Mehr Gewalt gegen Kinder und Frauen

Die großen Einschränkungen, welche die Corona-Pandemie mit sich bringt, können Familien stark treffen. Plötzlich ist man gezwungen, in der Wohnung aufeinanderzuhängen, Betreuungs- und Freizeitmöglichkeiten für die Kinder brechen weg und bei etlichen Eltern kommt mit Blick auf die Arbeitsplätze Sorge um die wirtschaftliche Situation dazu. Viel Konfliktstoff, der im schlimmsten Fall in Gewalt mündet. In der Beratungsstelle gegen häusliche Gewalt in Radebeul melden sich seit letzter Woche deutlich mehr Betroffene.
Annett Kobisch, die Frauen, seltener auch Männer, dort berät, merkt seit einigen Tagen einen großen Anstieg. Anfangs meldeten sich vermehrt noch Leute, die bereits vor einiger Zeit in der Beratungsstelle Hilfe suchten und sich jetzt fürchteten, dass die Gewalt zu Hause in der Corona-Zeit wieder zunehmen könnte. Mittlerweile gibt es aber viele Betroffene, die vorher noch keinen Kontakt zu der Beraterin hatten. "Die Fälle haben jetzt einen deutlichen Corona-Bezug", sagt sie.
Es passiert heftige Gewalt
Gewaltsituationen entstehen, weil die Familien es nicht gewohnt sind, so lange Zeit zu Hause zusammen zu sein, zum Beispiel, weil der Mann sonst unter der Woche auf Montage ist. Bei vielen verändert sich die Aufgabenverteilung jetzt auch komplett, wenn die Frau beispielsweise in der Pflege oder im Einzelhandel arbeitet und der Mann plötzlich zu Hause die Kinder hüten muss, sagt Annett Kobisch.
Zu Konflikten kann es dann schon kommen, wenn es nur einen Computer im Hause gibt, aber alle daran arbeiten müssen. "Wir erleben mehr Gewalt gegenüber Kindern als Nebeneffekt der Corona-Krise", sagt sie. "Und es ist sehr heftige Gewalt, die jetzt passiert." Wo im Alltag schon nicht gut Konflikte gelöst werden können, dort werde es in der Krise noch schlimmer.
Gewalt beginnt schleichend, hatte die Beraterin in einem Interview mit der SZ im September 2018 erklärt und ausgeführt, dass sie nicht nur physisch in Form von Schlägen passiert, sondern auch psychisch, wenn beispielsweise jemand von seinem Partner immer wieder aufs Übelste beleidigt und runtergemacht wird. Doch im Moment kommen solche Fälle gar nicht erst in der Beratungsstelle an.
"Beschimpfungen und Beleidigungen werden jetzt noch eher hingenommen", sagt sie. "Die Frauen versuchen, alles auszuhalten, was außerhalb physischer Gewalt liegt." Viele entschuldigten das Gewaltverhalten ihrer Männer etwa damit, dass er womöglich seinen Job verliert und es gerade schwer hat.

Beratungsarbeit jetzt schwieriger
Hilfsangebote zu finden und in Anspruch zu nehmen, wird für Betroffene jetzt noch schwieriger, weil sie oft keinen ungehinderten Zugang zum Computer haben oder nicht einfach mal zu einer Freundin gehen können. Allein, eine Viertelstunde unbemerkt zu telefonieren, klappt für manche Hilfesuchende nicht.
"Ich habe öfter Situationen, in denen ich Frauen zurückrufe und sie mich wegdrücken. Dann weiß ich, dass sie gerade nicht sprechen können", sagt Annett Kobisch. Die Arbeit der Beratungsstelle läuft aber weiter, auch wenn sie viel schriftlich oder am Telefon stattfinden muss. "Die Unterstützung wird schwieriger, weil man sich mit den Frauen nicht mehr so leicht treffen kann."
Normalerweise verabredet sich die Beraterin mit Betroffenen, die nicht in die Beratungsstelle kommen möchten, in Cafés oder auch mal im Einwohnermeldeamt, weil das ein unauffälliger Ort ist. Das geht nun nicht. Wenn es unumgänglich ist, besucht sie Frauen aber auch jetzt und begleitet sie zur Polizei oder zu Gerichten, wenn das gewollt ist.
Frauenschutzhaus rund um die Uhr erreichbar
Kann eine Frau gar nicht mehr zu Hause bleiben, bietet nach wie vor das Frauen- und Kinderschutzhaus in Radebeul Zuflucht, das rund um die Uhr erreichbar ist. Sachsenweit sollen in den nächsten Tagen Plakate in Supermärkten aufgehängt werden, auf denen Hilfesuchende Kontakte finden.
Hier bekommen Betroffene Hilfe:
Beratung- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt in Radebeul: Telefon 0351 79552205, [email protected]
Frauen- und Kinderschutzhaus Radebeul: Telefon 0351 8384653 (Aufnahme rund um die Uhr möglich)
Bundesweites Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen": 0800 0116016 (Beratung rund um die Uhr in 17 Sprachen, Online-Beratung, Beratung in Gebärdensprache)
Hilfetelefon "Schwangere in Not": 0800 4040020
Elterntelefon: 0800 1110550
"Nummer gegen Kummer" für Kinder und Jugendliche: 116 111
Pflegetelefon: 030 20179131
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