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„Mein Sohn soll wieder zweite Liga in Aue erleben“

Warum der neue Kapitän Martin Männel keinen Moment zögerte, trotz des Abstiegs im Erzgebirge zu bleiben.

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Von Berthold Neumann

Sein spektakuläres Kopfball-Tor war das vorerst letzte in der Zweitliga-Geschichte des FC Erzgebirge Aue. Ausgerechnet Torwart Martin Männel erhielt mit seinem Treffer am letzten Spieltag in Heidenheim noch für wenige Minuten die Hoffnung für die Erzgebirger, aber der Abstieg war dennoch nach fünf Jahren Zweitliga-Zugehörigkeit besiegelt. Warum der Torhüter der „Veilchen“ heute ungern über diesen Treffer redet und lieber über die Aussichten seiner völlig neuformierten Mannschaft in der am kommenden Wochenende beginnenden Drittliga-Saison spricht, sagte er im Gespräch mit der Sächsischen Zeitung.

Herr Männel, haben Sie sich schon geärgert, dass Sie als einer der wenigen Stammspieler nach dem Abstieg in Aue geblieben sind?

Nein, niemals. Warum sollte ich dies tun?

Weil Sie mit Ihrer seit Jahren bewiesenen Beständigkeit und Qualität auch für andere Vereine interessant wären.

Das ehrt mich, aber es hat keine Rolle gespielt. Ich habe meine Entscheidung für Aue und die Menschen hier im Erzgebirge bereits zu einer Zeit getroffen, die manche vielleicht überrascht.

Wann ist das gewesen?

Nach dem Abstieg in Heidenheim hatte jeder zunächst mit der riesigen Enttäuschung zu tun. Auch ich. Aber schon in der Nacht darauf war mir klar: Ich will mithelfen, um das wieder aufzubauen, was da am 24. Mai kaputtgegangen war. In Aue bekam ich 2008 die Chance, im Profi-Fußball Fuß zu fassen. Die erfolgreichen fünf Jahre in der zweiten Liga, dazu auch der herzliche Umgang der Menschen im Erzgebirge – das schweißt mehr zusammen, als es einem im schnellen Alltagsgeschäft immer bewusst wird. Ich freue mich nach wie vor, dass ich meine Entscheidung so getroffen habe.

Die Realität heißt aber jetzt 3. Liga.

Ich sehe das als Chance, etwas Neues aufzubauen. Klar, es ist vieles ganz anders. Wo früher die gestandenen Spieler in der Kabine saßen, sehe ich heute in fast nur neue Gesichter. Jetzt müssen wir das Beste daraus machen. Auch, wenn es schwerer wird – schon allein, weil der Verein in der 3. Liga nicht das richtige Geld verdienen kann. Aber die Liga ist durch die vielen Ost-Derbys sehr attraktiv. Wir spielen unter anderen gegen Dresden, Cottbus und gegen Chemnitz. Da schlagen die Herzen unserer Fans höher. Auf die Derbys mit Dynamo freue ich mich jetzt schon besonders.

Was hat sich auf dem Weg von der Identifikationsfigur, als die Sie schon lange beim FC Erzgebirge gelten, zum Kapitän für Sie geändert?

Ich habe schon ohne die Binde versucht, Verantwortung zu übernehmen, und mich nicht vor Führungsaufgaben gescheut. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig es für junge Spieler ist, einen Ansprechpartner in der Mannschaft zu haben.

Welche Erfahrungen hatten Sie da gesammelt?

Ich kenne das noch aus meiner Cottbuser Zeit, wenn man mit 18 Jahren in eine Profi-Mannschaft aufrückt und erst mal seinen Halt sucht. Als ich dann mit drei weiteren jungen Cottbuser Spielern vor sieben Jahren nach Aue kam, waren Strategen da, die uns geführt haben. Ich habe das damals als hilfreich empfunden. Freilich gibt es heute auch jüngere Spieler, die gut ausgebildet sind, aber Hierarchien in einer Mannschaft nicht akzeptieren können.

Befürchten Sie eine solche Situation in Ihrer Mannschaft?

Nein, überhaupt nicht. Ich bin sehr zuversichtlich. In der Truppe tickt keiner aus. Die Mischung stimmt, wir haben junge, hungrige Spieler, die fußballerisch etwas auf dem Kasten haben. Der Verein hat darauf geachtet, dass die Neuzugänge nicht nur sportlich, sondern auch charakterlich zu uns und dem Umfeld passen. Hier lebt keiner irgendwelche Arroganz aus.

Aue spielt künftig ohne Fabian Müller, der nach Dresden gegangen ist, ohne René Klingbeil, Thomas Paulus und weitere Profis. Wie beurteilen Sie den Umbruch in der Mannschaft?

Das ist schon ein gewaltiger Umbruch. Ähnlich wie ihn Dynamo Dresden und Energie Cottbus nach ihrem Abstieg 2014 in Angriff nehmen mussten. Die Neuformierung einer Mannschaft braucht vor allem Zeit, und die haben wir durch den frühen Beginn in der 3. Liga nicht. Die neuen Abläufe müssen sich erst einspielen. Aber es gibt schon viele gute Ansätze – wie wir sie beim 2:1-Testspielsieg über den tschechischen Zweitligisten FK Usti nad Labem zeigen konnten.

Was passiert, wenn Sie als Aues Leitfigur auf die Bank müssen?

Damit muss jeder Profi professionell umgehen. Außerdem kenne ich die Situation.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Unser damaliger Trainer Stipic hatte mich vor dem sehr wichtigen Spiel gegen den mitabstiegsbedrohten VfR Aalen herausgenommen. Aus meiner Sicht unverständlich, weil ich mir nichts vorzuwerfen hatte. Er erhoffte mit dieser Maßnahme, noch ein paar Prozente Leistung bei mir herauszukitzeln. Wir verloren dort 0:3.

Sie haben schon einige Trainer kennengelernt. Welchen Eindruck haben Sie von Pavel Dotchev gewonnen?

Ich habe ein ausgesprochen gutes Gefühl. Der Trainer ist sehr geradlinig, sagt aber auch, wenn ihm etwas nicht passt. Diese Mischung habe ich lange nicht erlebt. Und er kennt die Situation in der 3. Liga.

Wen haben Sie als schärfste Konkurrenten auf dem Zettel?

Dynamo Dresden und der Chemnitzer FC haben sich im Sommer gut verstärkt und gehen als gefestigte Mannschaften in die Saison. Das ist ein großer Vorteil. Dahinter sehe ich die üblichen Verdächtigen: also Wehen Wiesbaden, Osnabrück und Münster, vielleicht auch Kiel.

Welche Rolle trauen Sie Ihrem früheren Verein Energie Cottbus zu?

Die Lausitzer hatten nach ihrem Abstieg dieselben Probleme, mit denen wir uns jetzt herumschlagen. Wo bei ihnen diesmal die Reise hingeht, ist im Moment schwer einzuschätzen.

Und Sie? Schafft der neue FC Erzgebirge auf Anhieb den Wiederaufstieg?

Vom gegenwärtigen Stand aus gesehen ist ein Platz im oberen Mittelfeld realistisch. Alles andere jetzt anzukündigen, wäre vermessen. Der Aufstieg ist im Moment weit weg. Aber wir wollen nicht irgendwo herumdümpeln. Viel wird von einem ordentlichen Start in die Saison abhängen. Mein größter Wunsch ist, dass mein Treffer von Heidenheim nicht der letzte für Aue in der zweiten Liga ist. Unseren Fans und meinem Sohn Anton wünsche ich, dass sie möglichst schnell wieder die zweite Liga in Aue erleben können.

Das letzte Testspiel vor dem Ligaauftakt hat Aue gegen den Regionalligisten FC Carl Zeiss Jena mit 4:1 gewonnen. Die Tore für den FC Erzgebirge erzielten Steve Breitkreuz und Max Wegener, die jeweils doppelt trafen.