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Landkreis spart auf Kosten von Kindern

Für die Vorwürfe gegen das Jugendamt Meißen, Kinder aus Problemfamilien nicht in ein Heim einzuweisen, gibt es eine handfeste Erklärung. Der Altkreis Meißen hat nach SZ-Recherchen im Jahr 2004 im Zuge...

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Von Jürgen Müller

Für die Vorwürfe gegen das Jugendamt Meißen, Kinder aus Problemfamilien nicht in ein Heim einzuweisen, gibt es eine handfeste Erklärung. Der Altkreis Meißen hat nach SZ-Recherchen im Jahr 2004 im Zuge eines generellen Sparprogrammes die Ausgaben für die Jugendhilfe, etwa durch den Wegfall von Heimplätzen, um fast eine halbe Million Euro gekürzt. „Auch Kultur, Sport und Soziales müssen ihren Beitrag beim Sparen leisten“, hatte Landrat Arndt Steinbach (CDU) dies damals verteidigt.

Bedenken selbst in der CDU

Wurden 2002 noch 9,48 Millionen Euro für die Jugendhilfe ausgegeben, so waren es 2004 nur noch 7,59 Millionen Euro. Im Jahr darauf sank diese Summe sogar auf 6,32 Millionen Euro. Zwar ging die Zahl der betreuten Kinder und Jugendlichen ebenfalls zurück, aber bei weitem nicht in diesem Umfang.

Selbst aus den Reihen der CDU-Fraktion gab es Bedenken. Dennoch wurde die Sparliste des Landrates abgesegnet. „Wir haben keine andere Möglichkeit mehr, unsere Ausgaben zu decken“, sagte der damalige CDU-Fraktionschef Ulrich Reusch, der zugleich dahingestellt ließ, ob die Sparmaßnahmen politisch vertretbar seien.

Die Auswirkungen sind nun sichtbar. Obwohl das Jugendamt immer wieder betont, dass bei allen Entscheidungen nur das Kindeswohl im Vordergrund stehe und keinerlei finanzielle Interessen, wurden Kinder aus Problemfamilien nicht ins Heim eingewiesen. In den Familien wurden sie misshandelt. Das kam bei einem Gerichtsverfahren heraus (die SZ berichtete) und wird auch von der Meißner Rechtsanwältin Andrea Müller, die solche Fälle betreut, bestätigt. „Es gab viele Fälle, wo es nur um die Kosten ging“, sagt sie. Einmal habe sie eine junge Frau sogar in ein Altenheim einweisen sollen, weil das billiger gewesen sei als ein Platz in einem Kinderheim. „Es wurde immer die billigste Lösung gesucht, egal ob diese gut war für die Kinder oder nicht“, sagt sie. Die Anwältin habe viele Fälle gehabt, wo es nur um die Kosten ging. Die meisten der Eltern seien völlig hilflos und überfordert, ihre Anträge auf Heimeinweisung würden nicht bearbeitet. „Das geschieht erst, wenn sich ein Anwalt einschaltet“, sagt Andrea Müller. In mehreren Verfahren habe sie eine Heimeinweisung gerichtlich durchsetzen müssen. „Es kann nicht sein, dass sich der Landkreis auf Kosten von Kindern saniert“, so die Anwältin.

Mehr ambulante Angebote

Im Landratsamt weist man die Kritik nach wie vor zurück. „Die sich in der Statistik zeigende Rückläufigkeit der Fallzahlen begründet sich im stetig zunehmenden ambulanten Angebot in den unterschiedlichsten Formen“, heißt es aus dem Jugendamt. Zielstellung der Hilfen zur Erziehung sei in jedem Fall der Erhalt des Familiensystems, wozu auch ambulante und teilstationäre Hilfen beitragen könnten.

Andrea Müller hofft, dass sich mit der Absetzung der zuständigen Sachgebietsleiterin etwas ändert, hält sie aber nicht für die allein Schuldige. „Sie muss bei allen ihren Entscheidungen Deckung von ganz oben gehabt haben.“