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Kommt der Notarzt?

Weil im Landkreis Notärzte fehlen, kann nicht jeder vorgesehene Dienst besetzt werden.

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Von Christian Eissner

Maximal zehn Minuten darf es dauern, bis im Notfall der Rettungswagen vor Ort ist, egal ob Herzinfarkt oder Verkehrsunfall, egal ob in Freital, Mohorn oder Hermsdorf am Wilisch. Das schreibt das sächsische Rettungsdienstgesetz vor.

Rettungswagen am 25. April am Bundespolizei-Standort Breitenau: Bundespolizisten hatten ein Schleuser-Auto gestoppt, in dem unter anderen zwei kranke Kinder aus Russland saßen. Sie mussten in die Uniklinik nach Dresden gebracht werden. Auch der Notarzt un
Rettungswagen am 25. April am Bundespolizei-Standort Breitenau: Bundespolizisten hatten ein Schleuser-Auto gestoppt, in dem unter anderen zwei kranke Kinder aus Russland saßen. Sie mussten in die Uniklinik nach Dresden gebracht werden. Auch der Notarzt un

Wird es für einen Patienten lebensbedrohlich, dann kommen die Rettungssanitäter nicht allein, sondern haben einen Notarzt im Schlepptau. Wenn denn gerade einer verfügbar ist. Genau hier hapert es im Landkreis nämlich, kritisiert Dr. Detlef Ernst, Hausarzt aus Neustadt.

„Vor allem an Feiertagen fehlt es nach meiner Erfahrung immer wieder an Notärzten“, sagt der Mediziner und schildert einen Fall vom Ostersonnabend. Er hatte an diesem Tag Hausarzt-Bereitschaft, als ihn die Pirnaer Rettungsleitstelle anrief und fragte, ob er bei Bedarf auch für Notarzt-Einsätze zur Verfügung stünde. Es seien nicht alle Notarzt-Standorte im Landkreis besetzt. „Das ist hochbrisant“, sagt Detlef Ernst. „Was ist, wenn zum Beispiel ein schwerer Verkehrsunfall passiert – und es ist kein Notarzt verfügbar?“

Arzt ist nicht gleich Arzt

Um die medizinische Notfallversorgung im Landkreis abzusichern, gibt es sechs Rettungswachen. An fünf Wachen – in Pirna, Heidenau, Neustadt, Freital und Dippoldiswalde – ist ein Notarzt-Standort angegliedert. 24 Stunden am Tag steht hier ein Notarzt bereit. Zumindest theoretisch.

Denn es gelingt nicht immer, alle Notarzt-Dienste zu besetzen. Das belegen Zahlen der Arbeitsgemeinschaft Notärztliche Versorgung Sachsen. Die Arbeitsgemeinschaft, die unter anderem von den Krankenkassen getragen wird, ist für die Organisation der Notarzt-Dienste zuständig.

So waren zum Beispiel in Pirna letztes Jahr 48 von 730 Diensten unbesetzt. Die Gesamtzahl ergibt sich hierbei aus zwei Diensten pro Tag mal 365 Tage. In Neustadt waren 47 Dienste unbesetzt, in Heidenau 27, in Freital gab es keine Probleme. Am schlimmsten war es in Dippoldiswalde. Dort waren im vergangenen Jahr 131 Notarzt-Dienste vakant, 2011 sogar 142.

Das sei nicht hinnehmbar, kritisiert der Hausarzt Detlef Ernst. Denn die Hausarztbereitschaft zu schicken, wo eigentlich der Notarzt hin müsste, sei nur zweite Wahl. „Vielen Kollegen im kassenärztlichen Bereitschaftsdienst fehlt die Routine im Umgang mit schweren Notfällen.“ Theoretisch verfügten sie zwar über die nötigen Grundkenntnisse, aber welcher Haut- oder Augenarzt, der eben auch zum Bereitschaftsdienst herangezogen wird, habe Erfahrung im Umgang mit schweren Traumata oder Herz-Kreislauf-Notfällen?, fragt Ernst.

Der Mediziner fordert deshalb, dafür zu sorgen, dass der Notarzt-Dienst an allen Standorten zu 100 Prozent gesichert ist. Er hat sich mit diesem Anliegen sowohl an Innenminister Markus Ulbig (CDU) als auch an Sozialministerin Christine Clauß (CDU) gewandt. „Aus dem Innenministerium kam die Antwort, man sei nicht zuständig, das Sozialministerium hat noch nicht reagiert“, sagt er.

Sowohl die Kliniken im Landkreis als auch das Landratsamt haben das Problem inzwischen aber erkannt und arbeiten an einer Lösung. „Momentan funktioniert der Notdienst im Landkreis, daran besteht kein Zweifel“, sagt Katrin Möller, Geschäftsführerin des Klinikums Pirna. Sie warnt vor Panikmache. Damit der Notdienst auch in Zukunft gesichert sei, müsse man aber etwas tun, räumt sie ein. Denn – auch diese Zahl stammt von der Arbeitsgemeinschaft Notärztliche Versorgung Sachsen – es sind im Landkreis zwar 160 Mediziner registriert, die qualifiziert sind, Notarzt-Dienst zu leisten, aktiv beteiligen sich aber nur 45 bis 50 am Dienst. Und es werden weniger.

Pflicht statt Kür

Die größte Herausforderung sei es, auch künftig genügend Ärzte mit spezieller Notfall-Ausbildung für die Dienste vorzuhalten, sagt Katrin Möller. Und vor allem: Die geeigneten Ärzte müssen davon überzeugt werden, tatsächlich auch Notdienst zu leisten. Denn der Dienst ist freiwillig.

Der Klinik-Verbund Pirna, Freital und Dippoldiswalde versuche inzwischen, neu einzustellende Ärzte vertraglich zu verpflichten, bei Bedarf Notarzt-Bereitschaft zu übernehmen, sagt Katrin Möller. „Darüber hinaus finanzieren wir jungen Ärzten die nötigen Notarzt-Lehrgänge und stellen sie für die 50 Pflichteinsätze zur Erlangung des Notarzt-Scheines frei.“ Man müsse aber auch über Strukturveränderungen, zum Beispiel über eine engere Verzahnung von Notarztdienst und kassenärztlichem Bereitschaftsdienst nachdenken. „Ein Strukturkonzept und einen Zeitplan gibt es jetzt. Wir sind auf dem Weg.“

Markus Cording, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Notärztliche Versorgung Sachsen, pflichtet ihr bei: „Gerade der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge ist ein Beispiel dafür, dass die Besetzung stabilisiert werden kann, wenn Landratsamt, Klinikleitungen und standortverantwortliche Notärzte mit uns gemeinsam nach Lösungen suchen.“

So habe man, sagt Katrin Möller, die bedenkliche Dienst-Situation in Dippoldiswalde mithilfe der dortigen Klinik und gemeinsam mit den Notärzten inzwischen entschärfen können. Dieses Jahr soll es derart hohe Dienstausfälle wie 2012 dort nicht mehr geben.