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Man erkannte ihn nicht mehr

Oppach. Genau einen Tag nach Kriegsende gerietSiegfried Schubert inrussische Gefangenschaft. Erst 1949 kehrte er heim

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Von Daniela Pfeiffer

Fast hätte Siegfried Schubert den Krieg relativ unbeschadet überstanden. Als 14-Jähriger begann der Oppacher 1944 eine Lehre im Bahnhof Taubenheim an der Spree. „Bis dahin kannte ich nur den Drill der Hitlerjugend. Sonst war auf dem Lande vom Krieg nicht viel zu spüren – außer, dass die Väter alle weg waren.“

Im März 1945 jedoch musste Siegfried Schubert umgehend seine Lehre abbrechen und wurde ins Wehrertüchtigungslager bei Sebnitz eingezogen. „Ich war dort zwei Monate. In dieser Zeit wurden wir abgerichtet, wie unser ‚Führer‘ uns Jugendliche haben wollte: zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl.“ Doch auch ohne eigenen Willen, untertänig und abgerichtet wie ein Hund, so Schubert. „Man kann sich diese Schikane nicht vorstellen. Dabei war ich praktisch noch ein Schulkind.“ Leere Mägen, mehrmaliges Wecken in der Nacht und viele andere Gemeinheiten. Kurz vor Kriegsende floh Siegfried Schubert mit vielen Soldaten vor den Russen nach Westen. Die Amerikaner sah man als das kleinere Übel. „Am 8. Mai steckten wir mitten auf der verstopften Elbbrücke Tetschen-Bodenbach. Sie sollte gesprengt werden, um die Russen aufzuhalten. Hunderte Menschen wären abgesoffen. Ein noch normal Denkender muss das verhindert haben.“

Seine „Schule des Lebens“, wie eres genannt hat, begann für den damals 15-Jährigen einen Tag später, als er doch noch in russische Gefangenschaft geriet. Nach einiger Zeit in einem Lager in Hoyerswerda, wurde er zusammen mit anderen an das polnische Militär übergeben. „In mehreren Tagesmärschen liefen wir in Richtung Polen. Einige versuchten, nachts auszubrechen, wurden aber meistens gestellt und erschossen.“

Zusammen mit 30 weiteren Männern landete Schubert schließlich auf dem Militärgut Dalkau. „Ich hatte Schwein, dass ich nicht in die Kohlegruben nach Oberschlesien musste.“ In Dalkau kam Schubert zugute, dass er schon von Kindheit an zu Hause in der Landwirtschaft geholfen hatte. Der Unterschied war, dass in Polen bei allen Tätigkeiten die Kanone im Rücken saß und die „Dawai“-Rufe der Aufseher nie verstummten.

1947 begann Siegfried Schuberts letzte Station der Gefangenschaft: Er wurde in ein Warschauer Ge-fangenenlager verlegt. Dort musste er bei der Errichtung eines vierstöckigen Rohbaus helfen. „Eine tüchtige Schinderei war das. Wir hatten schweres Baumaterial zu schleppen – als Handlanger für die polnischen Arbeiter.“ Eine weitere Baustelle war im früheren Warschauer Ghetto am anderen Ende der Stadt. Eingehakt musste die Kolonne täglich die Stadt durchqueren und wurde häufig von Einheimischen angepöbelt und angegriffen. Später hatte Schubert das „Glück“, immer wieder in den Privatwohnungen ranghoher Militärs Tischlerarbeiten verrichten zu dürfen. „Meist waren es Offiziere, die uns mit dem Auto abholten oder manchmal sogar Geld für die Straßenbahn gaben. Es hatte sich herumgesprochen, dass wir Deutschen Parkett wieder schön herrichten konnten.“

Den 1. April 1949 wird Siegfried Schubert nie vergessen. „Jemand kam mit einer Liste und las ‚Es werden entlassen . . .‘. Auch mein Name wurde verlesen.“ Auf Hoffnung und Ungewissheit – schließlich pflegt man am 1. April gern zu scherzen – folgte die Gewissheit. Nach vier langen Jahren kehrte Siegfried Schubert endlich nach Oppach zurück. Vier Jahre, in denen seine Familie nicht wusste, wo er war und ob er überhaupt noch lebte. „Da ich unangekündigt zu Hause hereinschneite, wollte mich mein Schwesterlein nicht reinlassen. Sie erkannte mich nicht mehr.“ Als Junge gegangen, als Mann heimgekehrt. „Mein Aussehen hatte sich verändert, meine Sprache auch. Meine Teenagerzeit hatte ich verpasst.“

Heute lebt Siegfried Schubert, der später Lehrer für Deutsch und Geschichte wurde, mit seiner Frau wieder in Oppach. Er hat begonnen, für sich und die Familie seine Erlebnisse aufzuschreiben.