Machen wir uns wieder locker

Sind Sie am Freitag schon in Ihrem Lieblingsrestaurant gewesen? Oder geht’s am Samstag in den Biergarten? Vorher Mundschutz-Shoppen in der City. Abends Geister-Bundesliga. Am Sonntag mit der Familie in den Zoo, nachmittags Besuch bei Freunden. Montag gehen dann die Kinder wieder in die Kita oder die Grundschule. Man sollte auch allmählich den Himmelfahrtsausflug planen. Und zu Pfingsten vielleicht einen Kurzurlaub.
Merken Sie was? Das normale Leben kehrt allmählich zurück. Die Krise ist noch längst nicht überstanden, aber eine Lockerung jagt die andere. Auch wenn sehr vieles längst noch nicht wieder ist, wie es vor Corona war und wie es hoffentlich möglichst bald wieder sein wird.
Machen wir uns also wieder locker – mit Mundschutz, Abstand und Händewaschen. Deutschland wird ein bisschen mehr wie Schweden. Was wir dafür jetzt brauchen, ist Eigenverantwortung. Bisher hat man uns gesagt, was wir zu tun beziehungsweise vor allem zu lassen haben. Das war alles andere als angenehm, doch es gab einem eine gewisse Sicherheit. Nun müssen wir selber beurteilen, ob unser Verhalten andere oder uns selbst in Gefahr bringt. Und müssen selbst entscheiden, was wir verantworten wollen. Das bringt Unsicherheit mit sich. Soll ich mich überhaupt ins Restaurant wagen? Dürfen die Kinder nach der Kita zur Oma? Kann ich die Einladung zum Grillen bei Freunden annehmen?
Conny Corona sitzt am Nebentisch
Der Spagat zwischen wiedererlangter Freiheit und weiter notwendigen Beschränkungen wird anstrengend. Die Lockerung der Corona-Regeln könnte eine größere Herausforderung werden, als es der Lockdown war. Zwei Monate lang haben die meisten von uns die Regeln einigermaßen diszipliniert eingehalten. Nun fallen zahlreiche dieser Regeln weg, alles wird unübersichtlicher. Dabei werden Fehler gemacht werden, manches wird absurd anmuten. Aber es ist eben für alle das erste Mal, dass man es mit einer solchen Pandemie zu tun hat. Ohne viel Geduld und sehr viel Nachsicht wird es nicht gelingen.
Den einen geht alles zu schnell und zu weit, den anderen nicht schnell und nicht weit genug. Die Bürger fordern zu Recht ihre Freiheiten zurück. Gleichzeitig aber rufen Gastwirte und Schulleiterinnen, Theaterintendantinnen und Bademeister nach Vorgaben und Regeln, was sie denn nun bei der Wiedereröffnung zu beachten haben. Wo es aber aus gutem Grund keine allgemeingültigen konkreten Vorgaben gibt, ist Kreativität gefragt, ohne unvorsichtig zu werden. Vielleicht entwickelt sich ja sogar ein Wettbewerb um die besten Lösungen für Kitas, Kneipen oder Konzerthäuser, wie sich Hygiene einhalten und der Betrieb trotzdem halbwegs angenehm gestalten lässt.
In einem Hotel im niedersächsischen Laatzen zum Beispiel sitzt jetzt an jedem zweiten Tisch eine Conny Corona. So nennen sie dort die Schaufensterpuppen, die sie auf jene Plätze gesetzt haben, die wegen der Ansteckungsgefahr frei bleiben müssen. Dadurch soll es nicht so leer wirken im Restaurant. Über die Idee lässt sich streiten, aber immerhin hat sich da jemand was einfallen lassen.
Eine Pause im allgemeinen Wehklagen
Ja, es gibt unzählige Probleme in diesen Wochen, Menschen sind in Not und wissen nicht, wie es weitergehen kann. Kein Berufsverband, keine Interessensgruppe ohne Schrei nach Sofortprogramm und Rettungsschirm. Selbstverständlich muss geholfen werden, es werden unfassbare Summen fließen, und das ist auch gut so. Aber würde uns allen nicht eine kurze Pause im allgemeinen Wehklagen guttun, jetzt, wo viele wieder wenigstens ein wenig loslegen können? Es gibt gute Gründe zu klagen und zu meckern. Aber inzwischen haben wir doch auch wieder Anlass, uns zu freuen oder wenigstens aufzuatmen. Dass das Leben wieder ein wenig normaler wird. Und dass es – bisher jedenfalls – nicht so schlimm gekommen ist wie befürchtet.
Es ist schwer, damit umzugehen, dass es kaum Klarheiten über Corona gibt und keinen Verantwortlichen für das Virus. Das treibt manchen in die Fänge von Halunken und Verschwörungsspinnern, die ihnen Schuldige servieren.
Umso wichtiger ist es für die Besonnnen, jetzt verantwortungsbewusst umzugehen mit den kommenden Öffnungen und den bleibenden Einschränkungen.
Gewöhnen wir uns also an diesen nervigen Mundschutz und die Einmeterfünfzig. Und freuen wir uns auf die nächsten, bereits angekündigten Lockerungen – etwa im Reiseverkehr. Den Abschiedsgruß „Bleib gesund“ hört man in letzter Zeit ja nicht mehr so oft. Vielleicht sollten wir umsteigen auf: „Bleib vernünftig!“