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Legenden strampeln gegen die Krise

Viele bedeutende deutsche Rennen sind aus dem Radsport-Kalender verschwunden. In Zwenkau wollen einstige Helden etwas retten. Und doch sind die Probleme zu spüren.

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© dpa

Von John Hennig

In schlechten Zeiten wird gerne die Vergangenheit oder Zukunft beschworen. Dass der Profiradsport schon bessere Zeiten durchlebt hat, wurde am Sonntag in Zwenkau, südlich von Leipzig, gleich in mehrfacher Hinsicht deutlich. Bei der zehnten Auflage des Eintagesrennens „Neuseen Classics rund um die Braunkohle“ fehlten die aktuellen Profis. Dafür setzten die Veranstalter mit einem Legenden-Rennen auf die Vergangenheit – und hoffen auf eine bessere Zukunft.

Einige der größten Namen des vor allem ostdeutschen Radsports begaben sich auf eine 30 Kilometer lange Strecke. Selbst Rudi Altig, mittlerweile 76-jährig und Straßenweltmeister von 1966, setzte sich noch einmal einige Runden in den Sattel. Am Ende fuhren Olaf Ludwig und Wolfgang Lötzsch Hand in Hand gemeinsam als Sieger über die Ziellinie.

Die Namen klangen nach großem deutschen Radsport: Der Friedensfahrtgewinner und Olympiasieger Ludwig aus Gera sowie der zu DDR-Zeiten untergebutterte Lötzsch aus Chemnitz. Beide sind ihrer Leidenschaft bis heute treu geblieben. Ludwig nach seiner Zeit beim T-Mobile-Team, die 2006 nach dem Ausschluss von Jan Ullrich und Oscar Sevilla für die Tour de France abrupt endete, als Veranstalter von Radreisen. Lötzsch im Dienste verschiedener Profi-Teams als Mechaniker. Beide sorgen sich um ihren Sport. Denn so viel Spaß den Legenden das Wiedersehen auch bereitet hat, allen ist klar, dass ihr Showrennen auch eine Notlösung war.

Die Veranstalter rund um Renndirektor Jörg Weise hatten im Vorfeld Probleme, ein starkes Feld für das eigentlich geplante Profirennen zusammenzustellen. Zwei Teams, die schon zugesagt hatten, lösten sich auf. Und dann liegt das Eintagesrennen „Neuseen Classics“ ungünstig im engen Terminkalender des Radsport-Weltverbandes UCI. So sind die besten Fahrer zurzeit beim Giro d’Italia am Start. Oder bei der parallel laufenden Kalifornien-, Belgien- oder Bayern-Rundfahrt. Da ist es schwierig, Profiteams für einen Tag nach Sachsen zu locken, ohne sich finanziell zu übernehmen.

Leute kommen, wenn es Rennen gibt

Der Radsport an sich hat wenig Probleme. „Wir waren beim Jedermann-Rennen ausgebucht“, erzählt Mitorganisator Ronny Winkler. Zudem säumten fast 50 000 Zuschauer die Strecken im Süden Leipzigs, was nicht für Desinteresse am Radsport spricht. „Ich habe lange nicht mehr so viele Leute bei einem Radrennen gesehen“, sagte Wolfgang Lötzsch. Und Olaf Ludwig ist sich sicher: „Wenn es die Rennen gibt, kommen auch die Leute.“

Aber es gibt nicht mehr viele Profirennen in Deutschland. Die Deutschlandtour, die Sachsenrundfahrt, Rund um Berlin oder die Friedensfahrt, all diese Rennen sind aus dem Radsport-Kalender verschwunden. Die Radsportfamilie ist sich weitgehend einig, dass das finanzielle Gründe hat, weil sich kaum noch Sponsoren finden, die bereit sind, die teuren Veranstaltungen zu unterstützen.

„Die Auflagen der Behörden sind mittlerweile riesig“, sagt Radsport-Kenner Didi Senft, bekannt als ewiger Irrwisch im Teufelskostüm an den Strecken der Radsportwelt. Der 61-jährige Fahrrad-Verrückte spricht viel über Geld, wenn er die Probleme des Radsports skizziert. So erzählt Senft, wie vor allem potente Privatpersonen noch regional Rennen am Leben halten – oder die lukrativen Jedermann-Rennen mit den Startgeldern der Teilnehmer.

Die bringen Geld, sind sich auch die fahrenden Legenden einig, „aber es gibt ja keine Quereinsteiger, die von Jedermannrennen zu den Profis wechseln“, glaubt Olaf Ludwig. „Der Radsport muss sich über den Nachwuchsbereich in den jungen Altersklassen wieder finden, aber wir haben zu wenige Rennen im deutschen Raum. Wo sollen sich die Sportler denn präsentieren“, fragt Ludwig, „es gab Zeiten, da hatten wir über 50 Profi-Rennen in Deutschland im Jahr.“

Und die Erfolge des Teams Telekom rund um Jan Ullrich und Erik Zabel. Aber diese Zeiten sind vorbei. Auch, weil die Mannschaft heute – wie der Radsport allgemein – mit systematischem Doping verbunden wird. Die Radsportfamilie findet, dass sie oft herhalten muss, wenn es um allgemeine Probleme des Sports geht. „Da würde ich mir eine Gleichberechtigung wünschen“, hofft Ludwig, dass auch bei anderen Sportarten so kritisch berichtet wird wie beim Radsport. Über seinen Ausstieg aus dem Profi-Radsport mit dem Aufkommen des Fuentes-Skandals will er sich auch heute nicht äußern.

Die Veranstalter der „Neuseen Classics“ wollen sich von all den Problemen nicht unterkriegen lassen. Im kommenden Jahr sollen wieder aktuelle Profis an den Start gehen. Renndirektor Jörg Weise erklärt, dass man mit dem Weltverband vereinbart habe, dass es möglich sei, einmal auszusetzen und trotzdem den Status als Rennen der Kategorie 1.1 zu behalten: „Hätten wir die Zusage nicht bekommen, hätten wir auf jeden Fall ein Profi-Rennen veranstaltet, dann eben mit anderen Teams.“

Am liebsten wäre es Harald Redepenning, der die „Neuseen Classics“ vor zehn Jahren wiederbelebte, wenn das Rennen perspektivisch unmittelbar vor oder nach der Bayern-Rundfahrt stattfinden würde. Dann gäbe es berechtigte Hoffnungen auf ein stark besetztes Rennen, im besten Fall auch mit den deutschen Fahrern der neuen Generation wie Marcel Kittel, Tony Martin oder John Degenkolb. „Die Jungen sind ja durchaus erfolgreich, die kennt aber kaum einer“, sagt Wolfgang Lötzsch, „uns kennt man – noch.“