Von Heike Sabel
Drei Freunde waren die ersten Kunden von Albin Thomschke, als er am 1.Dezember 1902 seine Bäckerei öffnete. Die drei Männer hatten ihn während seiner Wanderschaft überredet, in Oberottendorf zu bleiben und zu backen. Dafür gaben sie ihm kostenlos Bauland. Seither wurden die Backöfen hier nicht kalt. Das Kuchenbrett, das Albin damals hatte, hält Liane Richter bis heute in Ehren.
Mit ihr steht inzwischen erstmals eine Frau an der Spitze des Familieunternehmens. Sie ist stolz auf ihre mutigen Vorfahren. „Sie gingen immer mit der Zeit mit.“ Ihr Opa fuhr zum Beispiel als erster im Dorf ein Auto. Ihr Vater war Obermeister und baute drei Filialen auf. Liane Richter ist heute im Prüfungsausschuss für die Gesellen, beschäftigt 21 Leute und hat unter anderem 24 Sorten Brötchen im Sortiment. Bei Albin gab es nur Brot und zwei Mal in der Woche Brötchen. Kuchen war Feiertagen vorbehalten. Schon ein Hefezopf war Zeichen für einen Höhepunkt. Im Krieg verschwand auch der.
Später folgten die Zeiten der Bestellungen und der Mangelwirtschaft, erinnert sich Liane Richter. Ihr Onkel vergaß einmal, vier bestellte Kuchen zu backen. Da stand die Kundin mit leeren Händen da. Auch der junge Mann, der den Tortenkarton hochkant nach Hause trug, sorgte dort für wenig Freude. „Die Verkäuferin hatte vorsichtig den Beutel über den Karton gezogen und ihn dem Mann in die Hand gegeben. Doch der griff beherzt nach den Henkeln.“ In der Backstube schüttelten alle den Kopf, erinnert sich Liane Richter.
Als zu DDR-Zeiten die Kühltruhe kaputt war, wurde ein Teil des Inhaltes bei Leuten im Dorf verteilt und in einer Nachtaktion das eingefrostete Obst eingekocht. Nach der Wende brauchten die Thomschkes Rhabarber- und Stachelbeerkuchen gar nicht mehr backen. Da wollten die Leute Ananas und Pfirsich. „Nun stehen sie auf Joghurt, weil das gesund klingt und sie denken, ein Stück mehr essen zu können“, sagt Liane Richter. „Auch Rhabarber ist wieder in.“
Nächste Übergabe gesichert
Dass Liane Richter die Familientradition fortführt, habe sich so ergeben. Gedrängt wurde sie von den Eltern nicht. Sie hätten es auch anders akzeptiert, waren aber natürlich froh. Auch Hebamme oder Kosmetikerin wäre Liane Richter gern geworden. Es gab fast nichts, was sie nicht gemacht hätte. Noch heute interessiert sie sich für vieles. Sie macht Käse selbst und hat im Urlaub den Winzer ausgefragt.
In der Backstube stehen viele Geräte und Maschinen, darunter eine zum Teigausrollen und die Pfannkuchenspritze. Bei Albin vor 105 Jahren war noch alles Handarbeit bei Kerzenlicht und im Kohleofen. Strom kam erst 1911 nach Oberottendorf. In 105 Jahren werden die Bäcker vielleicht über die heutige Zeit schmunzeln. Ob es die Bäckerei Thomschke dann noch gibt? Es sieht zumindest mit der nächsten Generation nicht schlecht aus. Ein Sohn lernt Bäcker, die Tochter Fachverkäuferin Backwaren. Liane Richter würde das Albinsche Kuchenbrett gern weitergeben.