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Die Entwicklungen nach dem Polit-Beben

Nach der Wahl des FDP-Politikers Kemmerich zum Ministerpräsidenten überschlagen sich die Ereignisse. FDP-Chef Lindner will die Vertrauensfrage stellen.

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Christian Lindner, Parteivorsitzender der FDP (l), will nach der umstrittenen Wahl seines Parteifreundes Thomas Kemmerich in Erfurt (r) die Vertrauensfrage stellen, um sich der breiten Unterstützung in seiner Partei sicher zu sein.
Christian Lindner, Parteivorsitzender der FDP (l), will nach der umstrittenen Wahl seines Parteifreundes Thomas Kemmerich in Erfurt (r) die Vertrauensfrage stellen, um sich der breiten Unterstützung in seiner Partei sicher zu sein. © Carsten Koall/dpa

Ministerpräsidentenwahl in Thüringen - Das Wichtigste in Kürze:

  • Thomas Kemmerich stellt sein Amt wieder zur Verfügung.
  • Kemmerich stehen mindestens 93.000 Euro Gehalt und Übergangsgeld zu.
  • CDU-Landeschef Mohring übersteht Vertrauensfrage.
  • Christian Lindner will Vertrauensfrage im FDP-Vorstand stellen.
  • Erfurter FDP-Fraktion stellt Antrag auf Landtagsauflösung.
  • Thüringer AfD will Auflösung des Landtags nicht unterstützen.
  • Debatte über Ostbeauftragten der Bundesregierung.
  • Kanzlerin Angela Merkel  kritisiert die Wahl als "unverzeihlich".
  • Viele Politiker fordern Neuwahlen, unter anderem Merkel und Kretschmer.

Der FDP-Politiker Thomas Kemmerich war am Mittwoch im Thüringer Landtag überraschend mit den Stimmen von Liberalen, CDU und AfD zum Regierungschef gewählt worden. Der Kandidat der FDP, die im Herbst nur knapp den Sprung in den Landtag geschafft hatte, setzte sich gegen den bisherigen Regierungschef Bodo Ramelow von den Linken durch. Es war das erste Mal, dass die AfD einem Ministerpräsident ins Amt half.

Die Entwicklungen nach dem Polit-Beben in Thüringen:

●  FDP-Chef Christian Lindner will nach den Vorgängen bei der Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten die Vertrauensfrage in der Parteiführung stellen. Dazu solle an diesem Freitag der Bundesvorstand zu einer Sondersitzung zusammenkommen, kündigte Lindner am Donnerstag in Erfurt an.

"Nach den heutigen Entscheidungen hier in Erfurt ist es mir möglich, mein Amt als Vorsitzender fortzusetzen. Aber ich möchte mich der Legitimation unseres Führungsgremiums versichern", sagte Lindner. Der FDP-Chef war am Donnerstag zu Krisengesprächen nach Erfurt gereist. 

Lindner nannte das die "einzig richtige Entscheidung". "Eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit oder Abhängigkeit mit der AfD darf es für eine demokratische Partei in Deutschland nicht geben." Lindner forderte die CDU auf, sich der Initiative für eine Neuwahl anzuschließen. "Wir als Freie Demokraten haben sie Situation geklärt. Das erwarten wir nun auch von der Union und ihrer Bundesvorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer." 

●  Der Thüringer Ministerpräsident Thomas Kemmerich (FDP) will sein gerade erst erworbenes Amt wieder zur Verfügung stellen. "Der Rücktritt ist unumgänglich", sagte der FDP-Politiker am Donnerstag in Erfurt nach Gesprächen mit FDP-Parteichef Christian Lindner. Die FDP-Fraktion will dafür einen Antrag auf Auflösung des Landtags stellen, um eine Neuwahl herbeizuführen. Das teilte die Fraktion am Donnerstag mit. "Thomas L. Kemmerich will damit den Makel der Unterstützung durch die AfD vom Amt des Ministerpräsidenten nehmen", hieß es in der Mitteilung der Thüringer FDP-Fraktion.

● Der Thüringer CDU-Landespartei- und Fraktionschef Mike Mohring hat im Landesvorstand seiner Partei die Vertrauensfrage gestellt und überstanden. Das gab der Thüringer CDU-Generalsekretär Raymond Walk am Donnerstag bei Twitter bekannt. Demnach wurde Mohring als Landesvorsitzender mit zwölf Ja-Stimmen in seinem Amt bestätigt. Gegen Mohring stimmten laut Walk zwei Vorstandsmitglieder. 

● Dem neu gewählten Ministerpräsidenten Kemmerich stehen laut einem Medienbericht durch seinen Amtsantritt mindestens 93.000 Euro an Gehalt und Übergangsgeld zu. Die Summe erhöhe sich mit jedem weiteren angebrochenem Monat im Amt, berichtete das RedaktionsNetzwerks Deutschland. 

Die Staatskanzlei in Erfurt bestätigte, dass nach dem Ministergesetz die Mitglieder der Landesregierung von Anfang des Monats - in dem ihr Amtsverhältnis beginnt - bis zum Schluss des Kalendermonats - in dem das Amtsverhältnis endet - ein Amtsgehalt erhalten. Für den Ministerpräsidenten seien das rund 16.100 Euro, sowie eine Dienstaufwandsentschädigung in Höhe von 766 Euro. Dazukommen ein Familienzuschlag in Höhe von 153 Euro sowie das Übergangsgeld, das laut Gesetz mindestens sechs und maximal zwölf Monate gezahlt wird (in der Summe 75.468,33 Euro). Einen Anspruch auf Ruhegeld hat Kemmerich dagegen nicht erworben. Dafür hätte er laut Gesetz mindestens zwei Jahre im Amt sein müssen. 

● Der Thüringer AfD-Landessprecher Stefan Möller hat sich reserviert zu einer Auflösung des Landtags geäußert. Es sei "eher unwahrscheinlich", dass die Abgeordneten seiner Partei dem zustimmen würden, sagte Möller am Donnerstag in Erfurt. Eine Neuwahl würde seiner Einschätzung nach nichts an den Mehrheitsverhältnissen ändern. Er würde in einem solchen Fall Zugewinne sowohl für die Linke als auch für seine Partei erwarten. Der AfD-Abgeordnete bedauerte zugleich die Rücktrittsankündigung von Ministerpräsident Thomas Kemmerich (FDP).

● Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christian Hirte (CDU), hat mit seiner Gratulation zur Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich eine Diskussion über seine eigene Zukunft ausgelöst. Die SPD fordert Hirtes Entlassung, ebenso die Grünen und die Linke. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zog eine Einladung an ihn wieder zurück. 

SPD-Chefin Saskia Esken forderte die Ablösung Hirtes, der auch stellvertretender Thüringer CDU-Chef ist. Dem ARD-Hauptstadtstudio sagte sie am Donnerstag auf eine entsprechende Nachfrage: "Das ist notwendig, er kann nicht mehr für uns sprechen." 

Scharfe Kritik am Ostbeauftragten kam aus verschiedenen Ecken der SPD. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) schrieb bei Twitter: "Es sollte immer Konsens unter Demokraten sein, dass mit Rechtsextremisten weder offen noch verdeckt paktiert wird. Sie @ChristianHirte sind als Ostbeauftragter der Bundesregierung nicht mehr tragbar." Der sächsische SPD-Chef Martin Dulig twitterte: Christian Hirte habe sich zum Claqueur des Tabubruchs gemacht. "Er hat sich isoliert und disqualifiziert. Er muss als Ostbeauftragter seiner Partei zurücktreten!" Linksfraktionschef Dietmar Bartsch und der Bundesgeschäftsführer der Linken, Michael Kellner, forderten ebenfalls den Rücktritt. 

● Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten mit AfD-Stimmen als "unverzeihlich" kritisiert. Das Ergebnis dieses Vorgangs müsse rückgängig gemacht werden, sagte Merkel am Donnerstag bei einem Besuch in Südafrika und stellte sich damit indirekt hinter Neuwahl-Forderungen. Sie nannte die Wahl einen "einzigartigen Vorgang".

Merkel betonte: "Es war ein schlechter Tag für die Demokratie. Es war ein Tag, der mit den Werten und Überzeugungen der CDU gebrochen hat." Es müsse jetzt alles getan werden, damit deutlich werde, dass dies in keiner Weise mit dem in Übereinstimmung gebracht werden könne, was die CDU denke und tue. "Daran wird in den nächsten Tagen zu arbeiten sein", sagte Merkel.

Eine vorgezogene Neuwahl sei eine Möglichkeit zur Lösung der Situation. "Es ist die Rede von Neuwahlen in Thüringen. Das ist eine Option", sagte Merkel am Donnerstag. 

In Erfurt stehen Zelte und ein Plakat mit der Aufschrift "Wir wollen Neu-Wahlen" vor der Staatskanzlei. 
In Erfurt stehen Zelte und ein Plakat mit der Aufschrift "Wir wollen Neu-Wahlen" vor der Staatskanzlei.  © dpa

● Zuvor hatten mehrere Politiker die Option einer Neuwahl auch schon in Betracht gezogen. So auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer. "Man kann nur im Interesse dieses wunderbaren Landes erwarten, dass es so viel Vernunft gibt, dass man sich jetzt wirklich einigt und im Interesse dieses Landes die nächste Zeit zusammenarbeitet und dass es dann in einem geordneten Prozess zu Neuwahlen kommt", sagte Kretschmer am Donnerstag im ARD-"Morgenmagazin". 

● In Thüringen sondieren Linke, SPD und Grüne die Möglichkeit eines Misstrauensvotums gegen den umstrittenen FDP-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich. Aus Kreisen der Linken-Fraktion und der SPD hieß es am Mittwoch, das Thema solle bei Gremiensitzungen zur Sprache kommen. Auch Grünen-Fraktionschef Dirk Adams signalisierte, dass diese Variante im Gespräch sei. Laut Thüringer Landesverfassung kann das Parlament einem Ministerpräsidenten das Misstrauen aussprechen. Dafür ist aber eine absolute Mehrheit nötig - in Thüringen wären das 46 Stimmen. Linke, SPD und Grüne kommen zusammen auf 42 Stimmen. 

● Zehntausende wenden sich in Petitionen gegen das Wahlergebnis. Auf einer Online-Plattform der Organisation Campact hatte eine Petition, die den Rücktritt Kemmerichs fordert, am Donnerstagvormittag bereits mehr als 140.000 Unterzeichner (Stand 13 Uhr am 6.2.) gezählt. Unter anderem auch auf der Plattform change.org gab es zu dem Zeitpunkt mehr als 28.000 Unterschriften für die Forderung nach Rücktritt Kemmerichs. 

●  FDP-Chef Christian Lindner will mit der Landes-FDP in Erfurt über weitere Schritte beraten. Nach Informationen des "Tagesspiegels" will Lindner Kemmerich zum Rückzug bewegen. 

● SPD-Chef Norbert Walter-Borjans hat die CDU aufgerufen, eine Beschädigung der großen Koalition durch den politischen Eklat in Thüringen abzuwenden. "Die CDU muss jetzt ohne jede Verzögerung dafür sorgen, dass der schon eingetretene immense Schaden behoben und unserer Zusammenarbeit nicht die wichtigste Basis entzogen wird - die gemeinsame Verteidigung der Demokratie in Deutschland", sagte Walter-Borjans den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

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