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Verschaukelt der Kreistag Bedürftige?

Einige Sozialhilfeempfänger sollten rückwirkend bis 2013 mehr Geld fürs Wohnen bekommen. Ausgezahlt wird die volle Summe aber gar nicht.

Von Gunnar Klehm
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Jobcenter in die Bredouille gebracht: Der Kreistag hat zu großzügige Rückzahlungen beschlossen.
Jobcenter in die Bredouille gebracht: Der Kreistag hat zu großzügige Rückzahlungen beschlossen. © Daniel Schäfer

Sie muss sich intensiv kümmern, um den Lebensunterhalt für sich und ihr minderjähriges Kind zu bestreiten. Die Alleinerziehende aus dem Alt-Kreis Freital, wir nennen sie Edit Frey, ist auf Sozialhilfe angewiesen. Das Geld aus ihrem Teilzeitjob als Büroangestellte reicht nicht, um über die Runden zu kommen. Als sogenannte Aufstockerin bekommt sie im Rahmen von Hartz IV Wohnkosten erstattet, damit sie und ihr Kind wenigstens über die soziale Grundsicherung verfügen. 

Allerdings erhält Frau Frey weniger Geld, als ihre Ausgaben für Miete und Nebenkosten tatsächlich betragen. Ihre Wohnung ist teurer, als es ihr laut offizieller Richtwerte zusteht. "Im Ort habe ich nichts Vergleichbares gefunden und einen Umzug in eine andere Stadt wollte ich auch meinem Sohn nicht zumuten", sagt die Frau, die ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will, weil sie Anfeindungen fürchtet. So knapste sie sich von ihrem wenigen Geld noch etwas für die Miete ab.

Warum wurde die Rückzahlung beantragt?

Im Dezember hatten die Kreisräte diese Werte jedoch erhöht, die als angemessen für das Wohnen von Hartz IV-Empfängern wie Frau Frey gelten. Und das nicht nur ab sofort, sondern sogar rückwirkend bis 1. Juli 2013. Für Langzeitarbeitslose und Aufstocker kommt da ein ordentliches Sümmchen zusammen. Doch das ist nur die Theorie.

"Ich habe sofort nach der Veröffentlichung die Probe aufs Exempel gemacht", sagt Edith Frey. Nach den neuen Richtwerten hätte sie zwar nicht mal zehn Euro mehr fürs Wohnen erstattet bekommen müssen. Auf Jahre gerechnet sei das aber eine Summe, auf die sie nicht verzichten will. In der Praxis läuft das anders.

Was spricht gegen die jahrelange Rückwirkung?

Zuständig ist für sie als Aufstockerin das Jobcenter. Doch das sieht die Sache ganz anders als der Kreistag. Der hatte beschlossen, rückwirkend bis Juli 2013 neue, zum Teil höhere Kosten fürs Wohnen zu erstatten. Das Jobcenter teilte Frau Frey aber mit, dass maximal ein Jahr rückwirkend die Differenz erstattet wird. So stehe es im Sozialgesetzbuch II geschrieben (§ 40, Abs. 1, Satz 2). Darin heißt es zur Rücknahme von Verwaltungsakten unter Bezugnahme auf das Sozialgesetzbuch X: Anstelle des Zeitraums von vier Jahren für die Rückwirkung tritt ein Jahr. 

Allerdings ist das Juristen-Deutsch in dem Gesetzestext so kompliziert, dass es dem Otto-Normal-Verbraucher verschiedene Auslegungen vermuten lässt und ihn wohl nur Juristen erläutern können. "Da wünschte ich mir eine genauere Rechtsauskunft", sagt Frey. Auf anwaltliche Hilfe hat sie bisher verzichtet.

Kann der Kreistag Kulanz zeigen?

Das war den Kreisräten gar nicht bewusst, als sie der Vorlage des Landratsamtes zustimmten. Sie dachten tatsächlich, dass jetzt alle Bedürftigen rückwirkend zu ihrem Recht und einer kleinen Rückzahlung ihrer Mehrausgaben kommen. Doch mit dem Beschluss hat der Kreistag die Mitarbeiter des Jobcenters in die Bredouille gebracht.

Frau Frey war damals nicht gegen ihren Bescheid in Widerspruch gegangen. Das hat sie jetzt gegen die Ablehnung der kompletten Rückzahlung aber getan. "Schließlich entspricht es für mich auch keiner Logik, warum der Kreistag die Kosten der Unterkunft so lange rückwirkend erhöht, wenn es dann für Alg-II-Bezieher gar nicht die Möglichkeit gibt, das auch nutzen zu können", sagt sie. Dass sich nun einige verschaukelt fühlten, sei wohl nachvollziehbar.

Ob der Landkreis als Kulanz trotzdem die volle Summe nachzahlen könnte, darf bezweifelt werden. Doch selbst wenn es den politischen Willen dazu im Kreistag geben würde, ist fraglich, ob das erforderliche Geld überhaupt im Haushalt des Landkreises zur Verfügung stünde. Zudem kann der Kreistag einen Bundesgesetz nicht überstimmen.

Vom Jobcenter gab es auf Nachfragen von Sächsische.de noch keine Aussage. Man müsse noch "eine weitere Institution einbinden", hieß es. Unklar ist auch, wie viele Bescheide aus dem Vorjahr jetzt überprüft werden und ob das ohne extra Antrag erfolgt.

Weshalb wurden die Richtwerte verändert?

Dass der Kreistag überhaupt zahlreiche Richtwerte in verschiedenen Regionen des Landkreises für das Existenzminimum beim Wohnen angehoben hatte, war nicht ganz freiwillig. Ausgangspunkt dafür, dass der Landkreis handeln musste, war ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) aus dem Vorjahr. Das hatte das Konzept für die Berechnung der angemessenen Mieten, die eine Kommune bei Sozialfällen zu übernehmen hat, beanstandet. Kernpunkt ist dabei das Gebiet, innerhalb dessen einem Hilfeempfänger ein Umzug zumutbar ist, wenn er zu teuer wohnt. Die Bedürftigen wurden laut Gericht mit zu wenig Geld abgespeist.

Der konkrete Fall handelte zwar im Landkreis Segeberg in Schleswig-Holstein. Doch das angewendete Konzept wurde wie im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge von der Firma Analyse und Konzepte erstellt und ist mit dem hiesigen vergleichbar. Der Landkreis war einem möglichen Gerichtsurteil zum eigenen Konzept mit dem Beschluss zuvorgekommen.

Höchstwerte für Kosten der Unterkunft finden Sie hier.

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