Von Jana Ulbrich
Die weißen Handschuhe können das Zittern der Hände nicht verbergen: Ganz behutsam schlägt Uwe Kahl eine Seite des 600 Jahre alten Pergaments um: Handgemalte Bilder von unverblasster Farbenpracht, handgeschriebene Verse, fein gezeichnete Noten. Zum ersten Mal bekommt Kahl an diesem Tag das Messbuch wirklich zu sehen, mit dem er sich schon sein halbes Leben lang beschäftigt. Ein erhebender Augenblick für den Leiter des Altbestandes der Zittauer Christian-Weise-Bibliothek. Nach jahrelanger Odyssee ist das berühmte Missale Pragense wieder zu Hause.
Kunstdiebstahl ist inzwischen verjährt
Vertreter des Landkreises holten den fast einen halben Meter großen, 15 Kilo schweren Schatz aus dem frühen 15. Jahrhundert (Versicherungswert: 250 000 Euro) am Dienstag persönlich aus Königstein im Taunus nach Zittau zurück. Dorthin, wo es 1988 zusammen mit weiteren Kunstgegenständen auf ungeklärte Weise verschwunden war: In den Altbestand der Zittauer Bibliothek. Die Spur der Ermittlungen führten damals bis zu einem Antiquariat nach Bernburg. So mysteriös wie der Diebstahl endeten dort die hartnäckigen Nachforschungen des damaligen Görlitzer Kriminalisten. Vielmehr: Sie wurden beendet – offensichtlich mit Hilfe der Stasi.
Erst 1999 tauchte das Buch wieder auf: Ein Auktionshaus im Taunus hatte es im Auftrage eines privaten Besitzers zum Verkauf angeboten. Ein Rechtsstreit um das rechtmäßige Eigentum der Schrift begann, den das Landgericht Frankfurt/Main im April zu Gunsten des Landkreises Zittau entschieden hatte.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Staatsanwalt Sebastian Matthieu eindeutig belegen können, dass das Missale in Zittau tatsächlich „unfreiwillig abhanden gekommen war“. „Ich bin froh, dass wir den Nachweis doch noch erbringen konnten“, freut er sich.
Durch einen Zeugen aus dem Erzgebirge konnte Matthieu die Spur, die damals in Bernburg endete, weiterverfolgen. Und es ist ihm auch gelungen, den Antiquar, der später als hochrangiger Stasi-Mann enttarnt worden war, zwar nicht des Diebstahls, zumindest aber der Hehlerei mit „Kulturgut der Kategorie 1“ anzuklagen. Verantworten muss sich der Mann allerdings nicht mehr. An dem für den 2. Oktober 2000 angesetzten Hauptverhandlungstermin erschien der Angeklagte nicht. Ein ärztliches Attest bescheinigte sein Fernbleiben. Einen Tag später war die Straftat verjährt.
Auch die beiden ehemaligen Bibliotheksmitarbeiter, die Matthieu beinahe überführt hätte, brauchen jetzt keine richterliche Anklage mehr zu befürchten. „Sie werden mit ihrem Gewissen leben müssen“, sagt Kahl bitter.
Staatsanwalt arbeitet am nächsten Fall
Die Rückgabe des Prager Messbuches hat den Zittauern Mut gemacht: „Wir werden auch um die anderen Kunstgegenstände kämpfen“, sagt Landrat Günter Vallentin. Staatsanwalt Matthieu arbeitet bereits am zweiten Fall aus dem 88er Kunstdiebstahl: Dem Nachweis, dass der Landkreis Löbau-Zittau auch rechtmäßiger Eigentümer des „Ostfriesischen Landrechts“ ist, einem ebenfalls handgeschriebenen Buch aus dem Mittelalter von unschätzbarem Wert.
Für wenige Tage wird das Misale Pragense nächste Woche der Öffentlichkeit gezeigt: Vom 12. bis 14. August kann es zu den Öffnungszeiten der Christian-Weise-Bibliothek im Marstall an der Zittauer Neustadt, am 15. und 16. August im Zittauer Kreisarchiv, Lisa-Tetzner-Straße 11, besichtigt werden.