt viele Hände. Die Begeisterung ist allgemein. Da ist er wieder, der Kanzler der deutschen Einheit. Neben ihm wirkt Sachsens Ministerpräsident fast wie ein Zwerg. „Viel Glück bei der Wahl“, ruft ein Mann und weckt damit die linke Opposition. Einige junge Leute gebrauchen kurzzeitig ihre Trillerpfeifen. Eine Deutschlandfahne wird geschwenkt. „Bundeskanzler Kohl“ ruft jemand. Jubel.

Aron möchte auch Helmut Kohl sehen. Aber die Erwachsenen nehmen dem Siebenjährigen die Sicht. „Das Beste kommt am Schluss, jetzt spricht Pumuckl“, beruhigt ihn seine Mutter, ein Abzeichen der Bündnisgrünen an der Jacke.

Seinen leuchtend roten Haaren verdankt Michael Kretschmer, der CDU-Direktkandidat des Wahlkreises 157, den Spitznamen. Wegen Kretschmer ist Kohl an die Neiße gekommen. Der 27-jährige Wirtschaftsingenieur aus Görlitz will in den Bundestag. Er kämpft um Wählerstimmen „für bessere Zeiten“. Der Kandidat liest ab, wie er sich diese vorstellt. Er fordert einen Regierungswechsel in Berlin, erinnert an die Jugendarbeitslosigkeit, die wirtschaftliche Situation, dankt für die Solidarität mit den Hochwasseropfern und Kohl, der den Aufbau Ost zur Herzens- und nicht allein zur Chefsache gemacht habe. Themen, die anschließend auch Georg Milbradt und Kohl aufgreifen. Letzterer freut sich, in der „in Görlitz, in der Niederlausitz“ zu sein. Er erinnert an die Vertreibung zehn Millionen Deutscher 1945 und den „Verlust großer Teile des Vaterlands“. Er sagt, warum die Menschen erstens Wählen gehen und zweitens dies mit Nüchtern- und Überlegtheit tun sollen. Als er nach 20 Minuten vom Euro zu schwärmen beginnt, wandern die ersten ab. Auch Gisbert Müller ist da schon weg. Samt Plastestuhl.