Kartoffeln vom fremden Teller: Ärger ums Schulessen

Die Essenskarte lag zu Hause. Ohne sie konnte Luisa Meier das Essen in der Schule nicht bezahlen. Sie begleitete ihre Freundin dennoch mit in den Speisesaal der 32. Oberschule auf dem neuen Schulcampus Tolkewitz und setze sich dazu. Als die Freundin fertig war, angelte sich Luisa, deren Name anonym bleiben soll, ein paar Kartoffeln vom Teller, die ihre Freundin ohnehin weggeschmissen hätte. „Plötzlich stand die Lehrerin hinter mir und fragte mich nach meinem Klassenlehrer“, erzählt sie. Bei ihm musste das Mädchen, das die fünfte Klasse besucht, in einem handgeschriebenen Brief darlegen, warum sie diesen „Fehler“ begangen habe.
Ihre Mutter zeigt Verständnis für den Essensanbieter, der ja auch sein Geld verdienen müsse. Aber: „Über das Verhalten der Schule ärgere ich mich, ein Kind so zu bestrafen, weil es einmal die Karte vergessen hat.“ Luisas Lehrer verlangte, dass sie jeweils fünf Sätze dazu aufschreibt, was passiert ist, warum sie so etwas nicht machen soll und wie sie in Zukunft damit umgeht. „Ich darf das nicht, weil jeder sein Essen bezahlen muss“, „Ich darf das nicht, weil die Firma Gourmetta sonst kein Geld verdient“ und „Ich werde das Essen, das mir jemand anbietet, ablehnen“ – diese Sätze brachte das Mädchen zu Papier.
Der Brief liegt der SZ vor. Ein Satz macht die Mutter besonders wütend, weil sie dabei hinter ihrer Tochter steht: „In Zukunft werde ich das Mädchen ihr Essen wegschmeißen lassen, was ich nicht verstehe, da es Verschwendung ist.“ Luisas Lehrer habe ihr wohl gesagt, dass er das auch findet. Aber er müsse es dennoch durchsetzen, dass jeder Schüler selbst bezahlt.
Schulleiter verteidigt das Vorgehen
In dieser Frage wiederum steht Schulleiter Andreas Neubert hinter seinem Lehrer. Zum konkreten Vorfall mit dem Brief will er sich zwar nicht äußern, auch nicht dazu, ob das eine gängige Praxis mit „Mitessern“ ist. Aber es gelte nun einmal die Regel: „Es kann nur essen, wer auch bezahlt.“ Dabei ziehe auch das Argument nicht, dass das Essen ohnehin weggeschmissen werde, denn Einzelfälle zu prüfen sei bei der großen Schüleranzahl einfach nicht machbar.
Die Kontrolle, ob wirklich jeder Schüler sein eigenes Essen verspeist, obliegt tatsächlich den Schulen selbst. Auf dem Tolkewitzer Schulcampus ist das bei mehr als 1.300 Schülern derzeit sicher kein leichtes Unterfangen. Neben dem Gymnasium Tolkewitz und der 32. Oberschule ist an der Wehlener Straße zusätzlich das Gymnasium Dreikönigschule untergebracht, dessen Stammhaus gerade saniert wird. Das Schulverwaltungsamt schließt mit dem Essenanbieter nur einen Mietvertrag über die Küchenräume ab, die er vor Ort nutzt. „In die Organisation der Essenausgabe greift das Schulverwaltungsamt nicht ein“, teilt eine Rathaussprecherin mit. „Es gibt daher seitens des Schulverwaltungsamtes weder ein Verbot, dass Kinder Essen an andere Kinder abgeben, noch Regelungen, die dies steuern.“ Auch das Landesamt für Schule und Bildung trifft keine Vereinbarungen mit Essensanbietern. „Die Schulen wählen sich eigenverantwortlich mit dem Elternrat der Schule den Anbieter aus“, so Sprecherin Petra Nikolov. Über festgelegte Regeln bei der Ausgabe könne sie deshalb keine Angaben machen. Gourmetta selbst lässt eine Anfrage der SZ auch nach mehrmaliger Aufforderung unbeantwortet.
Nicht alle Anbieter haben strenge Regeln
Doch sind Essensanbieter an Dresdner Schulen wirklich so streng mit ihren Regeln? Auch wenn das Kind seine Karte vergessen hat, kann es mitessen, sagt die Firma Sodexo. „An unseren Ausgabeterminals kann die Service-Kraft mit dem Namen des Kindes die bestellte Portion ermitteln und das Kind kann ohne Probleme seine Portion erhalten, das Essen ist auch ohne Essenskarte möglich“, teilt Sodexo-Sprecherin Nastassja Eisenberg mit. Keine Ausgabe gibt es nur, wenn kein Essen bestellt oder seit längerer Zeit die Rechnung nicht beglichen wurde.
„Kinder, deren Essen nicht bezahlt wird, speisen einen Monat lang wie gewohnt. Erst wenn die Eltern partout nicht zahlen, gäbe es irgendwann kein Essen mehr“, erklärt die Sprecherin. Auch der Anbieter Menüpartner betont, Kinder ohne Karte bekämen trotzdem ihr Essen. Menüpartner verpflegt Kinder und Jugendliche in 14 Dresdner Schulen, gekocht wird immer direkt vor Ort. Auch dort ist die Bestellung jedes Schülers im System hinterlegt. Grundsätzlich kann nur das Kind essen, das bestellt hat. „Denn die Erfahrung zeigt, dass manche Kinder über ihre Essenbestellung noch einen oder mehrere Freunde beköstigen“, so ein Unternehmenssprecher. Das passiere über einen Nachschlag oder beim Essenangebot in Buffetform.
Ist das an einer Schule ein dauerhaftes Problem, müsse das Aufsichtspersonal verstärkt ein Auge darauf haben. Wer ohne Bestellung mitisst, würde nicht nur die Waren- und Mengenkalkulation durcheinanderbringen, es sei eine betriebswirtschaftliche Frage. „Jedes Cateringunternehmen ist darauf angewiesen, dass die Leistungen bezahlt werden. Auch unsere Mitarbeiter sollen pünktlich ihren Lohn erhalten und wir müssen Lebensmittel einkaufen.“ Zahlen die Eltern auf Dauer nicht, wird das Kind irgendwann gesperrt, frühestens nach zwei Wochen. Ähnlich antworten auch die Essensanbieter Biocatering und Dussmann.