Von Claudia Schade
Sieben Jahre lang war er Hotelchef, ohne einen einzigen Gast zu Gesicht zu bekommen. Als Winfrid Tilp 1983 die Leitung des Martha Hospizes übernahm, war eine seiner ersten Amtshandlungen die Schließung des Hauses. Tilp, eigentlich Maschinenbauingenieur und damals unerfahren in der Hotelbranche, koordinierte den Umbau. Und der dauerte, denn weder Baumaterial noch Arbeiter waren zu DDR-Zeiten ausreichend vorhanden. „Es war wie die Aufgabe, aus Ostseesand eine ägyptische Pyramide zu bauen“, erinnert er sich.
Im Januar 1991 konnte das älteste noch bestehende Hotel in Dresden wieder öffnen. Zur rechten Zeit, denn mit der Wende kamen auch die Gäste aus den alten Bundesländern. „Wir hatten jeden Tag ein volles Haus, über das Jahr gerechnet 90 Prozent Auslastung.“ Der Geschäftsführer fand sich schnell in seine neue Rolle ein. „Ich musste auf einmal wissen, was Mehrwertsteuer ist und hatte keine Zeit, nachzudenken, wie ich mich in der neuen Funktion richtig bewegen musste.“
„Alles anders und
trotzdem gleich“
Jetzt stellt sich die Frage schon lange nicht mehr. Morgen feiert Tilp sein 20-jähriges Dienstjubiläum im einzigen christlichen Hotel Dresdens. Die Antwort auf die Frage, was denn nun christlich sei an der Herberge, fällt dem 58-Jährigen schwer. „Es ist alles anders und trotzdem gleich.“ Im Hoteleingang hängt ein Kreuz, es gibt einen Andachtsraum, und in den 50 Zimmern mit 85 Betten liegt neben der Bibel jeweils auch die Herrnhuter Losung. Die Mitarbeiter jedoch müssen keiner Gemeinde angehören. „Mitbringen sollten sie aber Verständnis und Toleranz für die christliche Lehre.“ Was der Geschäftsführer dagegen nicht will, „ist ein beigebrachter und fast eingepflanzter Schalter zum Breitziehen der Mundwinkel“. Das habe nichts mit der Herzlichkeit zu tun, die er beim Empfang der Gäste erwarte. Die sei ihm aber besonders wichtig. Deshalb versteht sich Tilp auch eher als Gastgeber, denn als Hoteldirektor.
Zeigen konnte er das einmal dem Politiker Hans-Jochen Vogel. Der übernachtet gern in dem Hospiz, das seinen Namen von dem lateinischen Wort für Herberge ableitet. Einmal hatte Vogel jedoch seinen Koffer im Zug vergessen, brauchte Waschzeug und einen Schlafanzug. Letzterer war allerdings am späteren Sonnabendabend nicht mehr aufzutreiben. Also musste flugs ein frisch gewaschener des Direktors herhalten. „Vogel sagte mir danach scherzhaft, er hätte in meinem Schlafanzug besonders gut geschlafen.“
Tilps liebster Platz im Haus, das er selbst mit seiner Familie bewohnt, ist die Terrasse im Grünen. Hier frühstückt er gern. Im Rückblick auf seine 20-jährige Tätigkeit freut sich der Jubilar besonders über einen Titel, den sein Haus 1997 erhielt. Damals wurde das bereits 1899 gegründete Hospiz als rollstuhlfahrerfreundliches Hotel klassifiziert. „Mein Vater saß im Rollstuhl. Deshalb lag mir der Umbau von sieben Zimmern besonders am Herzen.“