SZ +
Merken

Man ist daheim

Nebelschütz. „Jeje zadanje“ („Ihr Verlangen“) singt Sylvia Nawka hingebungsvoll. Erst allein, mit samtweicher Stimme. Dann gemeinsam mit anderen jungen Frauen im Chor. Schließlich stehen die Männer auf und stimmen in den Gesang des Kehrreims tief-kraftvoll mit ein.

Teilen
Folgen

Nebelschütz. „Jeje zadanje“ („Ihr Verlangen“) singt Sylvia Nawka hingebungsvoll. Erst allein, mit samtweicher Stimme. Dann gemeinsam mit anderen jungen Frauen im Chor. Schließlich stehen die Männer auf und stimmen in den Gesang des Kehrreims tief-kraftvoll mit ein. Nur ein Lied von vielen, das Freitagabend viele Nebelschützer fasziniert. Der Pfarrgemeindesaal ist bestens gefüllt. Kein Wunder - will doch kaum jemand das Herbstkonzert der Projektgruppe um den Bautzener Verleger Marko Scholze verpassen. Immer wieder zitiert Moderator Fabian Kaulfürst zwischen den Liedern und Tänzen alte sorbische Geschichten. Geschichten, die das Leben schrieb. Auch Sylvia Nawkas Lied stammt aus dem Leben. „Jeje zadanje“, eine alte sorbische Ballade, erzählt von Leid und Unglück. Ist doch der Geliebte in eine Schlägerei verwickelt. Weinend muss das Mädchen mit ansehen, wie er später auf den Friedhof getragen wird....

Doch nicht alle Lieder und Tänze künden Freitagabend von Melancholie. Manche klingen beschwingt und heiter. Andere Stücke verspielt. Eine Mazurka und ein Kriegslied stammen sogar aus der Niederlausitz, Dudelsackstücke aus der Schleifer Gegend. „Der größte Teil der Lieder und Tänze stammt aus dem so genannten Kralschen Geigenspielbuch. Es beinhaltet ungefähr 50 Tänze und 100 Lieder - aus der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg bis Mitte 18. Jahrhundert“, erläutert Marko Scholze. Seit Jahren schon befasst er sich mit sorbischer Musik. Er greift Altes auf, sorgt für neue Arrangements: mit Mehrstimmigkeit etwa. Seine zehnköpfige Projektgruppe besteht vor allem aus Studenten. Mit dabei ist auch eine Berufsmusikerin. Mehrfach sorgten sie alle bereits für Furore. „Dieses Jahr traten wir zum Beispiel in Dreikretscham auf. Anlässlich der Bautzener 1000-Jahr-Feier gab es hier einen sorbischen Abend“, erinnert sich Steffen Kostorz. Mit Dudelsack und Flöte ist er vertreten. Was ihm imponiert, ist die große Aufmerksamkeit der Gäste heute. Und das anderthalb Stunden lang. „Es geht um eine Rekonstruktion, um ein Wieder-zugänglich-machen der alten sorbischen Volksmusik-Kultur“, verdeutlicht Marko Scholze. „Es geht um das Erbe unserer Vorväter, das wir heute zum Teil kaum noch kennen.“ Ungefähr 1 000 Lieder und 300 Tänze beinhalte dieses Erbe. „Die Leute kennen jedoch gerade mal zehn bis 15 Prozent. Und dies meist nur als bearbeiteter Chorsatz.“ Umso wichtiger sind ihm die Herbstkonzerte. Die Menschen, so Scholze, sollen einfach Lust bekommen, die Musik ihrer Vorväter wieder zu hören und auch mal wieder zu tanzen. „Für mich ist es einfach schöne Musik“, unterstreicht er. In Nebelschütz kommt diese Botschaft an. Etwa bei Maria Krahl, die gleich um die Ecke wohnt. „Vor allem die Solos haben mir gefallen. Auch die Dudelsackstücke“, erzählt sie. Für Georg Hansky gehört das Herbstkonzert in Nebelschütz zur Tradition. Nahezu alle nach dem Krieg hat er bis heute hier miterlebt. „Früher fanden sie am letzten Mittwoch vor dem 1. Advent statt. Hier saßen Bauern wie Prediger - alle - zusammen.“ Das Besondere für Hansky ist, dass er gerade hier sorbische Lieder hört, die er sonst nicht mehr hören würde. Eine „Zeitreise“ mit Marko Scholzes Gruppe in die Lieder- und Tänzewelt des 17. und 18. Jahrhunderts. „Man fühlt sich in diese Zeit eingeschlossen“, empfindet Georg Hansky. „Man ist zu Hause.“ (AK)