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Maskenpflicht ist für Schwerhörige ein Problem

Ohne Mundbild wird für viele das Verstehen schwierig. Eine Hörakustikerin aus Stollberg erklärt, was helfen kann.

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Normale Masken verdecken die Mimik. Die transparente, wiederverwendbare Atemschutzmaske der Münchner Firma Iuvas erleichtert die Kommunikation.
Normale Masken verdecken die Mimik. Die transparente, wiederverwendbare Atemschutzmaske der Münchner Firma Iuvas erleichtert die Kommunikation. © Hersteller

Bei der Maskenpflicht in Geschäften und im öffentlichen Nahverkehr wurde ein Aspekt bislang kaum beachtet: dass die Bedeckung des Mundes auch die Kommunikation stören kann. „Gerade für Schwerhörige und Gehörlose ist das Mundbild ein wichtiger Bestandteil des gegenseitigen Verstehens“, sagt Hörgeräteakustikmeisterin Katrin Seidel aus Stollberg. „Wir nehmen ganz unbewusst mit wahr, ob der Mund beispielsweise ein ,h’ bei Haus oder ein ,m’ bei Maus bildet.“ Gerade, wenn der Sinn des Gesprächs bekannt sei, sei die Orientierung am Mundbild für Schwerhörige eine große Hilfe.

Insofern klagen einige bereits über mehr Schwierigkeiten im Alltag. „Eine Kundin hat von einem Arztbesuch berichtet, bei dem der Mediziner permanent eine Mund-Nasen-Maske trug“, sagt Seidel. Sie habe in dem Arztgespräch kaum etwas verstanden und sei verzweifelt gewesen. Die Scheu, nachzufragen, sei bei Schwerhörigen oft groß. Sie hätten in ihrem Leben schon oft nachfragen müssen und sich das zum Teil abgewöhnt. Das sei vielen Menschen nicht klar.

Deshalb appelliert Katrin Seidel an Ärzte, Behördenmitarbeiter, aber auch Verkäufer und alle, die im Alltag möglicherweise mit Schwerhörigen zu tun haben, sich auf deren Bedürfnisse einzustellen. Das könnte einerseits geschehen, indem sie in ihrer Praxis oder ihrem Büro einen Beratungsplatz mit Spuckschutz in Form von einer Plexiglasscheibe schaffen. Mit dieser Trennung könne im Gespräch auch mal die Maske abgelegt werden. Wenn beispielsweise ein Arzt eine Untersuchung am Patienten vornehmen müsse, könne er diese wieder aufsetzen und das Gespräch danach fortsetzen oder aus größerer Entfernung zwischendurch mit der hörbeeinträchtigten Person sprechen. Auch ein Gesichtsschutz aus Plexiglas sei bei näherem Kontakt eine Alternative, die das Mundbild weiterhin erkennbar lassen, so Seidel. Sie selbst habe für ihre Mitarbeiter transparente Atemschutzmasken bestellt, die allerdings leider erst im Juni lieferbar seien..

Auch die Abstandsregel birgt Probleme

Laut der Hörgeräteakustikmeisterin sind in Deutschland rund 16 Millionen Menschen von Schwerhörigkeit betroffen. Das sind nicht alles alte Leute, denn die Hörfähigkeit verschleiße auch durch Abnutzungsfaktoren wie viel Lärm oder durch Infektionen. Und es gebe einen Unterschied zwischen Hören und Verstehen, der vielen nicht bewusst sei. So gibt es einerseits Menschen, die in allen Bereichen nicht mehr gut hören können. Dann spreche man von einem Intensivitätsverlust beim Hören. Es gibt aber auch viele Menschen, die nur einzelne Frequenzen nicht mehr wahrnehmen könnten. Sie können hören, dass der Briefträger vorfährt. Aber Zischlaute wie „s“, „z“ oder andere Laute wie „t“ oder „k“ nehmen sie nicht mehr wahr, weil sie auf einer hohen Frequenz liegen. Wörter mit diesen Konsonanten klingen für sie dann genuschelt. Wenn das Mundbild als Ergänzung hinzukomme, könnten viele Schwerhörige die Worte trotzdem verstehen. Mit der Maskenpflicht wird ihnen diese Möglichkeit genommen.

Auch die vorgeschriebenen größeren Abstände sind ein Problem für das Lesen des Mundbildes. Laut Seidel gibt es zwar viele Schwerhörige, die mit ihren Hörgeräten gut eingestellt sind und Gesprächspartner auch verstehen, wenn diese sich abwenden. Andere jedoch hätten noch gar kein Hörgerät oder der Hörverlust könne durch das Gerät nicht mehr zu 100 Prozent ausgeglichen werden.

Katrin Seidel hofft daher, dass die Mitmenschen sich die nötige Zeit nehmen, um wahrzunehmen, ob ihr Gegenüber sie versteht. Bei Stirnrunzeln oder Schweigen sollte nachgefragt werden, ob alles verstanden wurde. Falls nicht, solle man keineswegs lauter sprechen, sondern langsamer und deutlicher. Manchmal helfe es auch, ein anderes Wort zu verwenden, damit die Schwerhörigen schon einmal grundsätzlich verstehen, worum es geht und den Rest leichter nachvollziehen können. In Geschäften könnten Informationen jetzt auch stärker verschriftlicht werden.

Seidel appelliert aber auch an die Schwerhörigen selbst: Wenn sie etwas nicht verstehen, sollten sie ruhig nachfragen: „Das ist nichts, wofür man sich schämen muss.“ (rnw)

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