Von Peter Chemnitz
Den slawischen Silberschatz hat Jasper von Richthofen nur zufällig entdeckt. Dann aber hat er genau hingesehen. Denn die andere Hälfte dessen, was im Warschauer National-Museum ausgestellt ist, befindet sich in den Städtischen Sammlungen für Geschichte und Kultur Görlitz, denen Richthofen als Direktor vorsteht. Die Schätze waren während des Zweiten Weltkrieges im ehemaligen Ständehaus auf der heutigen Kahlbaumallee ausgelagert worden. Wie sie nach Polen gelangt sind, kann sich von Richthofen nicht erklären: „Das ist eine der vielen verworrenen Geschichten.“
Verschlossene Türen
Immerhin 80 Prozent ihres Vorkriegsbestandes beklagen die Städtischen Sammlungen als Verlust. Wie viel davon tatsächlich durch Kriegseinwirkungen zerstört wurde, ist unklar. Es könnte durchaus sein, dass sich viele Kunstgegenstände in polnischen Museen oder privaten Sammlungen befinden.
Wer sich auf die Spur des Vermissten begibt, wird in Warschau, Wroclaw, Luban und Krakow fündig. In den Museen und Bibliotheken lagern Bücher, Archivalien, Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen, Münzen und archäologische Gegenstände. „Viele Sachen haben wir nur zufällig entdeckt“, sagt von Richthofen. Lediglich von einem „ganz geringen Prozentsatz“ der vermissten Stücke wisse man, wo sie sich befinden. Denn der Zugang zu polnischen Depots wird deutschen Kunsthistorikern in der Regel verweigert. Bekannt ist, dass sich der mittelalterliche Schützenaltar der Görlitzer Schützengilde und Ölgemälde der Ratsherren heute in Wroclaw und Teile des Ratsarchives in Luban befinden.
Die in staatlicher polnischer Verwahrung befindlichen Görlitzer Kunstschätze bereiten den Museumsmitarbeitern der Neißestadt allerdings gegenwärtig die wenigsten Sorgen. Akute Gefahr besteht für jene Kulturgüter der Städtischen Sammlungen, die sich seit Kriegsende in privater Hand befinden. Sie tauchen zunehmend auf dem Schwarzmarkt auf, werden aber auch Auktionshäusern angeboten. Gesichtet wurden Gegenstände, die auf der Verlustliste der evangelischen Innenstadtgemeinde stehen, aber auch Stücke, die den Görlitzer Sammlungen zuzurechnen sind.
Schwierige Beweise
Nicht immer ist die Beweislage eindeutig. „Unser Problem ist, dass vieles grottenschlecht dokumentiert ist“, sagt von Richthofen. Allerdings sind in der Vergangenheit auch schon Stücke aus Polen zurückgekehrt.
Aktuell geht es den Görlitzer Kunsthistorikern und Politikern nicht vordergründig um die Rückgabe von Kunstschätzen. „Wir möchten, dass der polnische Staat verhindert, das unbezahlbare Kostbarkeiten aus deutschem Besitz verramscht werden“, sagt der Görlitzer Bundestagesabgeordnete Michael Kretschmer. Entsprechend einem Dekret von 1946 ist das „verlassene und ehemalige deutsche Vermögen“ polnisches Staatseigentum.
Andererseits sieht ein polnisches Gesetz vor, dass nach 60 Jahren derjenige Eigentümer von Gegenständen wird, der über sie verfügt, auch wenn er sie unrechtmäßig erworben hat. Deswegen sieht Kretschmer dringenden Handlungsbedarf und hat den Diplomaten Tono Eitel um Hilfe gebeten. Der 73-jährige Sonderbotschafter führt seit sechs Jahren die Rückführungsverhandlungen mit Polen.
Grundsatzstreit seit 15 Jahren
Bereits seit mehr als 15 Jahren streiten sich Deutschland und Polen über die Rückführung kriegsverbrachter deutscher Kulturgüter. Neben den Beständen aus der früheren Preußischen Staatsbibliothek und des Deutschen Historischen Museums geht es auch um Kulturgüter aus Görlitz. Die Differenzen sind grundlegend. So beharrt Polen auf dem „Territorialprinzip“, wonach alle in Schlesien entstandenen Kulturgüter an den Ort ihres Ursprungs zurückgeführt werden sollen. Damit erhebt Warschau beispielsweise Ansprüche auf archäologische Funde, wie sie auch in Görlitz vorhanden sind.Auf ein Wort