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Letzte Händlerin kämpft in Hagenwerder

Auch die Sparkasse ist jetzt weg aus Hagenwerder. Jana Mathieu hält aber durch, trotz der Leere rundum.

Von Susanne Sodan
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Kämpfernatur auf der Ladenstraße: Andere gingen weg, Jana Mathieu ist mit ihrem Frischemarkt und drei Mitarbeiterinnen geblieben.
Kämpfernatur auf der Ladenstraße: Andere gingen weg, Jana Mathieu ist mit ihrem Frischemarkt und drei Mitarbeiterinnen geblieben. ©  André Schulze

Der Frischemarkt an der Karl Marx-Straße ist alles in einem: Getränkemarkt, Supermarkt, Zeitschriftenhandel, Blumenladen, am linken Ende hat ein Bäcker eine Mini-Filiale, eine Fleischerei-Theke grenzt an. In einem Regal am Eingang stehen Bücher zum Tauschen. Ein bisschen Bibliothek ist der Frischemarkt also auch. „Irgendjemand hat damit mal angefangen“, erzählt Inhaberin Jana Mathieu.

Und warum sollte man Bücher wegwerfen, wenn man sie auch zum Tauschen auslegen kann. Anfang der 2000er hat sie angefangen, im Frischemarkt in Hagenwerder zu arbeiten. 2011 übernahm sie das Geschäft – und hält bis heute durch. Ihre Händlernachbarn dagegen sind seit den 90er Jahren peu a peu ausgezogen.

Dass das nördliche Ende der Karl-Marx-Straße als Ladenzeile geplant war, sieht man. In den lückenlosen Häuserblöcken sind oben Wohnungen, unten Geschäftsräume mit Schaufensterfront. Gegenüber, auf der anderen Straßenseite ist ein kleines rundes Gebäude. Hier war bis vor Kurzem die Sparkasse. Drinnen stehen noch ein paar leere Schreibtische. An der Glastür hängen zwei Schilder. Das eine sagt, dass die Filiale zum 27. Juni geschlossen hat: „Besuchen Sie uns künftig in der Filiale Görlitz-Weinhübel“. Sechs Filialen der Sparkasse Oberlausitz-Niederschlesien sind Ende Juni weggefallen. In Görlitz sind die in der Südstadt und in Hagenwerder betroffen. Um die Bargeldversorgung im ländlichen Raum abzusichern, wurden die Haltepunkte der mobilen Filiale aufgestockt, teilte die Sparkasse mit. Darum geht auf dem zweiten Aushang: Auch in Hagenwerder hält das Sparkassen-Mobil jetzt jeden Dienstag von 15.15 bis 15.45 Uhr. „Da bekommt man aber keine Kontoauszüge“, sagt eine ältere Frau, die vor der ehemaligen Sparkasse steht. „Na, dann können sie es eigentlich auch gleich lassen“, antwortet ein Mann. Insgesamt vier Senioren stehen vor der dem runden Gebäude. Sie warten weder darauf, dass die Sparkassen-Filiale von Zauberhand wieder öffnen könnte, noch auf das Sparkassen-Mobil, das hält weiter vorne an der alten Feuerwehr. Sie warten auf den Bäckerwagen von der Bäckerei Geißler.

Früher, erzählt der Mann, der seinen Namen nicht sagen mag, gab es in der Ladenstraße gegenüber sogar ein kleines Café. Er und die ältere Frau müssen nicht lange überlegen, um zu erzählen, was in den Geschäften einst war. An der vorderen Ecke gab es Schuhe und Textilien. Heute hat hier der Interessenverein Wohnpark Hagenwerder sein Domizil. Im nächsten Geschäft war früher ein Quelle-Shop, nebenan ein Friseur. Dort hat früher Kathrin Grützner gearbeitet, die heute ihren eigenen Salon an der Immanuel-Kant-Straße hat. An sich sei der Standort an der Ladenstraße gar nicht schlecht gewesen, „man war präsent“, sagt sie. Nebenan, erinnert sie sich, war ein Bäcker. Die Aufschrift „Steh-Café“ am Schaufenster zeugt heute noch davon. Dann kommt der Frischemarkt, in dem früher noch eine Postfiliale mit drin war. Um die Ecke herum muss früher ein Fleischer gewesen sein – das leere Ladengeschäft ist voll gekachelt. Der Kiosk-Treff Heinrich daneben ist nicht leer, auch ihn gibt es noch.

„Das war hier früher so belebt“, sagt die Frau vor der ehemaligen Sparkasse. Sie lebt in einer der Wohnungen über der Ladenzeile, 1960 ist sie eingezogen, erzählt sie. Damals habe man locker ein halbes Jahr auf eine solche Wohnung warten müssen. Heute stehen viele offenbar leer. Mit der Schließung der Grube habe es angefangen mit dem Wegzug der Menschen wie der Geschäfte aus der Ladenstraße.

Die roten Buchstaben über dem Eingang sind zwar abgenommen worden, aber sie haben Abdrücke hinterlassen: Bis vor wenigen Wochen war hier noch die Sparkassen-Filiale.
Die roten Buchstaben über dem Eingang sind zwar abgenommen worden, aber sie haben Abdrücke hinterlassen: Bis vor wenigen Wochen war hier noch die Sparkassen-Filiale. © André Schulze

Die Sparkasse fehlt vielen in Hagenwerder, weiß Jana Mathieu von ihren Kunden im Frischemarkt. „Da haben schon einige geschimpft.“ Seit drei Jahren kann man bei ihr auch mit Karte bezahlen. „Zum Glück“, sonst würden jetzt vielleicht noch weniger Menschen zum Einkaufen kommen, vermutet sie. Ab und an kommen Urlauber vom Berzdorfer See, die allermeisten Kunden kennt sie aber beim Namen, es sind ältere Hagenwerdaer. Für sie macht sie auch weiter mit dem Frischemarkt. „Gerade die Älteren sind schon dankbar“, sagt sie. Das einzige Standbein ist der Frischemarkt aber nicht. Jana Mathieu und ihre drei Mitarbeiterinnen bieten auch Catering an, dafür sind sie viel in Görlitz unterwegs. Und sie liefern Lebensmittel an Kunden, die selber nicht mehr ins Geschäft kommen können. „Das macht nach Feierabend mein Mann für mich“, erzählt Jana Mathieu. „Wir haben hier in Hagenwerder eine Lücke“, sagt sie, „die mittlere Generation fehlt eigentlich.“

Als sich Oberbürgermeister Siegfried Deinege vor einigen Tagen aus dem Amt verabschiedete, zog er Bilanz und ging dabei auch auf Vorhaben ein, die nun weiter vorangetrieben werden müssten. Gemeinsam mit den Ortschaftsräten mehr für die ländlichen Stadtteile machen, war ein Punkt: beispielsweise Hagenwerder als begehrten Wohnort am See vermarkten.

Ob Jana Mathieu so lange mit dem Frischemarkt weitermacht, bis dieses Ziel mehr zur Realität wird, kann sie noch nicht sagen. Früher oder später gehen ihre drei Mitarbeiterinnen in Rente, „und solche Leute finde ich nie wieder“, sagt sie. Seit vier Jahren weiß sie auch, dass die Gesundheit wichtiger ist. 2015 erkrankte Jana Mathieu an Brustkrebs. Mit dem Geschäft machte sie trotzdem weiter. Leicht sei das nicht immer gewesen, gerade in den Zeiten mit Chemotherapie. Deshalb ist seit 2015 auch mittwochs nicht geöffnet. Das ist der Tag, an dem sie Bürosachen erledigt, oder es ruhiger angehen lassen kann.

Die dienstälteste Mitarbeiterin im Frischemarkt ist Elke Demuth. Seit 1992 ist sie dabei – und hat seither die Entwicklung der Ladenstraße miterlebt. Wie die Hagenwerdaer vor der Sparkassen-Filiale kann sie problemlos die Geschäfte aufzählen, die es nicht mehr gibt. „An der Arbeit liegt es“, sagt sie. Auch sie sieht sie den Grund für den Wegzug von Anwohnern und Geschäften bei der Schließung von Grube und Kraftwerk. „Das war zwischen `1994 und 1996. Danach sind so viele weggegangen. Das war so eine richtige Durststrecke.“ Seit etwa zehn Jahren spürt sie langsam wieder leichten Aufwind durch Firmenansiedlungen. Aber davon bräuchte es viel mehr.

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