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Kleine Kulturgeschichte der Masken

Ab Montag gilt in Sachsen die Maskenpflicht. Die Geschichte zeigt: Wer sein Gesicht versteckt, hat nicht immer etwas zu verbergen.

Von Birgit Grimm
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Als im Mittelalter die Pest wütete, benutzten vor allem Heiler solche „Schnabeldoktormasken“.
Als im Mittelalter die Pest wütete, benutzten vor allem Heiler solche „Schnabeldoktormasken“. © imago images

Quietschbunt. Kariert. Geblümt. Gestreift. Nur die Augen schauen noch heraus, Mund und Nase sind bedeckt. Deutschland vermummt sich, und es ist nicht mal gegen das Gesetz. Freiwillig tun das brave Bürger, die nichts Böses im Schilde führen. Abstand zu halten, sich und andere zu schützen, ist die erste Bürgerpflicht. Aber das ist nicht so einfach und nicht so selbstverständlich, wie es klingt.

Als im Mittelalter die Pest wütete, benutzten vor allem Heiler Masken mit einer ewig langen Nase. „Schnabeldoktormaske“ – in diesem Wort steckt alles drin, was diese Gesichtsbedeckung so besonders macht. Der lange Schnabel enthielt Kräuter, mit denen sich der Medicus gegen den Gestank der Epidemie wappnete und von denen er sich einen Infektionsschutz erhoffte.

Abstand halten war schon bei der Pest ein probates Mittel. Und wenn einer Maske dann sogar noch eine Brille aufgemalt war, fühlten sich die Kranken gleich viel besser wahrgenommen. Ob Pseudo-Brille und Kräuter halfen, die Epidemie in den Griff zu bekommen?Die Verwendung der Masken als mentales Placebo ist nicht erforscht. Aber klar ist, dass Masken dazu da sind, um nicht erkannt zu werden. 

Eine deutsche Schandmaske aus dem 17./18. Jahrhundert. Sie sollte höhnisch auf das „viehische“ Verhalten des Delinquenten hinweisen.
Eine deutsche Schandmaske aus dem 17./18. Jahrhundert. Sie sollte höhnisch auf das „viehische“ Verhalten des Delinquenten hinweisen. © INTERFOTO

Es kann ein Spiel sein oder bitterer Ernst, es kann um einen Flirt gehen oder um Leben und Tod. Wer sein Gesicht versteckt, setzt die Ordnung außer Kraft. Das schafft Nähe oder Distanz, gibt die Möglichkeit, ein anderer zu werden, aus dem Alltag auszusteigen. Das war schon immer so.

In Israel wurden Überreste von 11.000 Jahre alten Stein- und Metallmasken gefunden. Es gibt und gab sie in allen Kulturen, es gab und gibt sie auch aus Stoff und Pflanzen, aus Leder und Federn, aus Plastik und Papier …Die australischen Aborigines stellten ihre Häuser unter den Schutz von Masken aus Stein. Auch bei den nordamerikanischen Navajos waren die Masken für die Ewigkeit gemacht. Die Indianer vererbten in der Familie über Generationen auch das Wissen, welche Maske wie herzustellen ist.

Diese Maske aus den Ethnographischen Sammlungen stammt aus Burkina Faso.
Diese Maske aus den Ethnographischen Sammlungen stammt aus Burkina Faso. © Birgit Grimm

Viele Naturvölker benutzten Masken, um Schutzgottheiten anzurufen, böse Geister abzuschrecken oder um Ahnen darzustellen. Schon das Herstellen einer Maske glich einer magischen Zeremonie. Bei den Inuit durften die Frauen keine Masken herstellen, aber sie hatten die Herstellung der Masken zu überwachen. Die Macht des Rituals – oder die des Maskierten? – blieb, solange die Maske da war. Egal, wer sie trug.

Im antiken Theater verbargen die Schauspieler ihre Gesichter hinter typisierten Masken. Da konnte auch der Zuschauer in der letzten Reihe noch erkennen, welcher Charakter gemeint war. Wahre Schauspielkunst heute zeigt sich anders, auch wenn die Maske das Symbol des Theaters geblieben ist. Im 17. und 18. Jahrhundert war die Maske Fluch und Segen zugleich. 

Die Sonnenmaske schuf Johann Melchior Dinglinger für August den Starken.
Die Sonnenmaske schuf Johann Melchior Dinglinger für August den Starken. © Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Die einen wollten nicht gesehen werden, die anderen sollten so gesehen werden, wie die Gesellschaft sie sehen wollte, auch wenn die Gesellschaft das gar nichts anging. Während Ehebrecherinnen aus dem Volke vom Gericht dazu verdonnert wurden, eine Schandmaske zu tragen, flirteten die Reichen und Schönen nur zu gern auf Maskenbällen. Wer mit wem? Wenn die Welt für eine Nacht Kopf stand, wurden die Geschlechtergrenzen aufgehoben und die Stände gemischt. Die Adlige als Schäferin, das soll es gegeben haben.

In Venedig trug man die Masken ab dem 17. Jahrhundert auch außerhalb des närrischen Treibens auf der Straße. Adlige reisten inkognito nach Venedig und mischten sich unters Volk. Auch Gustav III. von Schweden war Fan des venezianischen Karnevals. Ironie des Schicksals: 1792 wurde er bei einem Maskenball im eigenen Schloss heimtückisch und hinterrücks ermordet. 

Nichts für den alltäglichen Gebrauch: Eine dreiteilige Maske aus der Dresdner Porzellansammlung.
Nichts für den alltäglichen Gebrauch: Eine dreiteilige Maske aus der Dresdner Porzellansammlung. © Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Aber hat man je davon gehört, dass August der Starke auf einem Fest als Bettler erschien? Er fühlte sich stets zu Höherem berufen, sah sich als Herkules und als Sonnengott. Die goldene Sonnenmaske wird noch heute im Dresdner Schloss bewahrt.

Es würde ihm vermutlich nicht gefallen, wüsste er, dass eine andere goldene Maske noch viel berühmter wurde: die Maske des Tutanchamun. Sie wurde 1922 im Tal der Könige im nahezu vollständig erhaltenen Grab dieses Pharaos entdeckt. Die goldenen Masken der alten Ägypter sollten die Toten schützen, ihnen ein ewig würdiges Aussehen verleihen und die Dämonen verjagen.

Wie Tutanchamun, der als Kind schon regierte und im Alter von etwa 18 Jahren starb, wirklich ausgesehen hat, weiß man nicht genau. Mancher hält seine Totenmaske für sein Porträt, weil in anderen Kulturen Totenmasken angefertigt werden, um mit dem ewigen Antlitz die Erinnerung an den Verstorbenen zu bewahren.