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Kolonnen unter Hochdruck

Chemie. Die großen Investitionen im Osten zahlen sich mit hohen Wachstumsraten aus.

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Von Manfred Schulze

Mit großen Zahlen hat es derzeit fast jeder in der ostdeutschen Chemie, wenn es um Wachstum und Investitionen geht: 1,4 Milliarden Euro wurden in Schwarzheide, dem Standort der BASF seit 1990 investiert, in Leuna waren es 5,5 Milliarden, in Bitterfeld 3,5 und bei Dow Chemical (Schkopau/Böhlen/Leuna) ebenfalls knapp drei Milliarden - um nur die größten Standorte aufzuzählen.

Wir erleben jetzt, wo die Weltkonjunktur gut läuft, dass diese hochmoderne Industrie bei den Wachstumsraten den älteren Standorten in Westdeutschland davonläuft“, sagt Paul Kriegelsteiner, Hauptgeschäftsführer Nordostchemie, und sieht den Trend auch künftig optimistisch: „Wir hatten im letzten Jahr erneut ein zweistelliges Umsatzwachstum, dreimal so hoch wie im Westen Deutschlands“, sagt er. Die Unternehmen würden die Kapazitäten hochfahren, weiter investieren und – anders als im Westen – auch Personal einstellen. Gute Infrastruktur, niedrigere Löhne und die 40-Stunden-Woche würden logistische Nachteile durch fehlende Anbindung an die Wasserstraßen wettmachen.

Aufholjagd von ganz unten

Um satte 14,6 Prozent (Deutschland: 5,6) kletterte der Umsatz der Branche in den neuen Bundesländern von Januar bis Mai im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Doch der Aufholprozess verläuft von niedrigem Niveau aus, denn im Osten werden, trotz hoher Investitionen von zusammen 5,1 Milliarden Euro in dem Zeitraum nicht einmal zehn Prozent der Gesamtleistung (66,8 Milliarden) erbracht. Bei den Beschäftigten hingegen liegt die Zahl mit 46 758 schon deutlich über dieser Prozent-Schwelle. Das ist rund ein Sechstel der Zahl von 1989, die Produktion liegt hingegen über diesem Wert.

Es wird kräftig weiterinvestiert, freie Flächen gibt es allerorten wie auch Arbeitskräfte, wenngleich Fachpersonal den Firmen inzwischen nicht mehr nachläuft und in den Chemieparks mitunter die richtige Größe an altlastenfreien Flächen erst gesucht werden muss.

In Leuna hat die Quinn Chemicals (Nordirland) begonnen, ihre Kunststofffabrik für 150 Millionen Euro zu errichten. Auch Linde baut, die Wasserstoffverflüssigung soll 22 Millionen kosten, Total erneuert die Methanolanlage. Wachstumshemmer sind allerdings auch vorhanden: Unisono beschweren sich Manager wie Christoph Mühlhaus vom Dow-Olefinverbund über die hohen Strompreise. „Würden die Rahmenbedingungen nicht durch allerlei Zusatzkosten und Unsicherheiten künstlich verschlechtert, würden wir den Bau des zweiten Crackers in Böhlen in Angriff nehmen“, so der Geschäftsführer.

Cheopspyramide in Schutt

Die Planungen für das Milliardenprojekt laufen schon seit Jahren, auch der Markt für das Hauptprodukt Ethylen sei durch die im Osten boomende Kunststoffindustrie gegeben. Doch Dow vergleicht Kosten weltweit, da sei der mittlere Osten derzeit vorn. Warum Dow nicht selbst einen Partner für die nahe liegende und relativ billige Braunkohlenverstromung in einem Industrie-Heiz-Kraftwerk sucht, lässt Mühlhaus allerdings offen.

Die Konzepte der Standorte unterscheiden sich im Detail. In Bitterfeld leitet seit fünf Jahren die Preiss-Daimler-Group den Chemiepark und hat nach eigenen Angaben rund 200 Millionen Euro in die Infrastruktur gesteckt.

Zwar sind vor allem von den weitgehend beräumten Altflächen – der Schutt von 1,8 Millionen Kubikmetern hat das Volumen der Cheopspyramide – noch immer viele ungenutzt oder wie bei der alten Schwefelsäurefabrik mit Ruinen bestanden.

Stoffverbund lockt Investoren

Doch der über Rohrbrücken mögliche Stoffverbund locke immer mehr Investoren an, mit 47 Projekten aller Art habe man es zu tun, so Geschäftsführer Matthias Gabriel.

In Schwarzheide hingegen regiert die BASF, die zwar für ihre freien Flächen ebenfalls Investoren sucht, aber nur solche, die direkt mit der Produktpalette des größten Chemiekonzerns harmonieren. Gleiches gilt für Dow, das den dortigen „Value-Park“ vor allem für die Kunststoffverarbeitende Industrie und die Dienstleister offen hält, einschließlich eines Forschungsinstitutes der Fraunhofer-Gesellschaft. Die meisten setzen zudem auf eine enge Verflechtung der einzelnen Standorte, denn im Osten sei, verglichen mit großen internationalen Ansiedlungen, die Landkarte bisher nur mit einzelnen Sprenkeln chemisch eingefärbt. Das aber, so Kriegelsteiner, könne durch einen Verbund mit Synergien ausgeglichen werden.