Von Axel Krüger
Wasko, bringst Du mir meine Strickjacke mit?“ Anna Mühle friert und das völlig zu Recht. Es ist Sonntag früh, eigentlich noch eine gute Zeit für die 17-Jährige, sich anständig auszuschlafen. Es ist kalt. Draußen sowieso, aber auch hier drinnen, zwischen den noch unbesetzten Zuschauerreihen der Görlitzer kleinen Bühne im ehemaligen Lichtspieltheater Apollo. Die Heizungsanlage schafft bestenfalls Arbeitsatmosphäre. Behaglichkeit ist etwas anderes.
Den fünf jungen Menschen um Wasko Rothmann scheint das nicht allzu viel auszumachen. Am 28. März wollen sie am gleichen Ort das Sophokles-Drama Antigone aufführen, heute steht die erste komplette Durchlaufprobe auf dem Plan. „Mitbürger, Theben steht!“ rezitiert der Chor den vor zweieinhalbtausend Jahren geschriebenen Text, und in keiner Sekunde scheint es, als reiche die Lebenserfahrung der Schauspieler nicht zur notwendigen Tiefe.
Bis zum 28. März ist es nicht mehr lang, wenn man noch Schüler ist und sich nur an den Wochenenden zum intensiven Proben treffen kann. Und zu wissen, dass die Premiere bereits ausverkauft ist, vermindert den Druck auch nicht gerade. So wirkt Annas zerknirschter Abgang zur rettend bereitstehenden Wasserflasche fast tragisch. Ein Patzer nur beim Text – doch nichts, was Trost spendet in diesem kahlen, schwarzen Raum mit seinen schwarzen Stühlen und dem in Schwarz gekleideten Regisseur.
Mit minimalen Gesten fängt der die Situation auf. Ein knappes „gut“, kaum dass die Lippen sich öffnen dafür. Und gleich versteckt sich das gespielte „Leiden des jungen W.“ wieder hinter langen dunklen Strähnen der Haare, die auf der hohen Stirn nicht halten wollen.
Die Ernsthaftigkeit, mit der Wasko Rothmann arbeitet, ist beeindruckend. Ein Stück, an dem sich Hölderlin und Brecht versucht haben, ist ihm gerade recht. Leuten seines Alters will er den Stoff um Liebe, Pflichterfüllung, Treue und Verrat nahebringen. Woran Kohorten unwilliger Deutschlehrer scheiterten, das nimmt er sich vor, nichts Geringeres, und strahlt dabei eine gelassene Selbstsicherheit jenseits jeder Arroganz aus. Es ist wohl sein ganz persönlicher Gegenentwurf zur allseits behaupteten Spaßgesellschaft, denn Rothmann ist fest davon überzeugt, dass junge Menschen Interesse daran haben, sich mit Werten zu beschäftigen, wenn man ihnen die Botschaft nur richtig rüberbringt.
Überraschend lässt er stückfremde Zitate einfließen. „Wenn ein großes Land ein kleines überfällt, dann ist es Mord.“ Punkt. Erich Fried hat das vor mehr als einem halben Jahrhundert gesagt. Die Aktualität ist bedrückend. Vielleicht nimmt er noch ein paar Sätze aus der Neujahrsansprache des Görlitzer CDU-Fraktionsvorsitzenden mit auf. Der hatte die städtische Baumfällsatzung zum Thema seiner großen programmatischen Ansprache gemacht. Werte unserer Gesellschaft eben.
Wie nahe ist das Stück an diesem Sonntagmorgen an der Welt da draußen? Deutschland tanzt den Dieter Bohlen, und fünf junge Menschen suchen sich auszudrücken, suchen mit tief berührenden Stimmen und Gesten nach Interpretationen des Unaussprechlichen.