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Krass: Ein Leben für den Kras

In Oßling haben sich die Einwohner schon daran gewöhnt, dass ab und zu ein sowjetischer Ural und ein Kras im Dorf auftauchen. Die Leute schmunzeln dann und sagen: „Der Verrückte ist wieder mit seinen Autos da. Ganz schön krass.“ Der Verrückte ist Siegfried Freudenberg aus dem Tulpenweg.

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Von Jost Schmidtchen

„Wenn beide Lkw so wie heute hier vor dem Hoftor stehen, fallen schon mal die Leute wie ein Bienenschwarm mit ihren Fotoapparaten und Videokameras ein.“ Sagt Siegfried Freudenberg und schmunzelt. Seine Lkw sind sogar schon von Reisegruppen entdeckt worden. Sind es Busse aus den Altbundesländern, ist das Erstaunen noch größer. „Die Leute dort kennen diese Fahrzeuge überhaupt nicht.“

Aber er kennt sie. Für ihn sind Ural und Kras Erinnerung. An den Job im VEB Schotterwerk Oßling, an den Bau der Erdgastrasse in der Sowjetunion und auch heute hat er es bei einer Baufirma in Königswartha beruflich mit solchen Brummern zu tun. Allerdings etwas moderner Bauart. Der Chef in Königswartha hat viel Verständnis für das ausgefallene Hobby seines Mitarbeiters und er darf die beiden Lkw dort auch wettergeschützt in einer Fahrzeughalle abstellen.

Den Ural entdeckte Siegfried Freudenberg 1993 vor dem gemeindeeigenen Bauhof in Königswartha, wo er seinem Ende entgegensiechte. Aber die Papiere waren noch vorhanden und die Gemeinde war froh, dass das Fahrzeug verschwand. Außerdem kassierte sie dabei noch ein kleines „Freundschaftsgeld“. In mühevoller Hobbyarbeit und ungezählten Stunden hat Freudenberg dann das Fahrzeug zu einem zweiten Leben verholfen. Und den Kras kaufte er auf einem Schrottplatz in Neschwitz und bewahrte damit das heutige Schmuckstück vor dem Hochofen. „Ich habe bloß eine neue Batterie reingehängt“, erinnert sich der Techniker, „da sprang er sofort an.“

Die Liebe zu solchen Fahrzeugen begleitet den 49-Jährigen bereits seit der Lehre im Braunkohlentagebau Heide. Da waren es vor allem die robusten Raupen aus der Sowjetunion und später, während des Grundwehrdienstes bei der NVA, legte er auf einem Ural seinen Führerschein ab. Ab 1971 war Freudenberg im VEB Schotterwerk Oßling Brigadier im Transport. Die Reparaturen der schweren Lkw erfolgten in der eigenen Werkstatt und die Ersatzteile wurden bei der NVA in Straßgräbchen oder gleich bei der Sowjetarmee in Königsbrück besorgt, u.a. über Patenschaftsverträge. 1984 bis 1992 war der Oßlinger dann an der Erdgastrasse in Perm und in Kasachstan. Dort gab es auch keine anderen Lkw und alle Reparaturen mussten bei Hitze und Kälte, Frost und Schlamm selbst durchgezogen werden. Kein Wunder, dass Siegfried Freudenberg am Ural und am Kras jede Schraube ebenso kennt wie die tonnenschweren Bauteile. „Die Technik der Fahrzeuge ist robust, aber einfach und man kann alles selbst reparieren“. Natürlich nur, wenn man Ahnung hat. Und mit Vorschlaghämmern, riesigen Schraubenschlüsseln und Radkreuzen umgehen kann.

Mit den Lkw fährt der Oßlinger zu Oldtimerausstellungen, Militärfahrzeugtreffen und seit gut vier Jahren in das 4mal4-Camp nach Reichwalde. Dort kann man am Bärwalder See die Fahrzeuge testen. Und mit Gleichgesinnten zum Beispiel aus Schweden und den Altbundesländern abends bei einem Bierchen sitzen und fachsimpeln. Doch das Hobby kostet nicht nur Zeit und Kraft, sondern auch Geld. Beide Autos verbrauchen unheimlich viel Sprit. Echt krass! Da machen die Tankstellenwarte eine Verbeugung, wenn Siegfried Freudenberg an die Zapfsäule fährt und bedauern, dass es nur noch wenige dieser Oldtimer gibt, klar. Aber sie rollen halt. Zuverlässig und nicht nur zur Freude ihrer Besitzer.