Kommt jetzt auch noch die Schutzmaskenpflicht?

Von Richard Friebe, Georg Ismar, Robert Kiesel, Jörn Hasselmann und Thorsten Mumme
Inzwischen dämmert den meisten Bürgern, dass noch ziemlich lange wenig so sein wird wie vor Corona.
Fast täglich sind mehr Menschen zu sehen, die auf den Maskenschutz setzen – wenn es um eine Exit-Strategie aus dem Stillstand geht, gewinnt diese Maßnahme an Bedeutung.
Einige Virologen wie zum Beispiel Alexander Kekulé halten sie für sinnvoll bei weniger als zwei Meter Abstand und vor allem in geschlossenen Räumen. Seine Exit-Strategie für das Wiederöffnen von Geschäften und die schrittweise Rückkehr des öffentlichen Lebens lautet „Smart Distancing“ – Abstand halten, sich und andere zudem mit Masken schützen.
„Die Rechnung ist ganz einfach: Statistisch steckt ein Infizierter bis zu drei weitere Menschen mit Corona an. Mit einem einfachen Mund-Nasen-Schutz kann jeder dazu beitragen, dass die Ansteckungsquote auf weniger als eine Person sinkt“, sagte Kekulé der „Bild“. „Wenn wir diese Quote erreichen, ist die Epidemie vorbei.“
Was spricht für das private Tragen von Atemschutzmasken, was dagegen?
Gegen das Tragen von professionellen, wirksamen Atemschutzmasken im Alltag spricht derzeit vor allem eines: Genau diese Maske könnte eine Ärztin, eine Krankenschwester, ein Altenpfleger oder auch ein Kassierer im Supermarkt gerade dringender brauchen. Solange Masken nicht ausreichend vorhanden sind, ist es ein Akt der Solidarität, wenn Privatpersonen die Nachfrage nicht noch weiter anheizen und damit die Verfügbarkeit für die, die sie dringender brauchen, senken.
Den Träger schützen bei korrekter Anwendung spezielle Masken mit Filter und Ventil sehr effektiv vor Viren. Zu erkennen sind sie an den Spezifikationen FFP-2 und FFP-3. Diese sind derzeit besondere Mangelware, würden aufgrund der Epidemiesituation aber eigentlich viel mehr benötigt als unter normalen Umständen.
Ebenso unterversorgt ist das Gesundheitssystem derzeit mit normalen Chirurgenmasken, auch Mund-Nase- Masken genannt. Hier handelt es sich um den typischen, meist OP-grün oder hellblau eingefärbten, manchmal auch weißen „Mundschutz“. Diese Masken sind konzipiert für eine Schutzfunktion nicht für Trägerin oder Träger, sondern für Personen in der Nähe.
Sie halten sehr effektiv Keime zurück, die beim Sprechen oder leichten Husten und Niesen Mund und Nase des Trägers gelöst in winzigen Tröpfchen verlassen. Sie schützen in Krankenhäusern und Praxen auch die vielen Patienten mit geschwächtem Immunsystem vor vom Personal übertragbaren Keimen. Stehen sie nicht zur Verfügung, steigt deren Risiko für Infektionen, auch ganz ohne Coronavirus.
Warum ist das Tragen von Masken in Asien so verbreitet?
Die weite Verbreitung von OP-Masken in Asien schon Jahre vor der derzeitigen Krise ist vor allem dadurch begründet, dass dort eines vielerorts schlicht als selbstverständlich gilt. Wenn man auch nur ansatzweise an einem Infekt leidet, schützt man andere beim Aufenthalt in der Öffentlichkeit, so gut es geht, vor den eigenen Erregern. Wenn Infizierte konsequent und korrekt diese Masken tragen, reduziert sich dadurch das Infektionsrisiko für Mitmenschen deutlich.
Obwohl sie dafür nicht konzipiert sind, trifft aber auch Folgendes zu: Diese Masken reduzieren, wenn sie eng anliegen, beim Einatmen von mit unmittelbar durch keimbelastete Minitröpfchen angereicherter Atemluft auch deren Belastung mit Bakterien und auch Viren.
Das liegt daran, dass die Tröpfchen auf das Textil treffen und eben nicht direkt auf die Mund- oder Nasenschleimhaut des Trägers. Dieser Schutz ist aber alles andere als vollständig. Sich darauf zu verlassen und vielleicht sogar die anderen Regeln etwa bezüglich des Abstandhaltens oder der Hygiene zu vernachlässigen, kann sogar zu einer erhöhten Infektionswahrscheinlichkeit beitragen. Keinen Schutz bieten sie zudem in einer solchen Situation für die Augen, die ebenfalls eine wichtige Eintrittspforte für Viren in den Körper sind.
Was nützen selbst gebastelte Masken?
Selbstgebastelte, genähte Masken wurden von Experten lange rundheraus abgelehnt. Das hat sich aber geändert. Dass sie jetzt teilweise sogar empfohlen werden, hat aber nichts mit plötzlich per aktueller Studie festgestellter besserer Funktion als bislang geahnt zu tun, sondern eher mit Pragmatismus: Wer selbst näht, kauft nicht die Bestände professioneller Masken leer. Diese Do-it-yourself-Masken bieten, je nach Material, Verarbeitung und dem Gelingen des Anpassens an das Gesicht Schutz in unterschiedlichem Maße – aber soweit bekannt nie auch nur annähernd vollständig. Auch bei ihnen überwiegt der Fremdschutz aufgrund des Zurückhaltens potenziell infektiöser Tröpfchen. Dass dies in nicht geringerem Maße funktionieren kann, ist schon allein deshalb plausibel, weil auch Niesen und Husten in die textilbedeckte Ellenbeuge als sehr effektiv gilt. Seine Tröpfchen direkt in einer solchen, Feuchtigkeit aufnehmenden, auswechselbaren Maske zu deponieren, dürfte jedenfalls noch deutlich effektiver sein als ein baumwollener Hemdsärmel.

Die selbstgemachten Masken haben unter anderem aber den Nachteil, dass ihnen meist der metallene Nasenbügel fehlt. Alle professionellen FFP- und Mund- Nase-Masken sind damit ausgestattet, um sie anatomisch möglichst genau dem Gesicht anpassen zu können.
Das Tragen von Masken, egal welchen Typs, hat neben dem möglichen Vernachlässigen anderer Schutzregeln noch weitere potenzielle Nachteile. Bei Brillenträgern beschlägt häufig das Glas, und eine schlecht angepasste Maske verleitet dazu, ihren Sitz immer wieder zu korrigieren. Das bedeutet, dass man sich regelmäßig im Mund-Nase-Augen-Bereich ins Gesicht fasst und damit eine der zentralen Schutzregeln in ihr Gegenteil verkehrt. Umgekehrt verhindern bequem sitzende Masken aber den spontanen, unbewussten Griff an Mund und Nase. Wenn ihre Präsenz davon abhält, sich ins Auge zu fassen, ist zumindest die Gefahr einer Schmierinfektion reduziert.
Und das Fazit?
Insgesamt gilt: Wenn Masken ausreichend verfügbar sind und wenn sie korrekt benutzt werden, sind sie ein sinnvoller Teil der Vorbeugung. Das gilt, obwohl sie meist weder für Träger noch die Person in der Nähe die Virenlast auf null senken können. Denn ob dem Kontakt mit dem Erreger auch ein Ausbruch der Krankheit folgt, hat auch sehr viel mit der Erregerdosis zu tun. Schon diese deutlich zu senken, ist also sehr sinnvoll.
Was plant die Politik?
Nach all den Einschränkungen will man bisher keine Maskenpflicht verfügen wie in Österreich, wo diese beim Einkauf im Supermarkt gelten soll. „Es ist klar, dass das Tragen von Masken eine große Umstellung ist, aber sie ist notwendig, um die Ausbreitung stärker zu reduzieren“, betonte dort Kanzler Sebastian Kurz. Es handele sich nicht um Schutzmasken, wie bei medizinischem Personal, sondern um einen Mund-Nasen-Schutz. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wird am Mittwoch mit den 16 Länder-Regierungschefs in einer Telefonschalte die Lage beraten, im Fokus steht die Frage einer Verlängerung der Ausgangsbeschränkungen bis zum 20. April – die Bundesregierung setzt bisher auf eine freiwillige Lösung bei den Masken und will zunächst die Versorgung für das medizinische Personal sichern. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) betont zugleich: „Man kann nichts ausschließen.“ Söder fordert aber zunächst einmal eine „nationale Notfallproduktion“ von hochwertigen Schutzmasken für das Personal in den Krankenhäusern und Praxen. Eine allgemeine Pflicht könnte dagegen wieder zu Hamsterkäufen führen, warnt Söder.
Denn wenn eine Pflicht jetzt eingeführt würde, wären Bund und Länder auch in der Pflicht, sich um die Beschaffung von Masken für die Bevölkerung zu bemühen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) animiert daher erstmal nur zum selbst genähten oder im Handel erworbenem Maskenschutz. „Wer sie trägt, schützt andere. Sie bieten jedoch keinen medizinischen Schutz vor Ansteckung“, so Spahn. Aber eine Pflicht ist zu einem späteren Zeitpunkt in der großen Koalition durchaus denkbar. Bärbel Bas, Vizevorsitzende der SPD- Bundestagsfraktion, betont: „Eine geeignete Maßnahme kann die Mundschutzpflicht sein, wenn die Zahl der Neuinfektionen so weit reduziert wurde, dass das Kontaktverbot gelockert werden kann.“ Das könne dann helfen, die Infektionszahlen weiter niedrig zu halten.
Was ist das größte Problem?
Die globale Nachfrage. Ein Blick auf die Angebote bei Online-Händlern und Ebay zeigt: Es werden teils horrende Preise von bis zu 15 Euro für einen einfachen Mundschutz verlangt. Die Verbraucherzentralen warnen vor Betrügern, die angeblich Masken vorrätig haben und Vorauskasse verlangen. Als erste größere Stadt wird Jena eine Maskenpflicht einführen, für Verkaufsstellen, öffentlichen Nahverkehr und Gebäude mit Publikumsverkehr – mangels Masken werden auch Tücher oder Schals als Schutz anerkannt. Die Stadt habe eine Grundausstattung an Masken für Pflegekräfte, Ärzte, Fahrer im ÖPNV und andere Beschäftigte in der „systemrelevanten Infrastruktur“. Für die Versorgung der Bevölkerung gelte: „Nähen Sie sich selbst und anderen Menschen den wichtigen Mund- Nasen-Schutz.“

Not macht erfinderisch: In Cottbus zum Beispiel hat das erst mal stillgelegte Staatstheater seine Kostümschneiderei umgestellt, um in Corona-Zeiten weiße Gesichtsmasken herzustellen. Das Bundesgesundheitsministerium konzentriert sich erst einmal voll auf den medizinischen Bereich. Das Ministerium hat mit Hilfe der Beschaffungsämter des Verteidigungsministeriums, des Innenministeriums und der Generalzolldirektion zentral die Beschaffung von Schutzausrüstung für das Gesundheitswesen übernommen. Bisher wurden an die Länder und die Kassenärztlichen Vereinigungen 20 Millionen Masken sowie 15 Millionen Handschuhe, 130.000 Schutzanzüge, 23.000 Schutzbrillen und 91.000 Liter Desinfektionsmittel geliefert.
Wie rüstet die Wirtschaft um?
Unternehmen unterschiedlichster Branchen in Deutschland stellen derzeit ihre Produktion auf Atemschutzmasken um. So haben beispielsweise der Autozulieferer Mahle und der Unterwäschehersteller Triumph angekündigt, Atemschutzmasken mit Virenfiltern für medizinisches Personal herzustellen. Geplant sei eine Fertigungskapazität von 1,5 Millionen Masken im Monat, die an Behörden geliefert werden. Die Textilhersteller Trigema und Eterna sind ebenfalls ins Maskengeschäft eingestiegen, ebenso Brautmodengeschäfte wie die Berliner Firma Bianco Evento.
Für viele Betriebe ist es ein willkommener Ausgleich für andere Geschäftsfelder, auf denen wegen der Coronakrise die Nachfrage eingebrochen ist. Doch auch im öffentlichen Sektor sollen mehr Masken entstehen. Die Modeschule Berlin – das Oberstufenzentrum für Bekleidung und Mode – will zunächst 1.000 Textilmasken nähen. Die Bundesregierung unterstützt derlei spontane Hilfe. So soll eine Plattform ins Leben gerufen werden, über die Hersteller ihre Kapazitäten und medizinische Einrichtungen ihre Bedarfe melden sollen. Für Atemschutzmasken soll dabei Industriekreisen zufolge extra eine neue Kategorie eingeführt werden, an die weniger strikte Anforderungen gestellt werden. Auf „IndustrieVsVirus“ – so der Arbeitstitel der Plattform – sollen auch andere medizintechnische Produkte gehandelt werden, die nun von fachfremden Firmen produziert werden.