Von Ralph Schermann
Das hätte keiner erwartet: Nach dem Wegfall der stationären Passkontrollen an den Grenzen Deutschlands zu Polen und zu Tschechien am 21. Dezember gab es in den Grenzlagen der Polizeidirektion Oberlausitz-Niederschlesien 63 Straftaten weniger als im Vergleichzeitraum 2006. Dem Chef der Direktion, Polizeipräsident Richard Linß, war die Freude über diese Einschätzung anzusehen, als er vorgestern Abend verkündete: „Insgesamt haben wir keine wesentliche Veränderung der Kriminalitätsrate festgestellt“.
Dank für die Verantwortung
Er sagte es gegenüber einem hohen Gast. Zur Stippvisite im Einsatz- und Lagezentrum der Görlitzer Polizei hatte sich Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt angekündigt. Seine Begleitung wirkte mit ausschließlich Bundes- und Landtagsabgeordneten der eigenen Partei zwar etwas einseitig, war aber wohl dem tatsächlichen Grund Milbradts Görlitz-Besuch geschuldet: Kurz nach der Polizei-Gastrolle ging es zum CDU-Neujahrsempfang (siehe Seite 13).
„Es liegt mir aber wirklich am Herzen, mich vor Ort für die verantwortungsvolle Arbeit zu bedanken, die die Polizei seit dem Status des Schengen-Beitritts unserer Nachbarländer leistet“, betonte der Ministerpräsident und zeigte sich sehr interessiert über die einzelnen Abläufe und Strukturen. Vor allem der Zusammenarbeit mit den Polizeien der Nachbarländer widmete er mehrere detaillierte Fragen.
Tücken der Statistik
Dennoch geriet der Versuch einer ersten Statistik oft in die Nähe der Vermutungen und Unwägbarkeiten. So waren sich Polizisten und Politiker darin einig, dass der seit dem 21. Dezember einsetzende Anstieg illegaler Einreiser wohl ein vorübergehendes Phänomen sei. Es handele sich vor allem um solche Ausländer, darunter auffallend viele Tschetschenen, die bereits seit längerer Zeit in der Republik Polen auf den Wegfall der direkten Kontrollen gewartet haben. „Eine genauere Einschätzung kann erst nach Vorliegen der polizeilichen Jahresstatistik erfolgen“, sagte Richard Linß deutlich.
Wie vorausgesehen, hat sich der Bereich der Kleinkriminalität geringfügig negativ verändert. Ladendiebstähle und ähnliche Straftaten geringer Intensität seien durchaus steigend. Allerdings sind zum Beispiel die kleinen Taschendiebereien seit Jahren bereits immer im Monat Dezember überdurchschnittlich hoch. Zur Verzerrung einer Statistik über nur kurze Zeiträume tragen auch Extremfälle bei. Als Beispiel nannte Richard Linß eine Einzelperson, die an der Grenze zu Tschechien bereits 600 Straftaten auf sich vereint – alles Fälle von Arbeitsvermittlungsbetrug. Der Ministerpräsident stimmte der Einschätzung zu: „Was sich seit dem Wegfall der Grenzkontrollen wirklich verändert hat, werden wir erst nach mehreren Monaten exakt sagen können. Bei dieser Angelegenheit sind wir letzten Endes doch alle Lernende.“ Allerdings versicherte er auch, die Entwicklung intensiv beobachten zu wollen: „Wenn nicht alles aufgeht, wie wir es uns gedacht haben, dann muss nachgebessert werden, das sage ich ganz klar.“ Deutlicher wurde Georg Milbradt dazu nicht, meinte damit aber vor allem Spielräume in den Personalstärken und in der technischen Ausstattung.
Richard Linß nutzte diese Gelegenheit, um erneut auf den noch immer nicht von den Polizeieinheiten verwendbaren Digitalfunk hinzuweisen, dessen Einführung schon mehrmals in Sachsen verschoben wurde. „Das ist jedenfalls wichtiger als neue Uniformen.“
Zusammenarbeit klappt
Wie gut der Informationsaustausch der Polizeien untereinander bereits funktioniert, belegte der Polizeipräsident am Beispiel eines Mordversuches im Kreis Löbau-Zittau. Der Täter wurde nach Fahndungshinweisen in Tschechien identifiziert und später von der Bundespolizei auf deutscher Seite festgenommen.
Direkt auf das Oberland angesprochen, in dem die Kriminalitätsentwicklung höher ist als in anderen Grenzgebieten, erwies sich Georg Milbradt bestens vorbereitet: „Wir haben von dort oft Beschwerden über angeblich zu wenig polizeiliche Aktivitäten erhalten. Jetzt aber kommen plötzlich kritische Zuschriften ganz anderer Art: Es gibt dort nämlich Leute, die sich plötzlich von zu vielen Kontrollen belästigt fühlen! Es muss sich eben alles erst einspielen.“