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Mein Leben für den Zirkus

In Jänkendorf sind einst Zirkuswagen aus Holz gebaut worden. Dank Hans-Joachim Richter könnte das neu belebt werden.

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© André Schulze

Von Alexander Kempf

Wenn Hans-Joachim Richter Geschwister gehabt hätte, wäre er heute vielleicht gar nicht mehr in Jänkendorf. Er hätte das Dorf womöglich hinter sich gelassen und wäre mit einem Zirkus auf Reisen gegangen. Das Angebot ist da gewesen, erzählt Hans-Joachim Richter. „Aber die Mama hat es verboten“, sagt der gelernte Stellmacher. Sie will den einzigen Sohn nicht ziehen lassen. Auch weil der Vater früh verstorben ist. Also bleibt Hans-Joachim Richter. Sein Herz aber schlägt bis heute für den Zirkus. Denn damit ist er aufgewachsen.

Sowohl der Vater als auch der Großvater von Hans-Joachim Richter haben Zirkuswagen gebaut.
Sowohl der Vater als auch der Großvater von Hans-Joachim Richter haben Zirkuswagen gebaut. © André Schulze
Tüftler und Tausendsassa: In seiner Werkstatt in Jänkendorf hat Hans-Joachim Richter schon verschiedenste Requisiten für den Zirkus gebaut. Der gelernte Stellmacher wollte als kleiner Junge Raubtierdompteur werden.Foto: André Schulze
Tüftler und Tausendsassa: In seiner Werkstatt in Jänkendorf hat Hans-Joachim Richter schon verschiedenste Requisiten für den Zirkus gebaut. Der gelernte Stellmacher wollte als kleiner Junge Raubtierdompteur werden.Foto: André Schulze © André Schulze

Schon der Großvater von Hans-Joachim Richter hat in Jänkendorf Zirkuswagen gebaut. Seit 1896, erklärt der Enkel stolz. Opa Heinrich sei sogar Erfinder gewesen. Er habe die Oberlichter bei den Zirkuswagen entwickelt, erklärt Hans-Joachim Richter. Gewissermaßen eine Jänkendorfer Spezialität. So gelangt mehr Licht in die hölzernen Wagen. Später setzt Hans-Joachims Vater den Betrieb fort. Er begeistert auch seinen Sohn für das fahrende Volk und seine Wagen.

Dabei ist Stellmacher gar nicht Hans-Joachims Traumberuf. Als ihn der Lehrer in der zweiten Klasse fragt, was er einmal werden will, antwortet der Junge selbstbewusst: „Raubtierdompteur!“ Denn seit er einmal nach der Schule nach Hause kommt und tanzenden Bären begegnet, ist Hans-Joachim von den Tieren begeistert. Damals lassen Zigeuner aus Ungarn ihren Wagen beim Vater reparieren. Die Artisten und Dompteure faszinieren den Jungen. „Das war schon immer meine Welt“, sagt Hans-Joachim Richter, der heute seinen 65. Geburtstag feiert.

Dem Familienbetrieb ist ein langes Leben vergönnt geblieben. Nach dem frühen Tod des Vaters verpachten die Richters die Firma zunächst. In den 70er-Jahren baut sich der Pächter dann einen eigenen Betrieb in Westsachsen auf. Hans-Joachim Richter selbst arbeitet in der Tischlerei der PGH See. Den elterlichen Betrieb fortführen kann er nicht, da ihm der Meister und wohl auch das Material fehlt. Heute denkt der gelernte Stellmacher wieder darüber nach, Zirkuswagen zu bauen.

Mit einem Partner aus Dresden würde er gerne einen Wagen für alleinstehende Artisten bauen. Nicht aus Holz, sondern aus Plastik. „Wie der Trabant mal war“, erklärt Hans-Joachim Richter. In Amerika gebe es so etwas, nicht aber in Europa. „Das ist die absolute Marktnische“, sagt der Jänkendorfer. Aber um den Traum Wirklichkeit werden zu lassen, „muss einer mitspielen, der Geld hat“. Mindestens 30 000 Euro würde der Wagen kosten. Das zahlt auch Idealist Hans-Joachim Richter nicht mal eben nebenbei.

Großzügig ist er dennoch immer gewesen, wenn es um den geliebten Zirkus geht. Viele Restaurationen erledigt der Jänkendorfer zum Selbstkostenpreis. Auch anschreiben dürfen die Lebenskünstler bei ihm. „Leben mit Holz“, steht auf Hans-Joachim Richters Visitenkarte. Wenn er keine Zirkuswagen restauriert, verlegt er Parkett oder Fußböden für Rennbahnen und Sporthallen. Der Großvater hat einen speziellen Zirkuswagen entwickelt, sein Enkel ein eigenes Parkett. In einer Sporthalle in Zittau ist es verlegt worden. Oft sei Parkett aber zu teuer, erklärt der Unternehmer. „Das rentiert sich nicht.“

Aber es ist ohnehin nicht das Geld, das Hans-Joachim Richter antreibt. Bei der Gesellschaft der Circusfreunde entwickelt er Konzepte, die den Nachwuchs wieder ins Zirkuszelt locken sollen. Als Trainer fördert der neunmalige DDR-Meister im Radpolo junge Radfahrer. Außerdem betreut er eine Artistengruppe und engagiert sich im Kirchenrat. Wenn er schon nicht zum fahrenden Volk zählt, muss er wohl wenigstens ständig in Bewegung bleiben.

Selbstverständlich wird Hans-Joachim Richter auch mit 65 Jahren noch nicht in Rente gehen. „Arbeit liegt an und es macht viel Spaß“, sagt er. Der Jänkendorfer hat das Angebot zwei Wochen mit einem Zirkus auf Reisen zu gehen, aber er kommt einfach nicht dazu. Bis dahin kommt der Zirkus eben weiter zu ihm. Ein besonders enges Verhältnis hat er zum Zirkus Rolandos. Für den baut er Requisiten, knüpft Kontakte und rührt die Werbetrommel.

Doch so sehr Hans-Joachim Richter auch für den Zirkus trommelt, die Besucherzahlen sind eher rückläufig. In der DDR versprach ein Zirkus noch Abenteuer und Abwechslung. Heute hingegen kritisieren Tierschützer oft die nicht artgerechte Haltung der Tiere. Welches Kind will noch Raubtierdompteur werden? Hans-Joachim Richters Enkel könnten sich seiner Hilfe jedenfalls sicher sein, wenn sie zum Zirkus wollen. „Ich würde denjenigen hinten und vorn unterstützen“, sagt er und in seinen Augen leuchtet ein Kindheitstraum auf.