Meister drangsaliert seine Lehrlinge

Dresden. Über Monate hinweg wurden zwei Auszubildende in einem Dresdner Galvanik-Betrieb von ihrem Meister drangsaliert. Der meinte es zwar nur gut mit den Jungs, wie er heute sagt. Die Geschichte ging jedoch gründlich schief. Die beiden Geschädigten, heute sind sie 21 Jahre alt, wirken noch immer erheblich mitgenommen, man muss wohl sagen: traumatisiert.
Am Dienstag stand Lehrmeister Jens B. wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen vor dem Amtsgericht Dresden. Laut Staatsanwaltschaft hat der 53-Jährige 2015 und 2016 zwei Auszubildende über Monate gequält und gedemütigt. Die Jungs, die 2015 nach der neunten Klasse Hauptschule eine Ausbildung in dem Betrieb begonnen hatten, schwiegen lange und brachen ihre Ausbildung vorzeitig ab - wegen des ungezügelten Agierens ihres Ausbildungsverantwortlichen.
In der Anklage heißt es, der 53-Jährige habe die beiden Minderjährigen immer wieder abgefragt. Wenn sie seine Fragen jedoch nicht oder falsch beantworteten, habe er ihnen mit der flachen Hand auf den Hinterkopf geschlagen. Er habe sie auch bei Minusgraden im Hof an der Raucherinsel lange befragt und geschlagen. Dies sei ein besonders demütigendes Verhalten gewesen. Die Azubis waren nur mit einem T-Shirt bekleidet, der Meister hatte seinen Kittel an.
"Zu dumm für die Behindertenwerkstatt"
Darüber hinaus soll der Mann seine Untergebenen beleidigt haben, indem er ihnen Sätze sagte wie "Ihr seid ja selbst für eine Arbeit in der Behindertenwerkstatt zu dumm". Diesen Vergleich, das wurde in der Vernehmung der Geschädigten deutlich, hatten sie sich besonders gut gemerkt. Wie sehr die jungen Männer noch heute unter ihren Erlebnissen leiden, wurde sichtbar, als einer der beiden im Gericht plötzlich zu weinen begann.
Dass Polizei und Staatsanwaltschaft erst 2017 von dem Fall erfahren haben, lag offenbar an der mangelhaften Konfliktfähigkeit dieser Firma, sich mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen. Auch die Dresdner Industrie- und Handelskammer (IHK), die Ausbildungsplätze im Sinne der Lehrlinge zu kontrollieren hat, war keine Hilfe. So hatte der erste Auszubildende bereits nach einem halben Jahr das Handtuch geworfen.
Das Kündigungsschreiben war von einer Rechtsanwältin verfasst worden, die darin bereits von "Mobbing", wiederholten "Körperverletzungen" und "Beleidigungen" durch den Lehrmeister sprach. Doch weder das Galvanik-Unternehmen, noch die IHK, an die das Schreiben ebenfalls gerichtet war, hatten die Kündigung zum Anlass genommen, den Vorwürfen nachzugehen. Die Chefin hatte es bei einem Gespräch mit dem Lehrmeister belassen, der zuständige IHK-Sachbearbeiter musste als Zeuge zugeben, dass dieser Brief kein Anlass gewesen sei, ein Gespräch mit dem Auszubildenden oder seiner Anwältin zu suchen.
Eine verhängnisvolle Freundschaft
Für den zweiten Auszubildenden war die Situation noch schwieriger. Seine Eltern waren seit Jahren eng mit dem Lehrmeister befreundet, sodass er sich lange nicht getraut hatte, ihnen von den Übergriffen zu berichten. Selbst nach der Kündigung des Kumpels hatte er geschwiegen. Er war schließlich durch häufige Krankschreibungen und Fehlzeiten aufgefallen. Erst als er die Übergriffe gegenüber seinen Eltern schließlich doch offenbarte, kam es tatsächlich zu einem Gespräch zischen seiner Familie, dem Lehrmeister, seiner Chefin und dem zuständigen IHK-Mitarbeiter. Passiert ist aber auch danach nichts.
Die Mutter des Auszubildenden sagte in dem Prozess als Zeugin, Jens B. habe bei dem Gespräch in der IHK ihr gegenüber sogar zugegeben und bedauert, ihren Sohn geschlagen zu haben. Der Angeklagte, seine Chefin und der Zeuge von der IHK bestätigten das jedoch nicht oder wollen das nicht mitbekommen haben. Sie sprachen von einer hysterischen, emotionalen Mutter, die für ihr Kind kämpfe. Und sie sagten, dass sich die Jungs in der Firma nie negativ geäußert hätten. "Bei uns stehen die Türen offen", sagte die Chefin, auch über den Betriebsrat sei nie Kritik am Verhalten des Lehrmeisters an sie herangetragen worden.
"Man glaubt uns nicht"
Doch die Fragen der Staatsanwältin und des Vorsitzenden Richters zeigten: Die IHK hatte im ersten Kündigungsschreiben der Anwältin keinen Anlass gesehen, einmal nachzufragen - und ein Jahr später, als erneut ein Misshandlungsvorwurf bekannt wurde, wieder nichts unternommen. Ganz offensichtlich hatte man sich nur zusammengesetzt, weil die Mutter darum gebeten hatte. Mit dieser Untätigkeit wurde das Leiden der beiden jungen Männer wieder verlängert. Was bei ihnen hängen bleibt, ist das Gefühl: "Man glaubt uns nicht."
B.s Verteidiger Andreas Schieder versuchte, die Zeugen unglaubwürdig zu machen. Er sprach von der großen Verantwortung des Meisters in einem chemischen Betrieb mit erheblichen Gefährdungen für die Mitarbeiter. Der Mann habe daher großen Wert darauf gelegt, dass seine Auszubildenden sich dieser Gefahren bewusst würden. Es sei aber so, dass die Auszubildenden ihre Leistung nicht gebracht hätten.
Mit einem "leichten Klaps" auf den Hinterkopf habe der Angeklagte versucht, die Aufmerksamkeit und Konzentration der Auszubildenden zu gewinnen. Auch habe einer der Lehrlinge oft gefehlt, sei mehrere Monate nicht einen Tag in der Firma gewesen. Die Anklageschrift nannte Schieder "schlecht recherchiert". Natürlich forderte er am Ende, seinen Mandanten freizusprechen.
Überraschend ähnliche Schilderung
Die überraschend ähnliche Beschreibung des Verhaltens der Mutter als "emotional" und "hysterisch", für dass es jedoch angeblich keinen tatsächlichen Anlass gegeben habe, sollte sich als haltlos herausstellen. Eine 28-jährige Frau, die deutlich selbstbewusster auftrat als die beiden Geschädigten, hatte bereits zwei Jahre zuvor eine Lehre in der Firma abgeschlossen.
Damals, berichtete die Frau, habe sie sich gemeinsam mit zwei weiteren Lehrlingen persönlich an Jens B. gewandt, und sich verbeten, von ihm geschlagen zu werden. Das habe auch funktioniert, sagte die ehemalige Mitarbeiterin. Sie habe sich in der Firma wohl gefühlt und noch einige Jahre dort gearbeitet. Die 28-Jährige beschrieb ihren ehemaligen Lehrmeister B. als gut, erfahren und ehrgeizig, einen Mann, der viel weiß, und zu dem man immer mit dienstlichen und privaten Problemen kommen konnte. Er sei aber auch ein Ausbilder "der alten Schule", bei dem es dazu gehörte, Kopfnüsse zu verteilen.
Der Angeklagte gab die Vorwürfe nicht zu. Er räumte aber ein, seinen Auszubildenden nie habe Schmerzen zufügen wollen. Es sei ihm darum gegangen, ihre Aufmerksamkeit und Konzentration zu bekommen.
Urteil und empfindliche Geldauflage
Das Schöffengericht verurteilte den nicht vorbestraften Meister zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Darüber hinaus muss der 53-Jährige eine Geldauflage von 1.500 Euro an die Kinderarche Sachsen zahlen. Der Vorsitzende Richter sprach über die Behandlung der Geschädigten durch ihren Lehrmeister von einem Quälen. Die häufigen Magen-Darm-Infekte und Nasenbluten eines der Opfer seien eine psychische Folge davon. Durch die frühere Kritik von den Lehrlingen habe B. auch genau gewusst, dass seine Lehrmethoden nicht mehr zeitgemäß seien.