Mir ist daran gelegen, dass dem erregten Disput über schlechte Blickbeziehungen vom ersten Rang und wohl besonders vom zweiten Rang – für unser Theater äußerst kontraproduktiv – von kompetenter Stelle (Bauamt) mit Zahlen und Fakten begegnet wird. Damit man vergleichen kann, was sich im Zuschauerraum in puncto Blickbeziehungen wirklich verändert hat.
So gab es und gibt es in typischen Stadtheatern Deutschlands, so auch in Görlitz, schon immer Plätze, von denen die Sicht zur Bühne mehr oder weniger stark eingeschränkt ist – sehr zum Leidwesen des Bühnenbildners, der bei der Gestaltung des szenischen Raumes oft zentimetergenau die unterschiedlichen Sichtwinkel bedenken muss. So wurde ursprünglich in diesen Theatern nur auf der Bühne gespielt. Wichtige Dialoge, Arien usw. wurden meistens in der Nähe des Bühnenportals, das diese so genannte Guckkastenbühne einrahmte, gesprochen oder gesungen. Reformen des szenischen Spieles und des Bühnenraumes zu Beginn des 20. Jahrhunderts hielten einige Jahrzehnte später auch Einzug in die Stadttheater. Der szenische Raum war nun nicht mehr allein auf die Bühne beschränkt, er konnte, je nach Erfordernis und baulichen Voraussetzungen, auch die Vorbühne, Proszeniumslogen usw., mit umfassen. Die damit verbundenen Vorteile – Verkürzung der Distanz zwischen den Zuschauern und dem szenischen Spiel – brachten allerdings auch zusätzlich verschlechterte Blickbeziehungen von einigen Zuschauerplätzen zu den zusätzlich geschaffenen „neuen“ Spielorten vor der eigentlichen Bühne.
Wir haben es in Görlitz mit dem Prototyp eines historischen Stadttheater-Zuschauerraumes zu tun, von denen es sicher nicht mehr viel geben dürfte. Gerhard Arnold, Görlitz