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"Die Leute meiden den Supermarkt zurecht"

Fanny Schiel bringt regionale Produzenten und Käufer zusammen. Durch Corona muss die Dresdnerin ihre Marktschwärmerei in Kisten packen. Aber sie verkauft viel mehr.

Von Franziska Klemenz
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Die Marktschwärmerei in der Dresdner Friedrichstadt hat Fanny Schiel zuerst gestartet, das war 2016. Seit Corona Sachsen erreicht hat, holen ihre Kunden die Produkte aus Kisten ab.
Die Marktschwärmerei in der Dresdner Friedrichstadt hat Fanny Schiel zuerst gestartet, das war 2016. Seit Corona Sachsen erreicht hat, holen ihre Kunden die Produkte aus Kisten ab. © Jürgen Lösel

Es sieht ein wenig aus wie Fannys Feind. Grüne Plastikkisten reihen sich entlang von Korridoren, Lebensmittel stapeln sich darin. Fließbänder mit Massenware? Die 30-Jährige unterstützt das Gegenteil davon. Fanny Schiel betreibt in Dresden drei Marktschwärmereien. Regionale Erzeuger bieten auf der Plattform Bioprodukte an, Kunden kaufen sie online, holen sie dann einmal pro Woche in Hallen oder Höfen ab. Weitere sächsische Schwärmereien gibt es unter anderem in Bautzen, Görlitz und Riesa, Leipzig und Chemnitz.

Vor knapp einem Monat hat Fanny Schiel beschlossen, zu reagieren. Auf Corona. Auf die Furcht, wie Wochenmärkte schließen zu müssen. Nur zwei Erzeuger geben die Ware jetzt noch direkt an die Kunden raus, Milchprodukte, Fleisch und Fisch. Alle anderen stapeln sie in grüne Plastikkisten und verschwinden wieder, damit sich nicht vor ihren Ständen Schlangen bilden. 

Harry Potter wacht jetzt über Hygienevorschriften

Einmalhandschuhe tragen alle, Masken vor den Mündern viele. Alle Kisten sind desinfiziert. Früher konnten Kunden innerhalb eines Zeitfensters von zwei Stunden frei entschieden, wann sie kommen. Jetzt teilt Fanny Schiel sie in Schichten ein, damit nicht zu viele durcheinander aufeinander treffen. 

Normalerweise würden an einem sonnigen Nachmittag im Innenhof der Montessori-Schule Kinder rennen, rufen, spielen, während Fanny Schiel den Verkauf vorbereitet.  Auf der Fassade im Dresdner Stadtteil Striesen wacht ein gemalter Harry Potter über einen Pinguin mit Klaviatur als Bauch, gegenüber fahren auf der Rückseite des Schulhofs Lieferwagen rückwärts ran, um Eier auszuladen. An diesem Nachmittag sind alle Stimmen in der Luft erwachsen und geschäftig, Harry Potter und der Pinguin  bewachen jetzt ein Schild, das von Hygienevorschriften erzählt.

Auf dem Hinterhof der Montessori-Schule in Dresden-Striesen warten Plastikkisten darauf, abgeholt und ausgeliefert zu werden. Der Fisch-Verkäufer aus Schönfeld und der Fleischverkäufer aus Thiendorf wechseln sich ab, damit nicht beide herfahren müssen. St
Auf dem Hinterhof der Montessori-Schule in Dresden-Striesen warten Plastikkisten darauf, abgeholt und ausgeliefert zu werden. Der Fisch-Verkäufer aus Schönfeld und der Fleischverkäufer aus Thiendorf wechseln sich ab, damit nicht beide herfahren müssen. St © Franziska Klemenz

Hufeisenförmig reihen sich die Verkäufer normalerweise um den Hof, reihum  holen Menschen bei ihnen die Ware ab. Jetzt haben Fanny Schiel und Helfer in meterbreiten Abständen Reihen aus Bierbänken gebaut, auf denen sich 205 grüne Plastikkisten aneinander drängen. Jede mit Nummer. Nacheinander rollen die Erzeuger an, legen ihre Waren nach Nummern sortiert in die Kisten, fahren wieder ab. Die Kunden erhalten fertig gepackte Kisten, nur Milchprodukte, Fisch und Fleisch reichen die Händler noch aus Lieferwagen heraus.

Den Umsätzen von Marktschwärmern und Erzeugern tut Corona gut, mindestens doppelt so viele Bestellungen gehen je nach Standort ein. "Die Leute meiden zurecht den Supermarkt", sagt Fanny Schiel. "Ich hoffe, dass sie sich hinterher nicht eins zu eins den Zustand von vorher zurückwünschen, dass ein Umdenken stattfindet." Die Menschen, sagt Schiel, sollten sich überlegen, wen sie mit ihrem Geld unterstützen wollen. "Ich sehe es nicht ein, dass nur die großen Ketten profitieren."

115 deutsche Städte schwärmen mit

"Fanny, wo kommst das hin?", fragt einer der Hofbetreiber im Vorbeigehen. "Musst du leider in eine Plastiktüte packen", sagt sie. Alle Produkte, die Fannys Marktschwärmerei nach Hause liefert, müssen dieser Tage aus Hygienegründen in Plastik verpackt sein. Sonst schlägt sie die Ware höchstens in Papier. Um sie herum suchen Erzeuger, die ihre Ware liefern, nach Nummern, verteilen Eier, kringelige Nudeln, Backwaren. Als erstes ist das Gemüse in die Körbe gekommen, zum Schluss Wildkräuter und Pflanzen, dann Feinkost und Kekse.

Angefangen hat Fanny Schiel 2016 mit einer ersten Schwärmerei in der Friedrichstadt, damals war es ein Hobby. Bis heute dienen Räume des Kulturzentrums Riesa Efau  ihr als Markthalle. Es folgten die Schwärmereien in der Neustadt und in Striesen. Vorgegeben ist nur die Plattform, die aus Paris kommt. Marktschwärmereien gibt es inzwischen in einigen europäischen Ländern, deutschlandweit in 115 Städten. Erzeuger stellen auf der Internetplattform Produkte ein, bis zwei Tage vor Verkauf können Kunden bestellen.

In den Räumen des Riesa Efau in der Dresdner Friedrichstadt hat Fanny Schiel Ende 2016 die erste Marktschwärmerei eröffnet. Hier verkauft sie bis heute. Nur, dass die Menschen sich ihre Waren in Corona-Zeiten aus Kisten abholen müssen.
In den Räumen des Riesa Efau in der Dresdner Friedrichstadt hat Fanny Schiel Ende 2016 die erste Marktschwärmerei eröffnet. Hier verkauft sie bis heute. Nur, dass die Menschen sich ihre Waren in Corona-Zeiten aus Kisten abholen müssen. © Jürgen Lösel

Etwa 20 regionale Anbieter beliefern die Dresdner Schwärmereien. Sie erhalten 82 Prozent, 10 gehen an die Plattform, 8 an Fanny Schiel. In Striesen wurde der Verkaufsort eine Montessorischule, weil es kaum Kulturzentren gibt und öffentliche Schulen ihre Flächen nur für Sportveranstaltungen vergeben dürfen.

Kunden schenken Einkaufstaschen voller Masken

In manchen Kisten warten nur ein paar Gurken, andere quillen über. Um 16 Uhr beginnt der Verkauf, die Schule hätte an normalen Tagen eine halbe Stunde zuvor geendet. Masken in bunten Farben verdecken einige Münder auf dem Gelände, viele Menschen kommen mit aufgeklappten Fahrradaschen und Helmen auf der Suche nach ihrer Nummer. Die Altersspanne reicht schätzungsweise von Mitte 20 bis Ende 60.

Der Jeansträger mit der himbeerfarbenen Mütze, die Frau mit den graublonden Locken, aus deren Papiertüte Blätter und Halme ragen. "Tschuldigung, ich habe ein Problem", sagt ein Mann in senfgelber Hose, der eigentlich schon auf dem Heimweg war und doch nochmal zurückgekommen ist. "Ich habe nur vier Hähnchenschenkel bestellt, aber sieben bekommen." Der Fleisch- und Fischverkäufer lächelt zufrieden über die Ehrlichkeit des Kunden. "Schon ok. Danke fürs Zurückkommen." Die Kisten leeren sich, drei Kunden schenken Fanny Schiel Tüten voll mit selbst genähten Masken. Ihnen verspricht sie Einkaufsgutscheine.

Bevor die Abholzeit für die Kunden beginnt, kommen die Erzeuger nacheinander angefahren und verteilen die Produkte auf die nummerierten Kisten.
Bevor die Abholzeit für die Kunden beginnt, kommen die Erzeuger nacheinander angefahren und verteilen die Produkte auf die nummerierten Kisten. © Jürgen Lösel

Solidarität habe Fanny Schiel nach ihrem Corona-Hilfeaufruf vom "Schwarm" viel erfahren, sagt sie. Drei ihrer Wochentage sind weiterhin mit Märkten gefüllt, die restlichen mit Organisation. Manchmal arbeitet sie zurzeit länger, um den großen Andrang abzuarbeiten. "Aber ich achte schon auf mich und sage auch den Erzeugern, dass sie aufpassen sollen, damit sie nicht kollabieren." Vor dem Schwärmen hat die studierte Businessfrau Fanny Schiel Software verkauft. "Das hat sich nicht so singstiftend angefühlt."

Kurz vor 18 Uhr malt die untergehende Sonne lang gezogene Baumschatten über den Schulhof. Die meisten Kisten sind leer, eine einsame Kiste mit der Nummer 194 wartet noch. Primeln sitzen darin, lila und gelb, Müsli, Äpfel, Eier und Brötchen. 

"Schon eine ganz schöne logistische Herausforderung"

Das nächste Paar mit Fahrradhelmen trudelt ein, steuert auf den Hofbetreiber mit Tierprodukten zu, holt Hering und Fleischsalat. Mehr Hühnchen als sonst würden die Leute gerade kaufen, sagt er. Vielleicht hätten sie mehr Zeit zum Kochen. 

Um 18 Uhr darf auch Nummer 194 nach Hause wandern. Drei bunte Stofftüten braucht die Frau, um alles einzupacken. Ein Mann mit Kräuselhaar-Dutt in Adidas-Jogginghose holt sich Glasflaschen mit Milch ab, über den Köpfen der Menschen konferieren geschwätzige Vögel über die Lage. Ein paar Krähen fliegen vorbei, mischen sich mit ihren Reibeisenstimmen ins Zwitschergespräch. Was die Vögel sich denken, wenn von oben plötzlich alles so anders aussieht?

Fanny Schielt und die Hofbetreiber falten die Bierbänke zusammen. Ein rotes Postmodern-Auto fährt rückwärts heran, ein Mann springt raus. Der Kurierfahrer wird nun noch die nach Hause bestellten Marktschwärmer-Kisten ausliefern. Er liest die Adressschilder der 15 Kisten mit Plastikverpacktem durch, plant per Handy seine Tour. Es beginnt zu dämmern, Fanny Schiel und die Hofbesitzer haben die letzten Bierbänke zusammengeklappt. "Die Leute haben sich alle an die Bedingungen gehalten und waren total dankbar", sagt sie. 

Am Tag danach geht es in der Friedrichstadt weiter. Wieder mit mehr Bestellungen als sonst. "Auch wenn es schön ist", sagt Fanny Schiel, "ist das gerade schon eine ganz schöne logistische Herausforderung für uns."

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