SZ +
Merken

Mein lieber Herr Gesangsverein

Männerchöre aus fünf Städten treffen sich übers Wochenende in Dresden. Der jüngste Teilnehmer kommt aus Wien.

Teilen
Folgen
© Norbert Neumann

Von Anna Hoben

Man kann spekulieren, was gewesen wäre, wenn er ins 17. oder 18. Jahrhundert hineingeboren worden wäre. Vielleicht hätte er da viel eher zur Musik gefunden, selbstverständlicher. Nun ist Christoph Weber aber ein paar Hundert Jahre später geboren, und da ist es eben nicht selbstverständlich und für manche auch gar nicht cool, dass ein 26-Jähriger im Männergesangsverein mitmischt. Genauer gesagt im Wiener Männergesang Verein, ohne Binnen-S, gegründet 1843, das älteste Mitglied ist heute 89 Jahre alt.

Christoph Weber liebt den Barock, und er liebt die Klassik, immer schon. Am Freitagnachmittag läuft er durch Dresden und ist ganz hin und weg. Von der Architektur im Allgemeinen, der Frauenkirche im Besonderen und auch vom neuen Neumarkt. Traditionen sind ihm wichtig, Kulturgut. Er hat für sich entschieden: Im Männergesangsverein mitzumischen, das ist ziemlich cool, auch im 21. Jahrhundert.

Vier Tage lang treffen sich in Dresden die Mitglieder von sechs Chören. Sie kommen aus Stuttgart, Hamburg, Wien, Leipzig und Dresden. Der Anlass ist ein besonderer: Vor genau 150 Jahren fand in Dresden das erste Deutsche Sängerbundfest statt, vom 22. bis zum 25. Juli 1865. Die Resonanz war enorm. 16 000 Sänger aus dem deutschsprachigen Raum bevölkerten die Stadt. Einem Umzug von der Innenstadt bis zum Festgelände jubelten 200 000 Zuschauer zu. Unterhalb der heutigen Waldschlößchen-Brauerei gab es eine riesige Halle für die Gesangsveranstaltungen. Das Fest galt den Zeitgenossen als Nationalfeier. Auf der sogenannten Sängerwiese an der heutigen Waldschlößchen-Brücke pflanzten die Teilnehmer damals eine Eiche.

Susanne Knaack vom Dresdner Sängerarchiv war beeindruckt vom Erfolg der historischen Veranstaltung. Seit 2008 sammelt sie Liederbücher, Programme und Tonträger von Laienchören. Schließlich lud sie einige Chöre nach Dresden ein, zur Feier des Jubiläums. Freilich ist die Zusammenkunft 2015 ein paar Nummern kleiner als vor 150 Jahren, auch wenn der Deutsche Chorverband, wie er heute heißt, noch immer der größte seiner Art ist.

Der Freitag startete mit einem Empfang im Dresdner Rathaus. Nach einem Rundgang durch die Altstadt ging es zum Mittagessen ans Waldschlößchen und zur Sängereiche auf dem Areal des historischen Treffens. Für 17 Uhr haben sich die Wiener Sänger an der Frauenkirche verabredet. Sie haben darum gebeten, in der Kirche ein paar Lieder singen zu dürfen. Das ist normalerweise nicht so einfach möglich, aber schließlich ist es der Wiener Männergesang Verein, der angefragt hat. Ein Chor mit Renommee, der einst für den Kaiser sang, für den Johann Strauß den Donauwalzer geschrieben hat, und der in einem eigenen Museum den Schlüssel zu Franz Schuberts Grabkammer aufbewahrt.

Und so bekommen die Sänger ihre fünf Minuten, um einmal in der Frauenkirche zu singen. Drei Lieder bringen sie mit, aus fünf Minuten werden zehn, die Touristen in der Kirche sind überrascht und angetan von der spontanen Darbietung.

In der Kirche singt Christoph Weber besonders gern. „Man braucht fast nichts zu tun und es trägt trotzdem“, sagt er. Seit Oktober vergangenen Jahres ist er Mitglied im Chor. Überhaupt hat er erst vor einem Jahr seine Liebe zum Gesang entdeckt. Dafür betreibt er die Sache jetzt mit umso mehr Lust, Enthusiasmus und Ernsthaftigkeit. Als Kind hat er Klarinette gelernt, später auch Saxofon. Nach der Schule machte er eine Lehre in der Gastronomie, ein Jahr lang schipperte er auf Kreuzfahrtschiffen über die Weltmeere. Er arbeitete im Service, sieben Tage pro Woche, oft 13 oder 14 Stunden pro Tag. Weber ist dankbar, wie viel er dadurch sehen konnte von der Welt. Doch so einen Job kann man nicht ewig machen. Als er zurückkam in die Steiermark, wo seine Familie lebt, fing er an, Gesangsstunden zu nehmen. Er entdeckte sein Talent, beschloss, es ernsthaft auszubauen, und bewarb sich am privaten Wiener Richard-Wagner-Konservatorium.

Es klappte. Heute studiert Christoph Weber also Tenorgesang in Wien. „Es ist unglaublich, wie die Stimme sich in einem Jahr entwickeln kann“, sagt er. Für die Chorausbildung, die zum Studium gehört, guckte er sich den Wiener Männergesang Verein aus. „Ich habe mich sofort wohlgefühlt“, sagt er. Er schätzt das Wissen der alten Herren, die ganze Musikprogramme auswendig singen. Er schätzt aber auch ihren Humor, die Konzertreisen, und dass man mal ein Glas zusammen trinkt. Langweilig ist ihm noch nie geworden.

Jubiläumskonzert: Sonnabend, 25. Juli, 15.30 Uhr, Dreikönigskirche. Männerchöre aus Dresden, Leipzig, Hamburg, Stuttgart und Wien singen Werke von Wolfgang Amadeus Mozart, Franz Schubert, Anton Bruckner, Johann Strauß, Udo Jürgens und vielen anderen Komponisten. Karten kosten 10 Euro, die Tageskasse ist ab 14.30 Uhr geöffnet.